Denk, Maschine !
Geschrieben am 10.07.2015 von HNF
Die Künstliche Intelligenz ist das Gebiet der Informatik, das nach Hard- und Software sucht, die Computern geistige Fähigkeiten verleihen. In den 1950er Jahren wählte der deutsche Philosoph Gotthard Günther einen ungewöhnlichen Weg, um seine Ideen auf jenem Feld zu verbreiten: Er schrieb Artikel für Science-Fiction-Magazine. Fand er eine Technik, um Computer zum Denken zu bringen?
Intelligente Computer sind „in“. Das zeigt der Film „The Imitation Game“, dessen englischer Titel – der deutsche ist „Ein streng geheimes Leben“- auf den Turing-Test anspielt, eine vom Computerpionier Alan Turing erdachte Prüfung maschinellen Denkvermögens, oder das Buch „Superintelligenz“ des in Oxford lehrenden Philosophen Nick Bostrom. Aber ist das Nachahmen eines Menschen schon der Beweis von Denken? Und stehen wir wirklich vor der Ankunft eines elektronischen Superhirns?
Seit rund 65 Jahren forschen Informatiker auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz und durchaus mit Erfolg: Man denke an Schach-, Übersetzungs- und Chat-Programme wie das berühmte ELIZA. Gesucht wird aber noch immer eine echte Denkmaschine, eine Hardware und/oder Software, die so funktioniert wie der menschliche Verstand und vielleicht sogar ein Fünkchen Bewusstsein besitzt.
Gefunden hat sie vielleicht ein deutscher Gelehrter, den nur wenige kennen, der aber im HNF in der Multimedia-Präsentation Wall of Fame erwähnt wird. Gotthard Günther wurde 1900 im schlesischen Städtchen Arnsdorf geboren, dem heutigen Miłków in Polen, und studierte in Berlin Philosophie. Seine Doktorarbeit schrieb er über Hegelsche Logik. Er wurde in Leipzig Assistent des Soziologen und Philosophen Arnold Gehlen, emigrierte aber 1937 nach Italien und später über Südafrika in die USA.
Hier übernahm Günther kleinere Dozentenstellen und freundete sich dabei, höchst ungewöhnlich für einen deutschen Geisteswissenschaftler, mit der amerikanischen Populärkultur an. Ganz besonders schätzte er die Science-Fiction-Magazine. Hinter den bunten und auf billigem Papier gedruckten Titelbildern stieß er auf Ideen zu Raum, Zeit und Materie, die ihn zum Grübeln brachten.
In den späten 1940er Jahren erlebte Günther außerdem die ersten Digitalcomputer, mit blinkenden Elektronenröhren und blitzenden Schaltern bestückte Schränke, die die Presse ehrfurchtsvoll Elektronenhirne nannte. Parallel dazu entwickelte sich die Wissenschaft der Kybernetik, die Biologie, Neurologie, Regelungs- und Rechentechnik verknüpfte und Leben durch Maschinen simulierte.
Diese Errungenschaften und seine Kenntnis der klassischen Philosophie führten Gotthard Günther zu einer Theorie des denkenden Computers, die er 1957 in dem Buch „Das Bewusstsein der Maschinen“ und zuvor in mehreren Artikeln niederlegte. Einige erschienen in den Science-Fiction-Zeitschriften Astounding und Startling Stories, andere als Nachworte von Zukunftsromanen wie „Ich, der Robot“, dem Meisterwerk von Isaac Asimov.
Günthers Theorie basierte auf einer Logik, die nicht die Alternativen wahr und falsch, sondern drei oder mehr Wahrheitswerte benutzt. 1961 erhielt er eine Professur in Chicago und entwickelte immer komplexere Systeme, die von den akademischen Philosophen und mathematischen Logikern meist ignoriert wurden. Das änderte sich auch nicht, als er 1972 nach Deutschland zurückkehrte und an der Universität Hamburg lehrte.
Gotthard Günther starb 1984 und hinterließ ein großartiges aber unvollendetes Werk. Nach seinem Tod entstand eine kleine Fan-Gemeinde; es fehlen leider Forscher, die Günthers Gedanken ordnen und in lauffähige Computerprogramme umsetzen. Aus diesem Grund werden wir also noch eine Weile warten müssen, bis der Monitor „Ich denke also bin ich“ anzeigt.
Einen ersten Einstieg in Günthers Ideen bietet die Übersicht des Biophysikers und Medienpädagogen Joachim Paul. Das Computerdenken wird vor allem in den Punkten 20 bis 34 behandelt – bitte jeweils die Titelzeile anklicken. Wer tiefer in die Welt des schlesischen Philosophen eindringen will, sollte allerdings den Nachlass in der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek durchschauen.
Das Eingangsbild zeigt einen Gesichtsroboter aus dem HNF (Foto: Jan Braun, HNF).