E-Mail: von Computer zu Computer

Geschrieben am 26.11.2021 von

Sendetag und Inhalt sind nicht genau bekannt. Wir wissen nur, dass der amerikanische Ingenieur Ray Tomlinson im November oder Dezember 1971 die erste E-Mail im Netzwerk ARPANET verschickte. Sie ging von einem Computer zu einem zweiten, der neben ihm stand. Aus dem geglückten Experiment wurde die populärste Anwendung des Internets neben dem World Wide Web.

Manche Leute nannten sie die dritte Universität im amerikanischen Cambridge; die Firma Bolt Beranek and Newman, kurz BBN. In den 1960er-Jahren erregten ihre Leistungen so großes Aufsehen in der Technikwelt, dass Mitarbeiter der nahen Harvard-Universität und des benachbarten Massachusetts Institute of Technology neidisch wurden. So schuf BBN die Prozessoren, die ab 1969 die Vernetzung von Computern im ARPANET ermöglichten. Heute gehört das Unternehmen zum Raytheon-Konzern.

Vor fünfzig Jahren hatte Bolt Beranek and Newman mehr als rund 600 Angestellte. Einer von ihnen war Raymond „Ray“ Tomlinson. Geboren 1941 im ländlichen Norden des US-Staates New York, studierte er Elektrotechnik im Rensselaer-Polytechnikum in der gleichen Gegend. Nach seinem Abschluss 1963 wechselte er nach Cambridge zum MIT; dort machte er 1965 den Master. 1967 fing er bei BBN an. Hier befasste er sich mit dem Betriebssystem TENEX; es lief auf Großrechnern des Typs PDP-10 von Digital Equipment.

Die PDP-10 diente auch zum Time-Sharing. Dabei war sie mit Terminals verbunden, von denen sie Daten und Anweisungen erhielt. Sie sprang von einem Terminal zum nächsten und widmete sich dem betreffenden User. Ray Tomlinson schrieb nun zwei Programme SNDMSG („Send message“) und READMAIL. Mit ihrer Hilfe konnten die Benutzer sich Nachrichten zuschicken. Die Idee war nicht neu; das erste Mail-Programm für ein Time-Sharing-System entstand schon 1963. Tomlinson erstellte außerdem ein Programm CPYNET („Copy net“) zum Versenden von Dateien.

Ray Tomlinson 2004 (Foto Andreu Veà CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten)

Ray Tomlinson zählte nicht zu der Gruppe, die bei BBN die Interface Message Processors für das ARPANET entwickelte. Er wusste aber von dem Projekt und von der im Oktober 1969 begonnenen Installierung des Computernetzes. Im März 1970 erhielt Brown Beranek and Newman den Anschluss Nr. 5; die ersten vier lagen im Westen der USA in Kalifornien und in Utah. Die Firma avancierte darüber hinaus zum Netzwerk-Kontrollzentrum NCC, das rund um die Uhr den Zustand des ARPANET überwachte und Fehlermeldungen entgegennahm.

Im ARPANET war es Brauch, Verbesserungsvorschläge in Form von Requests for Comments oder RFCs abzugeben. Am 20. Juli 1971 reichte der im Stanford-Forschungsinstitut SRI tätige Richard Watson ein Mail Box Protocol ein. Es beschrieb eine Methode, um eine Textdatei über das Netz von einem Computer an einen Drucker zu senden. Sie wurde nicht realisiert, doch Ray Tomlinson las den RFC Nr. 196, der ihn auf eine Idee brachte. Er kam darauf, dass man solche Dateien auch von einem Computer an einen zweiten übermitteln könnte.

Der Ingenieur kombinierte nun SNDMSG, READMAIL und CPYNET zu einem neuen Programm für Computer mit dem Betriebssystem TENEX. Es verschickte und empfing Botschaften über das ARPANET. Sie wurden im Postfach eines Users wie die Mails abgelegt, die über das Time-Sharing-System einliefen. Was noch fehlte, war ein Kennzeichen der ARPANET-Eingänge. Hierfür dachte sich Ray Tomlinson die Kombination aus dem Namen des Benutzers, dem Zeichen @ („at“) und der Bezeichnung des Servers aus. Damit war die E-Mail geboren.

Die zwei ARPANET-Computer der Firma BBN mit den zugehörigen Teletype-Fernschreibern

Gegen Ende des Jahres 1971 – der genaue Tag ist nicht bekannt – testete Tomlinson sein Programm am Arbeitsplatz. Er hatte Zugang zu einem Raum mit zwei PDP-10-Computern, die beide ans ARPANET angeschlossen waren. Er setzte sich an den Fernschreiber und tippte nach der Adresszeile wahrscheinlich einen sinnfreien Text wie „qwertyuiop“ oder „etaoin shrdlu“. Nach dem Abschicken ratterte der ein paar Meter weiter stehende Fernschreiber des anderen Rechners und brachte die Botschaft zu Papier. In den folgenden Tagen informierte Tomlinson seine BBN-Kollegen, natürlich per Mail.

Das Senden von E-Mails breitete sich zunächst eher inoffiziell aus. Am 5. September 1973 erschien der RFC Nr. 561, der ein standardisiertes Mail-Format formulierte. Es fehlte aber der Klammeraffe @. Bis sich für alle Computer und Betriebssysteme eine verbindliche Struktur durchsetzte, dauerte es noch eine Weile; eine Chronologie vermittelt dieser Artikel. E-Mails entwickelten sich zur wichtigsten Nutzung des ARPANET und des aus ihm hervorgehenden Internets. Das änderte sich erst in den 1990er-Jahren mit dem World Wide Web.

Im Blog erzählten wir von der E-Mail, die Königin Elizabeth II. 1976 in England absetzte. Als erste elektronische Post in Deutschland gilt allgemeine eine Nachricht, die am 3. August 1984 in der Universität Karlsruhe eintraf. Ihre Geschichte und Vorgeschichte sind allerdings komplizierter; der Empfänger der Mail, der Internet-Pionier Werner Zorn, hat die wahren Ereignisse hier dargestellt. E-Mail-Erfinder Ray Tomlinson starb leider 2016. Vier Jahre vorher wurde er in die Internet-Ruhmeshalle aufgenommen, das Video dazu ist hier.

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