Atex – Computer für die Zeitung
Geschrieben am 28.07.2023 von HNF
Ihr Name ist sicherlich weniger bekannt als Apple, Amiga oder Atari, doch auch Atex schrieb Computergeschichte. Die Firma wurde 1973 in Massachusetts gegründet; im Juli 1974 nahm das Magazin „U.S. News & World Report“ ihr Editionssystem in Betrieb. In den 1980er- und 1990er-Jahren installierten ebenso deutsche Zeitungen und Zeitschriften Atex-Computer für das Eintippen von Artikeln.
Der Einsatz des Computers in der Presse bildet ein Randthema der Technikgeschichte. Aus amerikanischen Quellen ist jedoch einiges überliefert; etwa die Verwendung des Rechners IBM 1130 für den Zeilenumbruch; auf Englisch sagt man „hyphenation and justification“. Das Programm lag 1967 vor und steuerte eine Setzmaschine. Dabei übertrug ein Operator jeden Artikel auf einen Lochstreifen und gab außerdem Hinweise zur Zeilenlänge. Schon 1964 brachte der Technikkonzern Raytheon einen elektronischen Editor heraus.
Ab 1970 zogen immer mehr Computer in Zeitungs- und Magazinverlage ein. Es handelte sich um eigenständige Geräte oder um einen Minicomputer – zumeist von der Digital Equipment Corporation – mit mehreren angeschlossenen Terminals. Die Beschreibungen lassen einen fließenden Übergang von digitalen Setzmaschinen zu Redaktionssystemen erkennen. Eine Übersicht von 1971 findet sich hier, wir empfehlen außerdem das Buch des Computersatz-Pioniers John Seyboldt aus dem Jahr 1979. Es bringt eine ganze Anzahl Hardware-Fotos.
Im Buch finden wir auch die Firma, auf die es uns ankommt. Die Atex Inc. startete 1973 in Lexington nordwestlich von Boston; später zog sie in den Nachbarort Bedford. Zwei der drei Gründer, die Brüder Richard und Charles Ying, waren gebürtige Chinesen, Sie wuchsen in Hongkong auf und studierten am Massachusetts Institute of Technology. In den frühen 1970er-Jahren arbeitete Charles Ying in der Firma Computek, die Terminals herstellte. Sie saß wie das MIT in Cambridge/Massachusetts.
Bei Computek traf Ying den Vertriebsmanager Douglas Drane. Er stammte aus dem Südstaat Mississippi und hatte einen Abschluss in Betriebswirtschaft von der Harvard-Universität. Von 1966 bis 1970 war er für den erwähnten Raytheon-Konzern tätig. Douglas Drane, Charles Ying und sein älterer Bruder Richard, ein Fachmann für Software-Entwicklung, setzten sich zusammen, das Resultat hieß Atex. Das angestrebte Produkt, ein digitales Editionssystem, kannte Charles Ying von einem früheren Arbeitgeber, der Firma Hendrix Electronics.
Das Startkapital der jungen Firma belief sich auf dreimal dreihundert Dollar – das war das Limit der Kreditkarten der Gründer. Douglas Drane überredete aber den ersten Kunden, das Nachrichtenmagazin „U.S.News & World Report“, zu einem Vorschuss von 50.000 Dollar. Nun bezog das Trio ein Büro, kaufte einen Minicomputer PDP-11 von Digital Equipment und ging ans Programmieren. Am 15. Juli 1974 lief ein Atex-System in der Herstellungsabteilung des Magazins. Es folgten Aufträge von „Newsweek“, „Forbes“, „Readers Digest“ und „National Geographic“; aus England meldete sich „The Economist“.
Darüber hinaus rüstete Atex Zeitungen aus, bis 1980 installierte die Firma 130 Systeme. Wahrscheinlich befanden sie sich in der Produktion wie in den Redaktionen. In der Regel gruppierten sich mehrere Terminals um einen Zentralrechner. Hier gibt es eine holländische Wochenschau von 1977 über die Automatisierung der Tagespresse, man sieht unter anderem Setzerinnen am Monitor. Diese Fotos aus dem Jahr 1983 und unser Eingangsbild (Foto Bob Daemmrich/Alamy Stock Photo) zeigen Journalisten und Journalistinnen einer texanischen Zeitung an Atex-Stationen.
Damals gehörte die Firma bereits der Eastman Kodak Company; der Fotoriese erwarb sie 1981 für 77 Millionen Dollar. Die Achtziger waren wohl die besten Jahre von Atex. Es entstand eine Fabrik mit 1.500 Mitarbeitern. 1987 schaffte die „New York Times“ ein Atex-System an. Danach setzte der Abstieg ein, 1992 gab Kodak das Unternehme weiter. Es existiert noch, die Zentrale befindet sich heute in Stockholm. Mitgründer Charles Ying starb 2010, seinen Bruder Richard kann man hier 2017 im Video erleben. Dieser Link liefert ein neueres Bild – bitte etwas scrollen – von Douglas Drane.
Bei uns begann mit Atex die Digitalisierung der Presse. 1979 standen Terminals bei der WAZ in Essen, wenig später im Axel Springer Verlag; ein Foto zur Atex-Nutzung 1984 entdeckten wir bei der Ärzte Zeitung. Aus jenem Jahr ist auch eine besondere Geschichte überliefert: Die FAZ konnte dank des Redaktionssystems bei einem Druckerstreik eine Notausgabe produzieren. Wegen eines Programmierfehlers besaß sie jedoch zwei weiße Flecken, die der Kollege vom SPIEGEL genüsslich weitergab. Der Computer war halt noch Neuland.