Der Bestsellerautor und die Computerviren

Geschrieben am 05.04.2024 von

Seine Bücher verbanden schicksalsschwere Stories mit Zeitkritik und Thriller-Elementen. So wurde Johannes Mario Simmel zu einem der populärsten Autoren deutscher Sprache. Am 7. April können wir seinen 100. Geburtstag feiern. Simmel schrieb 27 längere Romane mit einer Gesamtauflage von 73 Millionen. Das Buch „Liebe ist die letzte Brücke“ aus dem Jahr 1999 behandelte die Computertechnik.

1987 fragte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach rund hundert Autoren und Autorinnen, ob sie schon einen Personal Computer benutzen würden. Es antwortete unter anderem der Schriftsteller Johannes Mario Simmel: „Nein. Die bloße Vorstellung ist mir entsetzlich.“ Ein Jahrzehnt später saß er jedoch an einem Buch über einen Informatiker. „Liebe ist die letzte Brücke“ erschien 1999, es war sein letzter Roman.

Geboren wurde Johannes Mario Simmel am 7. April 1924 in Wien. Die Eltern kamen aus Hamburg; der Vater arbeitete für die Holzindustrie, die Mutter in einer Filmgesellschaft. Walter Simmel floh 1938 als Jude nach England, er starb dort 1945. Sein Sohn absolvierte eine Ausbildung zum Chemieingenieur. Nach Kriegsende war der junge Simmel zunächst für die US-Militärregierung tätig; später wirkte er als Kulturredakteur einer Zeitung. 1950 zog er nach München und verdiente viel Geld als Illustrierten-Journalist; außerdem verfasste er Drehbücher für Kinofilme.

Johannes Mario Simmel (Foto Verlagsgruppe Droemer Knaur)

1960 begann Johannes Mario Simmel eine zweite Karriere als Erfolgsautor. Seine Romane kombinierten Zeitprobleme mit Love-Stories und erklommen stets die Bestsellerlisten. 1977 belief sich die Auflage auf 46 Millionen, am Ende des Jahrhunderts waren es 73 Millionen. Simmel tippte jeden Titel auf einer mechanischen Schreibmaschine; das Foto zeigt ihn 1987 mit seinen Werkzeugen. Im Eingangsbild sehen wir die heiß geliebte Gabriele von Triumph-Adler; es ist allerdings nicht die Maschine von Simmel, sondern ein baugleiches Modell.

1987 widmete sich der Simmel-Roman Doch mit den Clowns kamen die Tränen einem wissenschaftlichen Thema, der Gentechnik. 1999 war der Computer an der Reihe. Liebe ist die letzte Brücke schildert die Erlebnisse des 51 Jahre alten Philip Sorel. Er ist Fachmann für Schadsoftware und steht in den Diensten eines Frankfurter IT-Unternehmens. Der Roman spielt 1997, und es stellt sich die Frage, ob der Autor an die Firma Siemens Nixdorf dachte. Einige Details wie ein Supercomputer legen allerdings nahe, dass Delphi völlig fiktiv ist.

Philip Sorel hat einen Chef namens Donald Ratoff, und der befiehlt ihm, eine neue Aufgabe anzutreten. Er soll von Genf aus fünf Jahre lang gehobene PR-Arbeit leisten. Sorel fügt sich und quartiert sich im besten Hotel der Stadt ein, dem Beau Rivage. Nun kommt es zu drei Computerverbrechen, wie es im Roman heißt. Durch eine Änderung der Steuerungssoftware entweicht in einem Berliner Pharma-Werk eine Chlorgaswolke, und es gibt Tote. Wenig später sterben Physiker in Düsseldorf, als der Ionenstrahl eines Teilchenbeschleunigers in die falsche Richtung gelenkt wird.

Das Cover der Taschenbuchausgabe mit dem Genfer See

Danach stoßen wegen eines Softwarefehlers in der Luftverkehrskontrolle zwei Passagierjets über Bayern zusammen; die Folgen sind katastrophal. In allen Fällen hilft Philip Sorel den Ermittlern; er findet digitale Spuren des Computerverbrechers. Am Schluss entpuppt sich Donald Ratoff als der Übeltäter. Die Unglücke waren Tests eines neuartigen Computervirus, das seine Abteilung entwickelt hatte. Mit ihnen wollte Ratoff prüfen, ob Viren-Spezialisten das Programm nachweisen würden.

Darüber hinaus ist der Roman mit Liebes- und Familiendramen gespickt,.Die Literaturkritik fand ihn gar nicht schön, hier und hier sind Besprechungen. Auch der SPIEGEL brachte einen freundschaftlichen Verriss. In Interviews mit dem SPIEGEL und mit FOCUS konnte Simmel sich aber verteidigen. Lesenswert ist das Gespräch, das der Journalist Günter Gauss 2001 mit ihm führte. Nach „Liebe ist die letzte Brücke“ hat Johannes Mario Simmel keinen weiteren Roman mehr verfasst. Er starb am Neujahrstag 2009 in Luzern. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof der Stadt Zug im gleichnamigen Schweizer Kanton.

Unter den belletristischen Technik-Romanen ist Simmels Buch kein Leuchtfeuer. Der Autor erlernte die Grundzüge der Informatik; wir stoßen auf neuronale Netze, das Internet und das Jahr-2000-Problem und lesen lange Zitate von Joseph Weizenbaum. Unterm Strich werden die Computer jedoch abschreckend dargestellt. Es fehlen positive Aspekte, und sie dienen als Mordwaffen. In der Beschreibung von Genf kommen weder das Forschungszentrum CERN noch das dort erfundene World Wide Web vor.

Das Hotel Beau Rivage (Foto Nikolai Karaneschev CC BY 3.0 DEED seitlich beschnitten)

Bevor er sich an seine Gabriele setzte, logierte Simmel zu Recherchen im Beau Rivage. Im Roman wirkt es als klassisches Grand Hotel, in dem nur Telefone klingeln und Faxgeräte schnurren. Tatsächlich war es spätestens 1998 – Simmels Roman kam 1999 heraus – auf dem neuesten Stand der Kommunikationstechnik. Das Haus stellte den Gästen Computer und Modems zur Verfügung und ermöglichte ihnen Videokonferenzen. In puncto Lokalkolorit war „Liebe ist die letzte Brücke“ also schon beim Erscheinen veraltet.

Das Hauptthema des Buches sind aber Computerviren. Sie richten sich normalerweise gegen Computer, Simmels Schädlinge greifen dagegen technische Systeme an. Der Autor erhielt die Idee von einem unbekannten Informanten. Vielleicht basierte sie auf Aktionen der CIA in den 1980er-Jahren. Der Geheimdienst präparierte damals High-Tech-Geräte, die in die UdSSR gelangten. Sie fielen bald aus, in einem Fall soll eine Gasleitung explodiert sein. Das Virus Stuxnet, das iranische Atomtechnik lahmlegte, hat Simmel nicht mehr erlebt.

Wer den Autor noch einmal live sehen möchte, findet hier eine TV-Sendung von 1982; ein jüngerer Bericht führt ins Haus Beau Rivage. Simmels Nachlass verwahrt die Universität Boston. In den „Contemporary Collections“ des Gotlieb Centers liegen auch die Papiere des Bestseller-Kollegen Hans Hellmut Kirst. Simmels Verlag brachte am 1. März eine Biographie heraus, die Claudia Graf-Grossmann verfasste. Simmel-Fans, die das Internet nicht fürchten, können auf Google Books einen Blick in „Liebe ist die letzte Brücke“ werfen.

Johannes Mario Simmel 2007 mit Marlene Dietrich und einer Hermes-Schreibmaschine aus der Schweiz  (Foto Oliver Mark CC BY-SA 4.0 DEED seitlich beschnitten)

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