Die Lady von der NSA
Geschrieben am 22.01.2016 von HNF
Es ist wieder Zeit für unser Mega-Thema Frauen und Computer. Dieses Mal geht es um eine Expertin für die digitale Kryptologie. Dorothy Blum wurde 1924 in New York geboren und arbeitete später für die National Security Agency, den US-Geheimdienst, der Codes entwickelt und knackt. 2004 wurde sie posthum in die kryptologische Ruhmeshalle der NSA aufgenommen.
Die amerikanische NSA muss nach den Enthüllungen von Edward Snowden nicht mehr groß vorgestellt werden. Seit ihrer Gründung 1952 widmet sich die National Security Agency, was böse Zungen mit „Staatssicherheitsdienst“ übersetzen, der Ver- und Entschlüsselung von technisch übermittelten Nachrichten. Dabei kommen besonders beim Dechiffrieren Computer aller Art zum Einsatz.
Dorothy Blum arbeitete wohl von Beginn an in der NSA, denn sie war schon in der Vorgängerin tätig, der seit 1949 aktiven Armed Forces Security Agency AFSA, und in deren Vorläufer. Überliefert ist, dass sie in der AFSA mit dem Rechner SEAC zu tun hatte, den das National Bureau of Standards, die amerikanische Behörde für Maße und Gewichte, in eigener Regie baute und im Mai 1950 in Betrieb nahm. Die Army-Kryptologen durften den Computer aber nur nachts und am Sonntag benutzen.
Geboren wurde Dorothy Blum als Dorothy Toplitzky am 21. Februar 1924 in New York; die Eltern waren Einwanderer aus dem alten Österreich-Ungarn. „Dottie“ besuchte ein College im New Yorker Stadtteil Brooklyn, erwarb den Bachelor und trat 1944 in die Entschlüsselungsabteilung der US-Armee ein. Um 1950 heiratete sie den Mathematiker Joseph Blum, der gleichfalls Karriere in der NSA machte. Später wurde sie dann Mutter eines Sohnes.
Im Geheimdienst hatte Dorothy Blum eine besondere Beziehung zur Firma IBM. Die dort entwickelte Programmiersprache FORTRAN lernte sie schon drei Jahre vor der offiziellen Einführung kennen, die 1957 erfolgte. Und am 3. Mai 1954 finden wir sie – siehe ganz oben – auf einem bemerkenswerten Gruppenfoto, das anlässlich der Vorstellung des Röhrenrechners IBM 704 entstand. Der Schauplatz war die IBM-Schule im früheren Firmensitz Endicott im US-Bundesstaat New York.
Dorothy Blum steht in der ersten Reihe. Der Herr mit Bart direkt neben ihr ist der Astronom und Informatiker Herbert Grosch, damals bei General Electric angestellt; auf der anderen Seite steht der amerikanisch-armenische Mathematiker Ervand Kogbetliantz. In der rechten oberen Ecke lächelt der junge Gene Amdahl in die Kamera, der sich 1970 selbstständig machte. Ruft man das komplette Bild auf, erkennt man ganz links in der dritten Reihe auch FORTRAN-Entwickler John Backus.
Zum Zeitpunkt der Aufnahme lief in der NSA schon eine IBM 701, mit der man aber nicht zufrieden war: Bei zu hoher Luftfeuchtigkeit spielte die Maschine verrückt. Auf die neuen Modelle des Typs 704 musste die Agency eine Weile warten; das erste kam 1956, zwei weitere wurden 1957 installiert. In den Tiefen des Internets gibt es Hinweise auf eine Kollegin von Dorothy Blum, Henriette Avram, die Programme für jene IBM 701 schrieb. Nach ihrem Weggang von der NSA entwickelte Frau Avram in den 1960er-Jahren das weltweit verbreitete bibliographische Datenformat MARC.
Nach und nach stieg Dorothy Blum in der NSA-Hierarchie auf und erhielt 1972 eine Führungsposition; ein zweiter Karrieresprung erfolgte 1977. Im Oktober 1980 starb sie im Alter von nur 56 Jahren. Wegen ihrer Erfolge beim Computereinsatz und ihrer Verdienste im Management wurde sie 2004 posthum in die Cryptologic Hall of Honor des Geheimdienstes aufgenommen. Schon 1983 schuf die NSA eine interne Auszeichnung, die ihren Namen trägt, den Dorothy T. Blum Award.
Auf dem Papier und in einer Online-Übersicht treffen wir weitere erfolgreiche NSA-Frauen, und der jetzige Geschäftsführer oder „acting deputy director“ des Dienstes ist eine Geschäftsführerin. Die NSA rückte auch eine interne Broschüre zu ihrer frühen Computergeschichte heraus, die mit dem Rechner HARVEST endet, den die IBM im Jahr 1962 lieferte. Was Dottie Blum und ihre Kollegen mit der teuren Krypto-Hardware anstellten, wird natürlich nicht verraten.
Zum Schluss sei der Hinweis erlaubt, dass die Krypto-Ausstellung des HNF auch Leihgaben aus dem National Cryptologic Museum der NSA zeigt, etwa das Chiffriergerät M-94, eine Rotormaschine nach Edward Hebern oder ein Bauteil aus einer Verschlüsselungsmaschine, die 1945 in der japanischen Botschaft in Berlin gefunden wurde. Manchmal sind geheime Dienste ja gar nicht so.
Eingangsbild: Columbia University