Die Taten der Treulosen Acht
Geschrieben am 19.09.2017 von HNF
Es klingt wie ein Western: die Treulosen Acht. Tatsächlich ist es der Spitzname für eine Gruppe amerikanischer Ingenieure und Forscher. Sie gründeten am 19. September 1957 die Halbleiter-Abteilung der Kamerafirma Fairchild; zuvor arbeiteten sie für William Shockley, der den Transistor erfand. Ihre Produkte prägten die Mikroelektronik, und das Unternehmen wurde zur Keimzelle des Silicon Valley.
Unsere Geschichte beginnt schon 1956. In jenem Jahr gründete der Physiker und Transistor-Pionier William Shockley seine Halbleiterfirma im kalifornischen Mountain View. Zuvor hatte er bei den berühmten Bell-Laboratorien im Bundesstaat New Jersey gearbeitet. Freunde und Kollegen zeigten wenig Neigung, ihm an den Pazifik zu folgen. Kalifornien beherbergte zwar Flugzeugwerke und Medientechnik, die Elektronikindustrie saß aber größtenteils im Osten der USA. Shockley stellte deshalb jüngere Forscher ein, die nicht ortsgebunden waren.
Die mussten dann unter ihrem Chef einiges erdulden. William Shockley war ein notorischer Geheimnistuer und zugleich ein Kontrollfreak, auf jeden Fall ein schlechter Manager. Im Juni 1957 baute Shockleys Geldgeber, der Fabrikant Arnold Beckman, die Firmenspitze um, doch es war zu spät. Acht Shockley-Angestellte trafen sich mit zwei Risikokapitalgebern in einem Hotel in San Francisco und bereiteten ihren Abgang vor. Ihre Abmachung dokumentierten die Männer auf zehn Dollar-Noten durch zehn mal zehn Unterschriften.
Der 18. September 1957 war der letzte Arbeitstag der acht Rebellen bei William Shockley. Der war gar nicht begeistert und nannte sie Verräter; in der Elektronikgeschichte gelten sie als die Treulosen Acht („Traitorous Eight“). Einen Tag später unterzeichneten sie die Verträge für ihre neue Firma. Unser Eingangsbild zeigt sie im Jahr 1960. Von links nach rechts sitzen dort Gordon Moore, Sheldon Roberts, der in Wien geborene Eugene Kleiner, Robert Noyce, Victor Grinich, Julius Blank, der gebürtige Schweizer Jean Hoerni und ganz rechts Jay Last.
Das große F an der Wand steht für Fairchild Semiconductor – so hieß ihre neue Firma. Offiziell war diese ein Zweig des Kameraherstellers Fairchild aus dem östlichen US-Staat Delaware. Einige Wochen lang belegte man eine Garage; im November zog Fairchild Semiconductor in ein richtiges Gebäude in Palo Alto, dem Nachbarort von Mountain View. Geführt wurde sie zunächst von einem Manager der fernen Mutterfirma. Robert Noyce fungierte vor Ort als technischer Direktor. Später übernahm er dann den Chefposten.
1958 brachte Fairchild Semiconductor das erste Produkt heraus, den Silizium-Transistor 2N697. Er war ein Erfolg wie auch das nächste Modell von 1960. Der 2N1613 war der erste Planar-Transistor und wurde mit einem von Jean Hoerni erfundenen Verfahren hergestellt. Solche Transistoren übertrafen die älteren an Zuverlässigkeit und ließen sich zu integrierten Schaltungen oder ICs kombinieren. 1961 produzierte Fairchild Semiconductor die erste Schaltung dieser Art, die vier Transistoren und zwei elektrische Widerstände vereinte.
Dieser Chip leitete die moderne digitale Mikroelektronik ein. Fairchild Semiconductor erlebte einen beispiellosen Aufstieg und war 1966 die zweitgrößte US-Elektronikfirma hinter Texas Instruments. Die Treulosen Acht verkleinerten sich aber schon 1961 um die Hälfte; vier Mitglieder schlossen sich einem anderen Unternehmen an. Im März 1968 verabschiedeten sich Gordon Moore und Robert Noyce und gründeten die Firma Intel. Die letzten der acht Verräter, Victor Grinich und Julius Blank, sagten bis 1969 Fairchild Lebewohl.
Auch andere hochqualifizierte Mitarbeiter suchten sich in den 1960er-Jahren neue Jobs. Federico Faggin und Andrew Grove machten bei Intel weiter; ersterer schuf dort den ersten Mikroprozessor, letzter rückte in die Firmenspitze auf. Jerry Sanders gründeten die Firma AMD, die Intels Erzrivale wurde. Die Historiker führen letztlich jeden Chiphersteller im Silicon Valley auf Fairchild zurück. Das Unternehmen selbst gibt es nicht mehr. Nach mehreren Besitzer- und Ortswechseln wurde es 2016 von ON Semiconductor geschluckt.
Von den acht Gründern leben noch Gordon Moore – der mit dem Gesetz – und Jay Last. Man könnte vielleicht sagen, die „Traitorous Two“.
Nach dem Exodus der „Treulosen Acht“ war wieder genug Platz in Shockleys Labor u.a. für Hans-Joachim Queisser, den Göttinger HL-Spezialisten, der 1959 zu dem Nobelpreisträger kam und als einziger Deutscher die Gründungsphase des Silicon Valley – aber gleichzeitig auch den Niedergang von Shockleys Firma – ‚live‘ miterlebte. Sein (vergriffenes) Buch „Kristallene Krisen“ ist ein persönlicher Bericht aus dieser Epoche. Queisser gilt neben William Shockley als einer der Väter der Photovoltaik.