Ein Computerpionier aus Polen
Geschrieben am 21.02.2020 von HNF
Auch in Osteuropa entstanden Computer. Sie sind uns nicht so vertraut wie die Modelle aus westlichen Ländern, aus Japan oder der DDR. Heute erinnern wir an einen Entwickler aus Polen, der vor zehn Jahren starb: Jacek Karpiński. Er baute Analog- wie Digitalrechner; 1973 schuf er einen Minicomputer. Danach bekam er einigen Ärger mit der Politik.
Östlich der Oder nennt man ihn manchmal den „Polski Bill Gates“. Der Vergleich hinkt aber sehr, ganz abgesehen vom Altersunterschied und dem Privatvermögen. Jacek Karpiński kannte sich mit Computern aus, doch er beschäftigte sich eher mit Hard- als mit Software, und seine Biographie unterscheidet sich erheblich von der des Anwaltssohns aus Seattle.
Geboren wurde er am 9. April 1927 in Turin. Die Eltern waren zu jener Zeit auf Reisen; sein Vater Adam Karpiński, von Beruf Flugzeugkonstrukteur, zählte zu den besten polnischen Bergsteigern. Als Schüler beteiligte sich Jacek früh am polnischen Widerstand gegen die deutschen Besatzer; 1943 überlebte er knapp die vorzeitige Explosion eines Sprengsatzes. Bei den Kämpfen des Warschauer Aufstands 1944 wurde er schwer verwundet. Er war lange gelähmt und lernte mit großer Mühe wieder gehen.
Nach Kriegsende machte Jacek Karpiński in nur einem Jahr den Schulabschluss; danach studierte er bis 1951 Elektrotechnik in Lodz und Warschau. Als ehemaliger Freiheitskämpfer hatte er es nicht leicht im Polen der Stalinzeit. 1955 kam er jedoch bei der Akademie der Wissenschaften unter. Er entwarf nun den AAH, einen Analogcomputer mit Elektronenröhren für die Klimaforschung. Ein Foto zeigt ihn 1957 am Gerät. 1959 stellte er den futuristischen Analogrechner AKAT-1 fertig, der mit Transistoren operierte.
1961 gewann Karpiński ein Stipendium der UNESCO für einen Studienaufenthalt in den USA. Er verbrachte ein Jahr in den besten Hochschulen des Landes. Anscheinend gab er alle seine Beobachtungen an den polnischen Geheimdienst weiter; vielleicht war das auch die Bedingung für die Ausreise gewesen. Nach seiner Rückkehr befasste sich Jacek Karpiński mit Künstlicher Intelligenz und baute ein Perceptron. Er orientierte sich am Original des Amerikaners Frank Rosenblatt; wir haben es letztes Jahr im Blog beschrieben.
Von 1965 bis 1968 schuf Karpiński seinen ersten Digitalcomputer, den KAR-65. Er enthielt Germanium-Transistoren polnischer Herkunft und arbeitete im physikalischen Institut der Akademie der Wissenschaften. Unser Eingangsbild oben zeigt ihn mit seinem Konstrukteur. Jacek Karpiński hatte damals beträchtlichen Ärger mit der staatlichen Zensur. Er musste den Rechner mehr oder weniger geheim halten. 1970 konnte er aber mit der Entwicklung seines Meisterstücks beginnen.
Sie geschah in einer Kooperation zwischen der polnischen Handelsorganisation Metronex und zwei englischen Firmen, der Data Loop Ltd. und der MB Metals Ltd. Im Südwesten von Warschau entstand eine Computerfabrik für 113 Mitarbeiter; Jacek Karpiński war Ideengeber und technischer Direktor. Die Finanzierung übernahmen die Briten; sie besorgten auch die nötigen Logikchips. Im Gegenzug erhielten sie das Recht, das Endprodukt in allen Ländern außerhalb von Polen zu verkaufen. Geplant waren 1.300 Stück.
Im Juni 1971 zeigte Karpiński Vorab-Modelle auf der Industriemesse von Posen. Der K-202 war ein Minicomputer für sechzehn Bit und Taktzeiten von 0,7 oder 1,5 Mikrosekunden. Der Arbeitsspeicher fasste 4.096 Worte oder acht Kilobyte; die modulare Struktur des K-202 ermöglichte die Aufrüstung auf größeren Speicherraum. Der Computer maß nur neunzehn Zoll, also 48 Zentimeter. Er war 56 Zentimeter tief und 20 Zentimeter hoch. Eine englische Broschüre überlebte; technische Informationen in polnischer Sprache gibt es hier.
Der K-202 war vergleichbar mit der PDP-11 von Digital Equipment oder der Nova von Data General, er könnte aber der kleinste Minicomputer seiner Zeit gewesen sein. Auf der Messe besuchte der polnische Parteichef Edward Gierek den Stand von Jacek Karpiński; die beiden sprachen eine Viertelstunde miteinander. Gierek wollte das Land modernisieren und stellte Unterstützung in Aussicht. Wie es heißt, liefen dreitausend Bestellungen ein. 1973 lagen die ersten dreißig Rechner vor.
Sie blieben die letzten. Die Produktion musste schließen; zweihundert unfertige Computer landeten auf dem Schrottplatz. Jacek Karpiński hatte wenig Freunde in der Politik, er war auch kein Mitglied der Staatspartei. Ab 1976 baute die Warschauer Firma MERA einen auf dem K-202 basierenden Mikrocomputer – der MERA 400 war größer und langsamer. Karpiński machte weiter, so gut es ging; ein Angebot aus Amerika musste er ausschlagen, da er keinen Reisepass erhielt. 1978 mietete er sich einen Bauernhof in Ostpreußen und begann, Kühe, Schweine und Hühner zu züchten.
Ende 1980 stöberten ihn Reporter auf. Man versuchte, für ihn eine angemessene Tätigkeit zu finden, schließlich gab es nur noch eine Lösung: Karpiński bekam einen Pass und verließ das Land. 1981 ging er in die Schweiz. Dort arbeitete er für den aus Polen stammenden Unternehmer Stefan Kudelski, den Hersteller der Nagra-Tonbandgeräte. 1983 startete Karpiński eine eigene Firma für Sprachverarbeitung, die bald wieder einging. Ab 1987 war er IT-Berater und erfand einen neuartigen Scanner, den Pen Reader.
1990 kehrte Jacek Karpiński ins demokratische Polen zurück. Er versuchte, den Scanner zu vermarkten, wurde aber von der Bank betrogen. Ebenso scheiterte ein Projekt mit Registrierkassen. Nach der Jahrtausendwende setzte er sich zur Ruhe. 2009 erhielte er einen Orden, er kam auch ins Fernsehen. Bei Minute 19:30 sehen wir einige Bilder von seinem Bauernhof. Jacek Karpiński starb am 21. Februar 2010 in Breslau. Seine Computer stehen im Technischen Museum in Warschau. Der K-202 ist allerdings im Depot versteckt.
Guter Beitrag. Wieder etwas gelernt.