Computer-Spione am Werk

Geschrieben am 23.07.2021 von

Im Internet gibt es eine kaum genutzte Quelle zur Computergeschichte der DDR: Berichte des amerikanischen Geheimdienstes CIA. Seit seiner Gründung im Jahr 1947 interessierte er sich auch für Rechenanlagen aus Dresden und Jena. Es waren vermutlich Mitarbeiter von volkseigenen Betrieben, die Informationen zu den Geräten an westliche Dienste sandten. Wir haben in der Sache aufgeklärt. 

Ende 1946 verteilte die Central Intelligence Group – das war der Nachrichtendienst des amerikanischen Außenministeriums – eine Mitteilung über das Rheinmetall-Borsig-Werk in Sömmerda. Demnach wurden Lochkartenmaschinen der Systeme Hollerith und Powers zerlegt und nach Russland geschafft. Die Stadt Sömmerda lag nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der sowjetischen Besatzungszone.

1947 entstand aus der Central Intelligence Group die Central Intelligence Agency CIA. Sie ist die wohl bekannteste Spionage-Organisation der Welt. Die CIA hat ein großes Online-Archiv. Sein Inhalt zeigt, dass auch sie sich mit ostdeutscher Technik befasste. Sie wollte sicher keine Ideen klauen, sondern sehen, wie weit die „Roten“ im Kalten Krieg waren. Die CIA musste keine eigenen Agenten losschicken; sie erhielt Informationen von Deutschen in der DDR, die damit Geld verdienen oder etwas gegen ihre Regierung tun wollten.

Die so gesammelten Akten erzählen uns einiges zur sozialistischen Informatik, selbst wenn nicht alle Angaben stimmen sollten. Ein frühes Dokument aus der DDR – es nennt sie noch „Soviet Zone“ – stammt aus dem Jahr 1950 und behandelt Planungen zur Wissenschaft und Technik. Dazu gehören Buchungsmaschinen der in Chemnitz sitzenden Wanderer-Werke und der ebenfalls dort ansässigen Astra-Werke. Für das Wanderer-Produkt werden 200.400 DM angesetzt, das Gerät von Astra erforderte 210.000 DM. Mit „DM“ ist vermutlich die DDR-Mark gemeint.

Am 22. Oktober 1953 registrierte die CIA einen electronic computer in Dresden. Der Informant verortete ihn im Funkwerk, einer großen Radiofabrik. Ein halbes Jahr später erschien ein Bericht über einen Computer in der Technischen Hochschule der Stadt. Als Entwickler wurde ein Professor Lehmann genannt. Wir lesen unter anderem, dass er 1951 nach West-Berlin fuhr und den dort vorgeführten englischen Nimrod sah. Am 9. Dezember 1954 brachte die CIA einen längeren Report heraus. Der Computer war natürlich die D1 von Nikolaus Joachim Lehmann, das erste Elektronengehirn der DDR. Es wurde 1956 fertig.

Auf den 15. Dezember 1954 ist ein anderer CIA-Report datiert. Er meldete die Entwicklung einer Relay-Controlled Calculating Machine im Volkseigenen Betrieb Carl Zeiss Jena. Das war der Relaisrechner Oprema, den wir schon im Blog vorstellten. Am 26. Januar 1955 folgte eine weitere kurze Nachricht und am 16. Mai ein vierseitiger Information Report. Elf Tage später verschickte die CIA eine Übersicht zum Computer Development in East Germany. Sie beschrieb die Maschinen in Jena und Dresden sowie einen Analogrechner in Ost-Berlin.

Das Zeiss-Hochhaus in den 1980er-Jahren. Der Stern auf dem Dach zeigt Planerfüllung an. (Foto Michael Köhler CC BY 4.0 oben und unten beschnitten)

Wer in die CIA-Datenbank „Zeiss“ und „Jena“ eintippt, bekommt 759 Antworten. Es liegt nahe, dass der Dienst einen oder mehrere Kontakte im Betrieb hatte. Die Lektüre der Akten lohnt sich, und man erfährt viele Interna. Die DDR-Staatssicherheit traute den Zeissianern nicht; am 21. März 1953 wurden fünfzehn leitende Angestellte wegen Spionage verhaftet. Zehn von ihnen erhielten Gefängnisstrafen, ein Manager starb in der Untersuchungshaft. Der Fluss der Information gen Westen stoppte nicht; auch die Stasi-Aktion ging in die Akten ein.

Was finden wir im Geheimdienst-Archiv zu den späteren Jahren? Vom VEB Carl Zeiss Jena gelangte eine Broschüre zum ZRA 1 hinein; der Computer mit Vakuumröhren und Halbleiter-Dioden wurde 1960 fertig. Im Blog schilderten wir eine CIA-Studie zur Kybernetik von 1970, die sogar eine Quelle verriet. Aus dem Jahr 1985 ist eine allgemeine Untersuchung über Wissenschaft und Technik überliefert. Sie stellte der Informatik der DDR ein gutes Zeugnis aus, wies aber auch auf ihre fleißigen Wirtschaftsspione hin („over 500 active agents“).

Die CIA fuhr anscheinend die Technik-Aufklärung in Ostdeutschland herunter. Die Outputs des Archivs zur Eingabe Robotron erreichen weder quantitativ noch qualitativ das Niveau der alten Zeiss-Akten. Einige Aufschlüsse liefert jedoch eine Suche nach Ryad computer. Das russische Wort Ряд bedeutet „Serie“; es bezieht sich auf die ESER-Rechner der 1970er- und 1980er-Jahre. Sie wurden in mehreren sozialistischen Ländern gefertigt; ein Computer des Typs ESER 1055 aus der DDR steht im HNF. Spione sind herzlich willkommen!

Der englische Historiker Paul Maddrell erforschte die Arbeit westlicher Geheimdienste im Ostblock in den Feldern Wissenschaft und Technik. In einem Artikel von 2003 nannte er einen Zeiss-Mitarbeiter, der Informationen an die „Intelligence Division“ der britischen Armee in Deutschland gab. Er hieß Willy Boy (PDF-Seite 19). Das Telefonverzeichnis von Zeiss erwähnt ihn bei der Vereinigung der Volkseigenen Betriebe Feinmechanik-Optik (PDF-Seite 3). Weitere Maddrell-Beiträge zu unserem Thema erschienen 2013 und 2018.

Ein Nachtrag: In der Retro-Mediathek der ARD entdeckten wir einen Film, der Nikolaus Joachim Lehmann und seinen Kleincomputer D4a zeigt (ab Minute 3:00). Ob die CIA oder der Bundesnachrichtendienst ihn 1965 im DDR-Fernsehen sahen, ist unbekannt.

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