Analytische Maschine von hinten
Geschrieben am 04.06.2019 von HNF
Der englische Mathematiker Charles Babbage erfand im 19. Jahrhundert mit der „Analytical Engine“ den mechanischen Computer. Als alter Mann baute er ein Versuchsmodell des Rechenwerks; es steht im Londoner Science Museum. Vor kurzem wurde bemerkt, dass Museumsbesucher und Internetnutzer in der Regel nur die Rückseite sehen. Wir haben jetzt auch ein Foto der Vorderseite besorgt.
Charles Babbage sagte einmal, dass er in seinen späteren Jahren – die er recht einsam verbrachte – keinen einzigen glücklichen Tag erlebt hätte. Ein Grund war sein dauernder Streit mit Straßenmusikanten. Der 1791 geborene Computerpionier versuchte sie durch polizeiliche Maßnahmen abzuwehren, er erreichte aber nur das Gegenteil. Die Musiker erschienen noch häufiger und mit größerer Lautstärke vor seinem Haus.
Zweitens sah Babbage am Ende seiner Tage, dass er keines seiner ehrgeizigen Projekte abgeschlossen hatte. Ab etwa 1820 entwickelt er eine Differenzmaschine zum Berechnen und Drucken mathematischer Tafeln. In den 1830er-Jahren stellte er die Arbeiten wieder ein. Auch die Nachfolgerin, die Analytische Maschine, blieb unvollendet. Zugute halten konnte sich Babbage die Idee eines neuen digitalen Rechengeräts mit Programmsteuerung und Speicherfunktionen: Er erfand den mechanischen Computer. 1871 starb er in London.
In den letzten Lebensjahren kehrte Babbage zur Analytical Engine zurück. Er begann mit der Konstruktion eines Geräts mit einem Meter Länge und siebzig Zentimetern Breite. Es hatte wenig mit den früheren Plänen zu tun, die einen Rechner so groß wie eine Dampflok zeigen. Die Maschine der 1860er-Jahre war nur ein Addierwerk mit einer Druckvorrichtung. In der Literatur trägt sie den Namen „trial model“, also Versuchsmodell, oder „mill“. Die Mühle ist im Londoner Science Museum und im Eingangsbild (Foto Science Museum CC BY 4.0) zu sehen; das Foto wurde oben leicht beschnitten.
Was nicht im Bild zu sehen ist, sind die drei vertikalen Achsen im Zentrum des Modells. Zwei tragen breite Zahnräder, auf einer sitzen Scheiben. Dazwischen befinden sich vier Achsen mit kleineren Rädern; außerdem gibt es noch zwei Zahnradstangen vorne und hinten. Das gesamte Getriebe bildet ein Carry-Look-Ahead-Addierwerk, wie man bei Dualzahlen sagt. Charles Babbage sprach von vorweg genommenem Übertrag oder „anticipating carriage“. Sinn der Sache war natürlich das Einsparen von Rechenschritten.
Was man gut erkennen kann, sind 26 horizontale Zahnstangen; sie übertragen das Resultat einer Rechnung in das Druckwerk. Sie beeinträchtigen die Sicht auf das Rechenwerk; das hinderte aber das Science Museum nicht, die Mühle seit Jahrzehnten mit den Stangen voran zu präsentieren. So finden wir sie auch tausendfach im Netz. Erst Anfang 2019 fiel dem Paderborner Informatiker Rainer Glaschick die Bedeutung der verdeckten Seite auf. Es dämmerte ihm: Die Analytische Maschine steht im Museum verkehrt herum.
Das gilt ebenso fürs Eingangsbild und die 1:1-Kopie, die seit einigen Jahren das Bonner Rechenmaschinenmuseum Arithmeum ausstellt. Rainer Glaschick widmete ihr jetzt einen Bericht in englischer Sprache und eine ausführliche Fotoserie; beide kann man auf seiner Homepage herunterladen. In den Tiefen des Internets überlebte aber auch ein Bild von der richtigen Seite der Maschine. Wir erwarben es für den Blog und zeigen es unten, zunächst mit dem Bildausschnitt des Originals und danach leicht heran gezoomt.
Die Fotografie stammt von der Firma des berühmten Designer-Ehepaars Charles und Ray Eames und entstand 1967 im Science Museum bei der Arbeit an Filmen über Babbage. Sie waren für ein Computermuseum der Firma IBM gedacht; leider zerschlug sich das Projekt. Fertig wurde nur der Streifen über die Differenzmaschine. Vielleicht gelingt es mit etwas Feingefühl, die analytische Schwester in gleicher Weise zum Laufen zu bringen. Es wäre aber auch schön, wenn man sie in London (und Bonn) auf die richtige Seite drehen könnte.
Insbesondere damals wurde das Wort „mill“ für jede Art mechanisierter Bearbeitung verwendet („a building or set of buildings for the manufacturing of goods“, Merrian-Webster; „a factory, esp one which processes raw materials“, Collins). Insofern könnten „Fabrik“ oder (Rechen-) „Werk“ geeignet sein; aber es fehlt dann natürlich die Assoziation mit sich drehenden Achsen.