Weltreich der Kryptologie
Geschrieben am 14.04.2022 von HNF
Das HNF wurde am 24. Oktober 1996 eröffnet, und wir gehen noch einmal auf seine Geschichte ein. Unser Thema ist die Abteilung für Kryptologie, sie beleuchtet die Welt der Codes und Chiffren. Sie war im Frühjahr 2001 die erste Erweiterung der Dauerausstellung. Der Bereich geht auf Norbert Ryska zurück, einen der früheren Geschäftsführer des MuseumsForums.
Jedes Museum ist ein “Work in Progress”, wie der schöne englische Ausdruck lautet. Es wird eigentlich niemals fertig. Ältere Ausstellungsbereiche verschwinden, neue erregen die Aufmerksamkeit der Besucherinnen und Besucher. Das gilt auch für das HNF. Viereinhalb Jahre nach der Eröffnung erfuhr es am 27. März 2001 eine Vergrößerung durch die Abteilung für Kryptologie im ersten Obergeschoss.
Sie führt in die Welt der Codes und Chiffren, ein spezieller Bereich der Datenverarbeitung. In der Fachsprache der Geheimdienste ist ein Code eine Liste rätselhafter Ausdrücke, die Worte eines Klartextes ersetzen. Der Empfänger einer codierten Botschaft besitzt die gleiche Liste; nur so kann er die Textteile lesbar machen. Eine chiffrierte Nachricht ergibt sich mit einer anderen Methode. Hier werden die Buchstaben des Textes verschlüsselt. Der Adressat muss mit einem analogen Verfahren die ursprünglichen Lettern zurückgewinnen.
Das älteste technische Mittel, das Spione und Geheimdienstler kennen, dürfte die Skytale sein, die die alten Griechen nutzten. Der Stock oder Stab, so die deutsche Übersetzung, wurde vom Absender mit einem Lederstreifen umwickelt; darauf notierte er in Längsrichtung über die Ränder hinweg die Nachricht. Ein Bote überbrachte den Streifen dem Adressaten, der einen Stab gleichen Durchmessers besaß. Wickelte er das erhaltene Lederband auf, so ordnete sich das Wirrwarr der Zeichen zu lesbaren Zeilen.
Um 1465 erfand der italienische Gelehrte Leon Battista Alberti die Chiffrierscheibe. Hierbei werden zwei Ringe mit Buchstaben gegeneinander verdreht; ein Ring enthält das normale ABC, der andere trägt ein verwürfeltes Alphabet für den Geheimtext. Albertis Landsmann Giambattista della Porta veröffentlichte im 16. Jahrhundert eine Papierausgabe der Geräts. Der Paderborner Goldschmied Thomas Schnorrenberg schuf nach della Portas Grafiken eine reale Scheibe aus vergoldetem Messing. Sie zählt zu den Glanzstücken der Krypto-Abteilung.
Das Geld für die Porta-Scheibe stiftete Norbert Ryska, der den Bereich konzipierte und betextete. Er war 2001 neben Dr. Kurt Beiersdörfer einer der beiden Geschäftsführer des HNF. Ryska interessierte sich seit seiner Bundeswehrzeit in den späten 1960er-Jahren für Kryptologie. Ab 1976 arbeitete er in der Nixdorf Computer AG; dort befasste er sich unter anderem mit der Sicherheit von Geldautomaten. 1980 schrieb er zusammen mit einem Experten der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung ein Fachbuch über angewandten Kryptologie, eines der ersten in deutscher Sprache.
Abkömmlinge der Alberti-Scheibe blieben lange die einzigen mechanischen Chiffriermittel. Daneben gab es viele Verfahren von Hand. Erst im späten 19. Jahrhundert erschien mit dem Bazeries-Zylinder eine neue Technik; sie basierte auf einer Säule aus drehbaren Scheiben, die auf dem Rand Buchstaben trugen. Das Grundprinzip des Zylinders skizzierte schon hundert Jahre vorher der amerikanische Politiker und Präsident Thomas Jefferson. Von den 1920er-Jahren bis zum Kalten Krieg entstanden die klassischen Chiffriermaschinen.
Die Vitrinen unserer Krypto-Abteilung zeigen bekannte Rotor-Modelle wie die deutsche Enigma, die russische Fialka und die Nema aus der Schweiz, die wir im Blog behandelten. Abwandlungen entwickelte der schwedische Krypto-Pionier Boris Hagelin; sie wurden von der Schweizer Crypto AG in Serie gefertigt. Ideen aus Hagelins Geräten gingen im Zweiten Weltkrieg in die deutsche Chiffriermaschine Wanderer SG 41 ein. Das HNF besitzt zwei Exemplare sowie den Siemens-Geheimschreiber, der Funkfernschreiben verschlüsselte.
Alexander von Kryha ist der wohl einzige Ukrainer, dessen Erfindungen im HNF zu sehen sind. Er wurde 1891 in Charkiw geboren; nach dem Ersten Weltkrieg ließ er sich in Berlin nieder. Seine Chiffriermaschinen sahen elegant aus, ihre kryptologische Sicherheit war aber gering. Er fand zu wenig Kunden, 1930 ging seine Firma bankrott. In den 1950er-Jahren geriet Kryha auf die schiefe Bahn und saß im Gefängnis. 1955 setzte er seinem Leben ein Ende. Hier ist ein Portrait von ihm aus besseren Tagen. Für die Ostertage wünschen wir den Lesern und Leserinnen Gesundheit und alles Gute. Unser Blog meldet sich am Dienstag zurück.
Schön, dass Sie mit Kryha auch einen Ukrainer aufgegriffen haben. Schöne Osterfeiertage!
Wir werden versuchen, dem Alexander von Kryha durch die Lektüre von offenbar vorhandenen ukrainischen Quellen noch etwas näher zu kommen.
Bei David Kahn steht in „The Codebreakers“ (S. 81):
Herodotus tells how another revolt…was set in motion by one of the most bizarre means of secret communication ever recorded. One Histiaeus, wanting to send word from the Persian court to his son-in-law, the tyrant Aristagoras at Miletus, shaved the head of a trusted slave, tattooed the secret message thereon, waited for a new head of hair to grow, then sent him off to his son-in-law with the instruction to shave the slave’s head. When Aristagoras had done so, he read on the slave’s scalp the message, that urged him to revolt against Persia
Dieses klassische erste Beispiel für Steganographie hat Thomas Pynchon in „Die Enden der Parabel“ (Gravity’s Rainbow) auf S. 29 phantasievoll modifziert.
„…Spione mit fremdländischen, hybriden Doppelnamen hielten sich auf sämtlichen Bahnhöfen des Osmanischen Rumpfreiches versteckt, chiffrierte Botschaften wurden in einem Dutzend slawischer Sprachen auf bloße Oberlippen tätowiert, über die sich die Überbringer Schnurrbärte wachsen ließen, welche nur die autorisierten Offiziere der Entschlüsselungs-abteilungen abrasieren durften, ehe die plastischen Chirurgen der Firma wieder frische Haut über die Nachricht pflanzten…die Lippen dieser Agenten waren Palimpseste aus geheimem Fleisch, zernarbt und unnatürlich weiß, woran sie sich gegenseitig erkennen konnten.“