Die zweite Geburt des Transistors

Geschrieben am 13.08.2018 von

Im Dezember 1947 führten William Shockley, John Bardeen und Walter Brattain in den Bell-Laboratorien den ersten Transistor vor. Bekannt wurde er im Juni 1948. Zu diesem Zeitpunkt wussten auch zwei deutsche Physiker in Frankreich, dass Halbleiter aus Germanium Strom verstärken. Am 13. August 1948 meldeten Herbert Mataré und Heinrich Welker das „Transistron“ zum Patent an.

Am 30. Juni 1948 begann das Zeitalter der Mikroelektronik. Vor Journalisten in New York verkündete Ralph Bown, Forschungsleiter der Bell-Laboratorien, den Transistor. Der neue kleine Verstärker sollte die schon länger bekannte und weit verbreitete Elektronenröhre ersetzen. Die Reaktion der Presse war zunächst verhalten. Die „New York Times“ steckte ihre Meldung auf Seite 46 zu den Rundfunknachrichten. Ausführliche Beschreibungen brachten einige Woche später aber die Elektronikmagazine.

Mit den Jahren erwies sich der Transistor als eine der wichtigsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Das Grundmodell, der Spitzentransistor mit Germanium-Kristall, ging auf die Physiker John Bardeen und Walter Brattain zurück. Ihr Vorgesetzter William Shockley schuf parallel dazu den Flächentransistor, der sich im Markt durchsetzte. Alle drei erhielten dafür 1956 den Physik-Nobelpreis. Was das Bell-Team nicht ahnte: Auch in Frankreich hatten zwei Forscher ohne Kenntnis der amerikanischen Arbeiten einen Spitzentransistor entwickelt. Das waren Herbert Mataré und Heinrich Welker.

Herbert Mataré wurde 1912 in Aachen geboren. Sein Vater war Künstler, sein Onkel der bekannte Maler und Bildhauer Ewald Mataré. Herbert neigte mehr zur Physik und studierte sie in Genf und in Aachen. Ab 1939 arbeitete er im Forschungslabor von Telefunken in Berlin; hier widmete er sich vor allem der Funkmesstechnik – besser kennt man sie unter dem Wort Radar. 1943 zog das Labor nach Schlesien um; später floh man westwärts. Herbert Matarè kam 1945 nach Hessen; 1946 erhielt er eine Assistentenstelle in der RWTH Aachen.

Herbert Mataré in den 1960er-Jahren

Auch Heinrich Welker war Jahrgang 1912. Er stammte aus Ingolstadt und studierte Physik in München. 1936 promovierte er und wurde Assistent an der dortigen Universität. Besonders interessierte ihn die Supraleitung. Nach 1939 war Welker in der Kriegsforschung und danach im Physikalisch-Chemischen Institut der Münchner Uni tätig. Einen von ihm erfundenen Germanium-Gleichrichter produzierte Siemens in großer Stückzahl. Ab 1945 betrieb Welker ein Ingenieurbüro im bayerischen Planegg.

Beide Forscher nahmen dann das Angebot an, in Frankreich ein Labor für Halbleiter-Dioden aufzubauen. Ihr Arbeitgeber war die Compagnie des Freins et Signaux Westinghouse CSFW. 1892 als Zweig des amerikanischen Westinghouse-Konzerns gegründet, löste sich die CSFW bald von der Muttergesellschaft. Anfang 1947 richteten sich Mataré und Welker in einem leeren Haus im Pariser Vorort Aulnay-sous-Bois ein. Anfang 1948 lagen drei Typen von Germanium-Dioden vor, worauf CSFW die Fertigung einer Nullserie begann.

Im Labor untersuchte Herbert Mataré auch parallele Stromflüsse durch Germanium. Er setzte zwei Drähte auf ein Kristall und fand immer wieder Wechselwirkungen: Ein schwacher Strom in der einen Leitung beeinflusste den stärkeren in der anderen. Mit seinem Kollegen schrieb er die Patentanmeldung „Nouveau système cristallin à plusieurs électrodes réalisant des effets de relais électroniques“ und reichte sie am 13. August 1948 ein. Der Ausdruck „relais“ heißt hier Verstärker. Das Patent wurde im März 1952 mit Nummer 1.010.427 gewährt

Ob die im Text genannten „Docteurs Henri Welker et Herbert-Francois Mataré“ im August 1948 schon vom US-Transistor wussten, ist unklar. Französische Zeitschriften berichten davon erst im September. Das amerikanische Physical Review brachte im Juli den Artikel von Bardeen und Brattain, doch Mataré hätte ihn nur in Paris lesen können. Sein Patent erwähnte die Bell-Laboratorien nicht, vermutlich kam er ganz allein auf sein System. Faktisch handelte es sich natürlich um einen Spitzentransistor.

Heinrich Welker 1970 (Foto Siemens AG)

Am 18. Mai 1949 enthüllte Eugène Thomas, der Staatssekretär für die Post, die Erfindung in Paris. Um Patentstreitigkeiten aus dem Weg zu gehen, wurde sie als Transistron bezeichnet. Im gleichen Jahr fertigte die Firma CSFW Tausend Stück; danach schlief die Produktion wieder ein. Die Germanium-Diode war erfolgreicher und wurde als „Westectal“ verkauft. Zu der Präsentation des Transistron liegen kaum Dokumente vor, hier sind Fotos des ersten Serienmodells. Unser Eingangsbild zeigt die Patentgrafik mit den beiden Zuleitungen.

In den frühen 1950er-Jahren kehrten Herbert Mataré und Heinrich Welker in die Heimat zurück. Ab 1952 leitete Mataré die in Düsseldorf gegründete Technikfirma Intermetall; sie produzierte Germanium-Dioden und Transistoren. Auf der Funkausstellung 1953, die ebenfalls in Düsseldorf stattfand, zeigte sie ein Transistorradio aus Plexiglas. Welker übernahm 1951 die Halbleiter-Forschung am Siemens-Standort Erlangen. Von 1973 bis 1977 war er Forschungschef des gesamten Konzerns. Er starb 1981 in Erlangen.

Herbert Mataré siedelte 1954 in die USA über, wo er in verschiedenen Positionen tätig war. 1970 startete er in Kalifornien eine eigene Beratungsfirma. Kurz vor seinem Tod nahm die BBC für einen Wissenschaftsfilm zwei Clips mit ihm auf – bitte diesen und den folgenden Link anklicken. Im zweiten Video sieht man zu Anfang auch den Prototyp des Transistron. Noch mehr Informationen liefert die exzellente Dissertation von Kai Christian Handel.

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3 Kommentare auf “Die zweite Geburt des Transistors”

  1. Der erst vor wenigen Monaten verstorbene belgische Wirtschaftsfachmann und Autor Armand van Dormael (6.3.1916 – 14.3.2018) hat Herbert Mataré und Heinrich Welker in seinem Sachbuch „The Silicon Revolution“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Van Dormael war gut mit Mataré bekannt, wie mir seine Witwe berichtete.

  2. Spannend! In Düsseldorf Meerbusch ist sogar ein Gymnasium nach Mataré benannt.

  3. Vielen Dank für den Artikel, wie gehabt mit sehr informativen Quellen. Vor allem das Video von der Produktion in Illinois ist vielsagend: manuelle Handarbeit, vor allem von Frauen ausgeführt; Komponenten noch alle made in the US; und die nationale Überhöhung, dass die Hälfte der Arbeiterschaft der USA mitbeteiligt gewesen sei

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