
Die amerikanische Brunsviga
Geschrieben am 06.06.2025 von HNF
Zu den grundlegenden Techniken für Rechenmaschinen zählt das Sprossenrad. Ab etwa 1900 verbreiteten sich mit ihm ausgestattete Geräte in der Welt, zum Beispiel die deutsche Brunsviga. Vor 150 Jahren erhielt der Amerikaner Frank Baldwin ein Patent für eine solche Maschine, er baute zehn Exemplare seiner Erfindung. Später arbeitete Baldwin mit dem Rechenmaschinen-Hersteller Jay Monroe zusammen.
Geboren wurde Frank Baldwin am 10. April 1838 im US-Bundesstaat Connecticut, der Vater war Architekt. Er wuchs im Westen des Staates New York auf. Als sein Vater einen Unfall hatte, brach er das Studium ab und übernahm das Geschäft. Ab 1869 leitete er ein Sägewerk in St. Louis. Daneben machte er Erfindungen wie einen Windmesser, eine Chiffrierscheibe oder einen Schnürsenkel-Verschluss aus Metall.
Im November 1872 beantragte Baldwin ein Patent für eine „Lumber-Measure“, ein Gerät zum Vermessen von Brettern und Balken; er erhielt es am 29. April 1873 unter Nummer 138.310. In der Patentgrafik sieht man eine erstaunliche Anzahl von Zahnrädern. Das Nachdenken über Getriebe führte Baldwin zur Rechenmaschine. Im Büro einer Lebensversicherung hatte er einen Arithmometer aus Frankreich gesehen. Ihm fiel daraufhin ein besseres Konzept ein, worauf er im September 1873 ein Patent anmeldete. Es wurde am 2. Februar 1875 erteilt.
Die Rechenmaschinentechnik kennt zwei Hauptprinzipien, die Staffelwalze, ein Zahnrad mit verschieden langen Zähnen, und das Sprossenrad, bei dem sie hinausgeschoben werden. Die Staffelwalze erdachte Gottfried Wilhelm Leibniz; im späten 18. Jahrhundert finden wir sie in lauffähigen Geräten. Charles Xavier Thomas fertigte ab 1850 den erwähnten Arithmometer in Serie. Auch das Sprossenrad war eine Idee von Leibniz, die er jedoch nicht publizierte. Mehrere Erfinder bauten Versuchsmodelle, eine Serienproduktion startete Willgodt Odhner in den 1890er-Jahren in St. Petersburg.
Baldwins Maschine rechnete mit einem Sprossenrad; es ist unbekannt, ob er das Prinzip in der Literatur entdeckte oder von selbst darauf kam. In der Patentgrafik oben sitzt das Rad – eigentlich handelt es sich um einen Zylinder – rechts. In ihm stecken neun Stifte, von denen sieben ausgefahren sind: Sie verkörpern die Ziffer 7. Es gibt natürlich mehrere Reihen, in dem Patentmodell im Foto unten sind es drei. Beim Multiplizieren dreht man den Zylinder gemäß dem Multiplikator und schiebt ihn zur nächsten Dezimalstelle. Die Stifte wirken auf das Resultatwerk, außerdem wird die Zahl der Umdrehungen angezeigt.
Schon vor Erhalt des Patents erstellte Frank Baldwin zehn Exemplare seines Geräts; eines zeigt oben unser Eingangsbild (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution). Ihnen fehlt das Druckwerk, das im Patentmodell noch vorhanden ist. In einem späteren Interview erzählte Baldwin von seinen Versuchen, die Maschine zu vermarkten. Er beschuldigte dabei Willgodt Odhner, ihm das Sprossenrad-Konzept gestohlen zu haben. Dieser Vorwurf ist unbegründet; wenn überhaupt, dann plagiierte Odhner die Sprossenrad-Maschine von Abraham Staffel.
Parallel zur Rechenmaschine erfand Baldwin noch ein Addiergerät, das er Arithmometer nannte. 1874 erhielt er das Patent, er soll ein paar Stück gefertigt und verkauft haben. Für seine Schöpfungen verlieh ihm das in Philadelphia ansässige Franklin-Institut, das die Wissenschaft förderte und Ausstellungen zeigte, eine Medaille. An der weiteren Entwicklung der Rechentechnik im 19. Jahrhundert hatte Baldwin wenig Anteil. In den USA entstanden hauptsächlich Addiermaschinen mit Volltastatur, bekannte Hersteller waren Burroughs sowie Felt & Tarrant, der den Comptometer lieferte.
Um 1900 meldete Baldwin neue Patente an, etwa für eine Maschine mit Einmaleinskörper ähnlich der Schweizer Millionär. 1911 traf er den 45 Jahre jüngeren Jay Monroe. Er war Jurist, arbeitete in New York für die Technikfirma Western Electric und interessierte sich für Rechengeräte. Die beiden taten sich zusammen und gründeten 1912 in New Jersey die Monroe Calculating Machine Company. 1914 erschien ihr erstes Produkt, das auf einem Baldwin-Patent basierte, es enthielt allerdings eine Abart der Staffelwalze.

Ein verbessertes Modell von Frank Baldwins Sprossenrad-Maschine aus dem Jahr 1902 (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution)
Monroe wuchs und gedieh, nach dem Krieg baute das Unternehmen auch Computer. Von 1958 bis 1984 gehörte es der Litton Industries Inc., seit 2016 ist der Eigentümer die Firma Arlington. Jay Monroe starb 1937 mit 54 Jahren, Frank Baldwin am 8. April 1925 zwei Tage vor seinem 87. Geburtstag. Bei Tischrechnern blieben die USA bis zum Einzug der Elektronik im wesentlichen ein Staffelwalzen-Land; neben Monroe sind die Hersteller Marchant und Friden zu nennen. In Deutschland besitzt das Arithmeum in Bonn mehrere Baldwin-Maschinen; das HNF verfügt über eine Monroe D von 1915, in die Baldwins Staffelwalzen-Ideen eingingen.
Zum Schluss wünschen wir den Lesern und Leserinnen unseres Blogs alles Gute für die Pfingsttage. Wir melden uns gleich danach zurück-