Denken und Maschinen
Geschrieben am 05.01.2021 von HNF
Vor siebzig Jahren, vom 8. bis 12. Januar 1951, fand in Paris die erste große Konferenz in Europa über Computer statt. 268 Interessenten aus Frankreich und aus anderen Ländern hörten 38 Vorträge zu den Themen Rechengeräte und Denken. Eine wichtige Rolle spielte die junge Wissenschaft der Kybernetik. Ihr Erfinder Norbert Wiener war ein prominenter Teilnehmer.
Les machines à calculer et la pensée humaine – so hieß ein „colloque international“, das vom 8. bis 12. Januar 1951 in Paris stattfand. Auf Deutsch gesagt, ging es um Rechengeräte und das menschliche Denken. Veranstalter des Kolloquiums war das Centre national de la recherche scientifique CNRS, das französische Äquivalent der Max-Planck-Gesellschaft; bei der Finanzierung half die Rockefeller-Stiftung. Unter den 268 Teilnehmern aus zwölf Ländern waren zehn Frauen.
Wie der Titel andeutete, behandelte die Tagung nicht nur Digitalcomputer, sondern ebenso Analogrechner und kybernetische Automaten. Eröffnet wurde sie durch den berühmten Physiker und Nobelpreisträger Louis de Broglie; er lobte natürlich die analogen Systeme. Die erste Sektion widmete sich den laufenden Projekten in Europa und den Vereinigten Staaten. Der bekanntester Redner war sicher der Amerikaner Howard Aiken; er stellte den in der Entwicklung befindlichen Computer Harvard Mark IV vor.
Der Schweizer ETH-Professor Eduard Stiefel referierte über die Zuse Z4 in Zürich. Der Organisator der Tagung, der Mathematiker Louis Couffignal, sprach über seinen eigenen Elektronenrechner im Forschungsinstitut Blaise Pascal. Das mit 200 Röhren ausgestattete Testmodell führte aber niemals zu einem marktfähigen Produkt; der Hersteller, die Firma Logabax, ging 1952 bankrott. Wie es scheint, trug kein Forscher aus Deutschland vor; aus Darmstadt reiste aber der Analogrechnerpionier Alwin Walther an.
Der zweite Abschnitt der Tagung galt dem Nutzen von Computern für die höhere Mathematik. Unter anderem erläuterte Maurice Wilkes von der Universität Cambridge den seit Mai 1949 laufenden EDSAC und seine Programme. Wilkes gehörte zu den 41 britischen Teilnehmern, die die stärkste Gruppe aus dem Ausland bildeten. Acht von ihnen arbeiteten für die Elektronikfirma Ferranti. Neun Köpfe umfasste die Delegation aus Holland; aus der Neuen Welt kamen fünf Amerikaner – vier davon Angestellte der IBM – sowie ein Brasilianer.
Der dritte und letzte Teil untersuchte die Beziehung zwischen Technik und Gehirn. Im Oktober 1948 war in Paris das Buch Cybernetics von Norbert Wiener erschienen und hatte eine neue Wissenschaft ins Leben gerufen. Auf unserer Tagung trafen sich die wichtigsten Experten. Im Foto – bitte einmal aufrufen – erkennen wir links Ross Ashby, den Vater des Homöostat, und Warren McCulloch, Erfinder des neuronalen Netzes. Rechts stehen Grey Walter, Schöpfer von kybernetischen Schildkröten, und unverkennbar Norbert Wiener.
Wiener wagte auch ein Spiel gegen den Schachautomaten von Leonardo Torres Quevedo und seinem Sohn Gonzalo. Wir haben das Gerät im Blog beschrieben. Die Wochenschau rückte ebenfalls an und filmte einen 25-Sekunden-Clip mit einem Blick in den Mechanismus. Die Konferenz endete mit einem Vortrag von Louis Couffignal über Analogien zwischen den Strukturen von Elektronenrechnern und dem menschlichen Gehirn. Außerdem gab es ein opulentes Abschiedsessen, eine Seltenheit in der kargen Nachkriegszeit.
Nach der Konferenz entstanden zwei Bücher. Louis Couffignal brachte 1952 „Les machines à penser“ heraus. Unter dem Titel „Denkmaschinen“ erschien es 1955 in Deutschland. Der Journalist Pierre de Latil erstellte 1953 eine erfolgreiche „Introduction à la cybernétique“. Im gleichen Jahr lag auch der Konferenzband vor. Das CNRS scheute weder Kosten noch Mühe und ließ alle fremdsprachlichen Vorträge ins Französische übersetzen. Leider führte das dazu, dass der Band in England und den USA kaum gelesen wurde.
Die größte Wirkung hatte das Kolloquium sicherlich in Frankreich, wo es die Bildung einer Informatikergemeinde förderte. Die nächste internationale Computerkonferenz in Paris fand 1959 statt. Unser Eingangsbild zeigt noch einmal das Innenleben des Schachautomaten von Leonardo Torres Quevedo. Das Foto nahm HNF-Geschäftsführer Dr. Jochen Viehoff in dem Torres gewidmeten Museum in Madrid auf. Wir bedanken uns außerdem bei Herbert Bruderer für seine Hinweise und Vorarbeiten.