Der König der Konstrukteure
Geschrieben am 23.02.2024 von HNF
Christel Hamann wurde am 27. Februar 1870 im Großherzogtum Oldenburg geboren. Nach einer Techniker-Ausbildung gründete er 1896 nahe Berlin eine Werkstatt für Rechen- und Vermessungsgeräte. Von 1907 an arbeitete er für die Firmen Mercedes und DeTeWe. Mit der Erfindung des Proportionalhebels und der Schaltklinke erneuerte Hamann die mechanische Rechentechnik. Er starb am 9. Juni 1948.
Als Erstes fällt natürlich der Vorname auf. Doch es gibt nicht nur die Christel von der Post, sondern auch einige männliche Träger des Namens; 1869 erschien in Berlin die Erzählung Der tolle Christel. Unser Christel kam am 27. Februar 1870 im Örtchen Hammelwarden an der Unterweser zur Welt. Der Vater war Grenzaufseher und Amtsbote und stand im Dienst des Großherzogtums Oldenburg.
Nach dem Ende der Schulzeit lernte Christel Hamann die Mechanik am Nautischen Institut in Bremerhaven und besuchte das lokale Technikum. Anschließend arbeitete er in Kempten im Allgäu in der feinmechanischen Firma von Albert Ott; hier befasste er sich mit einer Rechenmaschine, die der Würzburger Mathematikprofessor Eduard Selling erfunden hatte. Es folgten Tätigkeiten bei Carl Zeiss in Jena und in der Werkstatt von Carl Bamberg in Berlin. 1896 machte sich Hamann selbstständig: er gründete in Friedenau, heute ein Stadtteil von Berlin, ein Mathematisch-mechanisches Institut.
Dort schuf Hamann die Gauss, die erste Kleinrechenmaschine der Technikgeschichte. Sie hatte einen Durchmesser von 12,5 Zentimetern und wog ohne Fußplatte 850 Gramm. Die Gauss verwandelte die Leibnizschen Staffelwalzen in bogenförmige Zahnreihen auf einer Scheibe, die man mit der Kurbel drehte. Auf der Pariser Weltausstellung von 1900 wurde sie preisgekrönt, ab 1905 erfolgte die Serienproduktion. Insgesamt entstanden rund tausend Stück. Daneben fertigte Hamann die Rechenmaschine Berolina mit Sprossenrädern. Ein Einzelstück blieb seine Differenzmaschine zum Berechnen von Logarithmen.
Kurz nach der Jahrhundertwende erfand Christel Hamann ein neues Grundelement für Rechengeräte, den Proportionalhebel. Er verschiebt nebeneinander liegende Zahnstangen unterschiedlich weit; so lassen sich Ziffern speichern. Hamann nutzte das Prinzip 1903 in der Addiermaschine Plus und in einem Prototyp für eine Vier-Spezies-Maschine. Einige Jahre später erschien die kommerzielle Version mit dem Namen Euklid. Die Fertigung übernahm die 1906 in Berlin gegründete Mercedes-Bureau-Maschinen G.m.b.H. 1907 erwarb sie auch Hamanns Mathematisch-mechanisches Institut.
1908 zog sie nach Zella-Mehlis in Thüringen. In der Folgezeit produzierte Mercedes zwei Euklid-Familien. Die Typen mit geraden Nummern besaßen Tasten, die mit ungeraden hatten Schieber zum Einstellen der Zahlen. Unser Eingangsbild zeigt Modell 5 S mit Summierwerk. Die Maschinen arbeiteten mit Kurbeln oder mit elektrischem Antrieb. Einige multiplizierten und dividierten vollautomatisch; nach Eintippen der Zahlen legten sie los und stoppten, wenn das Resultat vorlag. In den frühen 1930er-Jahren erhielten die Euklid-Maschinen ein neues flaches Design, wie es nur mit der Proportionalhebel-Technik möglich war.
Zu diesem Zeitpunkt arbeitete Christel Hamann nicht mehr für Mercedes. Er schloss sich schon 1922 der Berliner Firma DeTeWe an; das Kürzel stand für Deutsche Telephonwerke und Kabelindustrie AG. Die von ihm konstruierten Rechenmaschinen enthielten als zentrales Element die Schaltklinke. Sie befand sich auf der Innenseite eines „hohlen“ Zahnrads und drehte es um eine vorher eingestellte Zahl von Positionen. Die Idee der Schaltklinke ging auf den sächsischen Ingenieur und Rechenmaschinen-Pionier Curt Dietzschold zurück.
1925 brachte DeTeWe Hamanns erste Schaltklinken-Maschine heraus. Die Manus ähnelte der Brunsviga-Rechenmaschine mit Sprossenrädern, die Schaltklinken ermöglichten aber die automatische Division. 1932 folgte die Selecta mit zwei Volltastaturen. Sie rechnete gleichfalls automatisch und bot die verkürzte Multiplikation an. Sollte eine Zahl Z etwa mit 8 malgenommen werden, wurde Z x 2 berechnet und von Z x 10 abgezogen. Mit den Selecta-Modellen erreichte die Technik der Rechenmaschinen den Höhepunkt, sieht man einmal von der Wurzelautomatik ab, die der amerikanische Hersteller Friden 1952 realisierte.
In den frühen 1930er-Jahren entwarf Christel Hamann eine Maschine zum Lösen linearer Gleichungen. 1931 meldete er eine elektrische Rechenmaschine zum Patent an. 1933 wurde Hamann Ehrendoktor der Technischen Hochschule von Berlin. Er starb am 9. Juni 1948. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in Zella-Mehlis weiterhin Mercedes-Maschinen; auch die DeTeWe setzte die Produktion von Schaltklinken-Geräten fort. 1958 verkaufte sie jedoch die Rechenmaschinensparte; es entstand die Hamann GmbH. Ihre Fertigung endete 1970.
An dieser Stelle folgt noch eine Bilderstrecke mit Hamannschen Rechenmaschinen:
Ein sehr schöner Bericht über einen der bedeutendsten RM-Konstrukteure des Zeitalters mechanischer Rechenmaschinen. Die Euklid 7 (entspricht der abgebildeten Euklid 8, aber mit Schiebereinstellung statt mit Tasten) wurde ab 1913 gebaut und war der erste kommerzielle Vollautomat der Welt. In der Regel funktionieren diese elektromechanischen Automaten heute noch.