Die zweite Geburt des World Wide Web

Geschrieben am 23.01.2023 von

Ein Browser ist das Tor ins Internet, denn er öffnet uns die Daten des World Wide Web. Den ersten schuf Tim Berners-Lee, als er 1990 die Software für jenes Netz erstellte. Den größten Einfluss auf die Entwicklung des WWW hatte der Mosaic-Browser. Ihn schrieben vor dreißig Jahren zwei junge Amerikaner, Eric Bina und Marc Andreessen.

„Ermächtigt durch niemand besonderen veröffentliche ich die Alpha/Beta-Version 0.5 des motif-basierten Netzwerk-Informationssystems und World-Wide-Web-Browser X Mosaic des NCSA:   file://ftp.ncsa.uiuc.edu/Web/xmosaic/xmosaic-0.5.tar.Z   Diese Veröffentlichung von X Mosaic ist für die folgenden Plattformen geeignet: SGI (IRIX 4.0.2) IBM (AIX 3.2) Sun 4 (SunOS 4.1.2 mit X11R4 und Motif 1.1)“

Die obige Mitteilung erschien in der Mailing-Liste www-talk@nxoc01.cern.ch des Genfer Atomforschungszentrums CERN am 23. Januar 1993. Ihr Absender war der amerikanische Informatikstudent Marc Andreessen – zu ihm sagen wir gleich mehr. Dass er sie ans CERN schickte, hatte seinen Grund. Dort entwickelte der englische Physiker Tim Berners-Lee 1990 das World Wide Web oder WWW. In der Folgezeit schloss sich eine Reihe von Hochschulen dem Netzwerk an. Genf blieb die inoffizielle Zentrale und betrieb das erwähnte Postfach.

Eine Routine zur Präsentation der Daten besaß schon die Urversion des World Wide Web. 1991 schrieb Nicola Pellow, eine Praktikantin von Tim Berners-Lee, einen Browser mit einer Kommandozeile. Der bekannteste frühe Browser hieß Viola. Der chinesisch-amerikanische Informatikstudent Pei-Yuan Wei machte ihn im April 1992 zugänglich, worauf das CERN ihn den WWW-Nutzern empfahl. Viola verfügte schon über eine grafische Benutzeroberfläche, er lief allerdings nur auf Computern mit Unix oder einem vergleichbaren Betriebssystem.

Das National Center for Supercomputing Applications   (Foto Don J. Schulte CC BY-NC-SA 2.0 seitlich beschnitten)

Mit Browsern befasste sich auch ein Student der Universität von Illinois, die in der Doppelstadt Urbana-Champaign südlich von Chicago liegt. Marc Andreessen wurde am 9. Juli 1971 geboren und wuchs in New Lisbon im US-Bundesstaat Wisconsin auf. Zur Informatik kam Andreessen durch den Computer seiner High School und vor allem durch einen Commodore C64, den ihm seine Eltern schenkten.

Als Studienanfänger jobbte Marc Andreessen für IBM in Texas und für das NCSA auf dem Campus seiner Hochschule. Das Nationale Zentrum für Supercomputer-Anwendungen wurde 1986 mit staatlicher Hilfe gegründet. Es machte sich schnell einen Namen in der Fachwelt durch das Netzwerk NCSA Telnet. 1992 installierte die Abteilung für Software-Entwicklung einen Server für das World Wide Web. Er trug den schönen Namen Hoohoo, auf Deutsch „Huhu“, und führte die WWW-Stützpunkte an, die Tim Berners-Lee damals auflistete.

In der zweiten Jahreshälfte 1992 war Andreessen Praktikant in der erwähnten Abteilung. Er lernte das World Wide Web kennen sowie den Browser Viola, und er freundete sich mit einem der Programmierer an. Eric Bina war Jahrgang 1964 und hatte sein Studium schon abgeschlossen. Er interessierte sich ebenfalls für Netze und Browser und kannte sich mit Unix aus. Die zwei taten sich zusammen und gewannen einige andere Leute zur Mitarbeit. Anfang Dezember begann das Team mit der Entwicklung eines neuen Browsers.

Mosaic-Gedenktafel vor dem Haus (Foto Marc Smith CC BY-SA 2.0 seitlich beschnitten)

Die „Alpha/Beta Version 0.5“ lag – siehe oben – vor genau dreißig Jahren vor und konnte im Netz heruntergeladen werden. Sie trug den Namen X Mosaic; das X wies auf die Software gleichen Namens hin, die eine grafische Benutzeroberfläche auf Unix und Unix-ähnlichen Betriebssystemen erzeugte. Die Version 1.0 von Mosaic gab Marc Andreessen am 22. April 1993 bekannt. Bis zum September des Jahres folgten Varianten für Apple-Computer und für Microsoft Windows. Hier ist ein Screenshot von Anfang 1997.

Im Unterschied zu Viola konnte Mosaic Bilder im Text anzeigen, man musste keinen Link anklicken. Der Browser ließ sich leicht installieren, für private Nutzer war er kostenlos. Ende 1993 zählte das NCSA mehr als fünftausend Downloads pro Monat. Im März 1994 entdeckte der SPIEGEL die Software: „So lassen sich über WWW bereits alle im Netz angebotenen Dienste […] durch Anklicken von Symbolen und Stichwörtern auf dem Bildschirm abrufen, etwa mit Hilfe der PC-Software Windows und der Suchhilfe (‚Viewer‘) Mosaic…“

Der Viewer machte das junge World Wide Web populär und schuf das Internet-Universum, das wir kennen. Bald stellten sich Nachfolger ein. Im Blog berichteten wir vom Börsengang der Firma Netscape im August 1995. Am Entwurf dieses Navigators wirkten Marc Andreessen und Eric Bina mit. Ein Abkömmling des Mosaic-Browsers war der Internet Explorer, der dann jahrelang den Markt beherrschte. Heute ist der Browserkrieg der 1990er-Jahre Geschichte, mittlerweile dominiert Google Chrome. Andressen brachte es zum Milliardär, Bina gilt als der unbesungene Held der Web-Entwicklung.

Unser Eingangsbild zeigt natürlich den Mosaic-Browser. Historische Fotos seiner Autoren dürfen wir nicht direkt anzeigen, sondern nur mit Links zu Eric Bina und Marc Andreessen. Manchmal ist der Fortschritt eben doch nicht so groß wie man denkt.

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