E. T. A. Hoffmann und die Automaten der Phantasie
Geschrieben am 24.06.2022 von HNF
Vor zweihundert Jahren, am 25. Juni 1822, starb in Berlin der Jurist, Komponist und Autor Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, bekannt als E. T. A. Hoffmann. Am 24. Januar 1776 wurde er in Königsberg geboren. Seine teils märchenhaften, teils unheimlichen Geschichten zählen zur Weltliteratur. Die Erzählung „Die Automate“ befasste sich mit dem Thema der Künstlichen Intelligenz.
Er war, wie man heute sagt, ein Multitalent. Er schrieb kürzere und längere Geschichten und einen Roman, er komponierte eine Sinfonie, eine Oper und andere Musikstücke, die er auch dirigierte, er fertigte Zeichnungen und Karikaturen an und verfasste juristische Schriftsätze. Er gehörte zu den Sehenswürdigkeiten des alten Berlin. Last not least widmete er sich der Hochtechnologie seiner Zeit, den Automaten.
Das Leben von Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann begann am 24. Januar 1776 in Königsberg. Sein Vater, ein Advokat, verließ seine Familie, als der Junge zwei Jahre alt war. Hoffmann besuchte in seiner Geburtsstadt das Gymnasium und studierte die Rechte. Ab 1800 arbeitete er im Staatsdienst in den Städten Posen und Plock und im damals preußischen Warschau. Als Mozart-Fan legte er sich 1804 den Vornamen Amadeus zu. 1808 zog E. T. A. Hoffmann nach Bamberg und 1813 nach Dresden; das Geld zum Leben verdiente er als Orchesterleiter und als Schriftsteller.
1814 erhielt Hoffmann eine Anstellung am Berliner Kammergericht. Er war außerdem ein erfolgreicher Autor und Komponist und stadtbekannt. Im Januar 1822 erkrankte er an einer Lähmung, die den ganzen Körper erfasste. Er starb am 25. Juni des Jahres; sein Grab befindet sich in Kreuzberg. Sein literarisches Werk wird der Romantik zugerechnet. Im Ausland fand E. T. A. Hoffmann mehr Anerkennung als in der Heimat, das schönste Zeugnis ist die von Jacques Offenbach in Paris geschaffene Oper Hoffmanns Erzählungen.
Wir verdanken ihr unter anderem Olimpia, eine künstliche Frau. Ihr Auftritt geht auf die Novelle Der Sandmann von 1816 zurück, in der sie eine Nebenfigur ist. Zwei Jahre zuvor schrieb E. T. A. Hoffmann eine Geschichte, in der ein humanoider Roboter eine tragende Rolle spielte: „Die Automate“ Am 9. Februar 1814 druckte die Allgemeine Musikalische Zeitung einen Auszug. Komplett erschien der Text in mehreren Folgen im April 1814 in der Zeitung für die elegante Welt. In einem Durchlauf kann man ihn hier nachlesen.
Die Protagonisten sind zwei Freunde, Ludwig und Ferdinand, eine sangesfrohe junge Dame und der mysteriöse Professor X. Er sammelt Musikautomaten und baute einst den redenden Türken, mit dem unsere Geschichte einsetzt. Dieser Automat reagiert auf Fragen, die man ihm ins Ohr flüstert. Seine Antworten haben die Eigenschaft, dass sie „mit tiefem Blick in die Individualität des Fragenden bald trocken, bald ziemlich grob spaßhaft und dann wieder voll Geist und Scharfsinn und wunderbarerweise bis zum Schmerzhaften treffend waren“.
Der Türke ist natürlich E. T. A. Hoffmanns Antwort auf die Schachmaschine des Wolfgang von Kempelen. Dass in ihm ein Mensch steckt, schließen wir aus, an einer Stelle vermutet der oben genannte Ludwig eine akustische Täuschung. Die nötige Technik stand in einem Buch von 1779, das Hoffmann kannte. Er wusste wahrscheinlich auch, dass von Kempelen eine Sprechmaschine erfand. Der Automat könnte ein ähnliches Gerät besessen haben, das mit einer mechanischen Programmierung sinnvolle Sätze von sich gab.
Die Handlung der Geschichte ist schnell erzählt. Ferdinand hört in einem Gasthaus in Danzig die junge Dame, als sie eine Opernarie anstimmt. Er verliebt sich unsterblich, kann aber nur einen kurzen Blick von ihr erhaschen. Als der sprechende Türke in die Stadt kommt, besucht er eine Vorstellung und fragt ihn: „Werde ich künftig noch einen Moment erleben, der dem gleicht, wo ich am glücklichsten war?“ Die Antwort des Türken lautet: „Unglücklicher! In dem Augenblick, wenn du sie wieder siehst, hast du sie verloren!“
Später erfahren wir, dass die Sängerin die Tochter oder Enkelin von Professor X ist. Am Ende trifft Ferdinand sie in einer Dorfkirche an, wo sie einem Mann das Ja-Wort gibt. Die Prognose hat sich erfüllt. Neben der Haupthandlung erhalten wir Einblicke in die Automatensammlung des Professors und erleben Gespräche von Ludwig und Ferdinand über mechanische Musik. E. T. A. Hoffmann war mit ihr bestens vertraut; darüber hinaus erwähnte er die Automaten von Jacques Vaucanson und die weniger bekannten Schöpfungen von Johann Carl Enslen.
Die Figur des Professors X wurde vielleicht durch den Instrumentenbauer Johann Gottfried Kaufmann inspiriert. Hoffmann sah in Dresden seinen automatischen Trompeter, der sich heute im Deutschen Museum München befindet. Denkbar wäre auch eine Anspielung auf den Mechaniker und Impresario Johann Nepomuk Mälzel, der damals aber erst 41 Jahre alt war. Die Erzählung nennt noch einen „Hofrat B.“, der ebenfalls Automaten schätzte. Hinter ihm steckt mit ziemlicher Sicherheit der Arzt und Naturforscher Gottfried Christoph Beireis.
Was wollte uns E. T. A. Hoffmann mit seinem Text sagen? Es bieten sich zwei Interpretationen an. Wir können „Die Automate“ als Science-Fiction-Story lesen: Der redende Türke wäre dann ein Beispiel für angewandte Künstliche Intelligenz. Die Erzählung lässt sich zweitens als eine Satire auf die Automatenbegeisterung und als frühe KI-Kritik deuten. Die 1816 entstandene Geschichte vom Sandmann verschärfte die Kritik; die Androide Olimpia singt und tanzt, ihre Dialoge beschränken sich aber auf die Worte „Ach, ach!“.
Wer mehr über E. T. A. Hoffmann wissen will, kann das ihm gewidmeten Portal und seine digitale Sammlung studieren. Veranstaltungen zum Hoffmann-Jahr sind hier gelistet. Bis zum 8. August läuft eine Ausstellung über den Autor im Musikinstrumenten-Museum von Berlin. „Die Automate“ wurden nie verfilmt, „Hoffmanns Erzählungen“ umso mehr. Das ist die Olimpia-Arie aus der Ost-Berliner Inszenierung von 1970. Hoffmanns Stammlokal am Gendarmenmarkt fiel dem Bombenkrieg zum Opfer; 1997 erstand es wieder neu.
Zum Schluss kehren wir zum redenden Türken zurück. Seit 2010 besitzt das HNF eine Sprechmaschine nach dem Konzept Wolfgang von Kempelens, sie ist unten abgebildet. Sie kommt vom Musikwissenschaftler und Linguisten Fabian Brackhane. Er erstellte zu ihr auch eine Publikation: Achtung, 18 Megabyte. Das Video zeigt an einem Schwestermodell die Bedienung und das Innere. Jetzt können wir uns vorstellen, was der verliebte Ferdinand 1814 bei der Vorführung des intelligenten Automaten hörte.