Ein Klavier zum Schreiben

Geschrieben am 29.06.2018 von

Vor 150 Jahren, am 23. Juni 1868, erhielten die Amerikaner Latham Sholes, Carlos Glidden und Samuel Soule ein Patent für ihre Schreibmaschine. Sie hatte noch nicht die typischen kleinen Tasten, sondern helle und dunkle nebeneinander wie bei einem Klavier. In den nächsten sechs Jahren entstand aber aus ihrer Idee die Maschine, wie wir sie kennen.

Was wäre, wenn? Wie sähe unsere Welt aus, wenn nicht die Schreibmaschine – und der Computer – mit QWERTZ-Tasten gekommen wäre, sondern ein ganz anderes Konzept, das die Schöpfer jener Maschine vor 150 Jahren zu Papier brachten? Wir säßen wahrscheinlich an einer Klaviatur, und wenn uns die Büroarbeit langweilen würde, könnten wir auf Musik umschalten und eine flotte Melodie intonieren.

1868 waren in der Kommunikationstechnik die schwarz-weißen Tasten weit verbreitet. In vielen Postämtern operierten Hughes-Telegrafen, benannt nach ihrem englischen Erfinder David Edward Hughes. Sie wurden ab 1855 benutzt und boten 28 Eingaben mit Zahlen und Buchstaben an. Telegramme druckten sie auf Papier aus. Dabei erzeugten sie, wie im Blog beschrieben, schon Vorformen der Smileys. Den ersten Klaviertelegrafen hatte allerdings 1844 der Amerikaner Royal House entwickelt.

Schwarz auf weiß: das „Cembalo scrivano“ von Giuseppe Ravizza. (Foto: Jan Braun, HNF)

Bereits 1821 erfand Karl Freiherr von Drais, der Urvater des Fahrrads, ein Schreibclavier. Nähere Details sind unbekannt, doch besaß es 25 Buchstabentasten in quadratischer Anordnung. 1855 stellte der italienische Advokat Giuseppe Ravizza sein schreibendes Cembalo vor. Im Foto oben erkennt man die schwarzen und die weißen Tasten. Das Gerät enthielt schon Typenhebel; ein Nachbau steht seit 2012 im HNF. Er teilt sich die Vitrine mit der gleichfalls nachgebauten Maschine des Tiroler Zimmermanns Peter Mitterhofer.

1857 meldete der New Yorker Student Samuel Francis ein Patent für eine Schreibmaschine an. Ein Blick auf das Modell reicht, um zu verstehen, warum sie als literarisches Piano galt. Später baute der amerikanische Verleger John Pratt die Pterotype; das griechische „ptero“ heißt geflügelt und auch schnell. Sie war eine Schreibmaschine mit Druckknöpfen. 1867 führte Pratt sie in London vor; ein Bericht erschien im Juli im Magazin „Scientific American“. Er brachte keine Bilder, sprach aber wiederum von einem „literary piano“.

Zeichnung zum Patent vom 23. Juni 1868. Die Typenhebel sitzen am Rand der Scheibe und schlagen durch die Öffnung im Zentrum. Das Papier muss man sich hinzudenken.

Nun kommen wir zu Latham Sholes. 1819 geboren und 1890 verstorben, war er Politiker, Verleger und technisch interessiert. 1866 hatte er einen amtlichen Posten in Milwaukee; dort erstellte er mit dem Drucker Samuel Soule eine Apparatur zum Paginieren von Seiten. In der Werkstatt traf er den technikbegeisterten Anwalt Carlos Glidden. Im Juli 1867 las Glidden den Artikel über die Pterotype und gab ihn Sholes. Die drei Männer begannen nun, unterstützt durch den Uhrmacher Matthias Schwalbach, eine Schreibmaschine zu konstruieren.

Im September 1867 war ein Prototyp fertig. Ein Investor beteiligte sich mit 600 Dollar. Am 1. Mai 1868 beantragten Sholes, Glidden und Soule ein Patent, das am 23. Juni 1868 gewährt wurde. Unser Eingangsbild (Foto National Museum of American History) zeigt das wunderschöne Patentmodell mit seinen Klaviertasten. Am 14. Juli 1868 erhielt das Erfindertrio ein zweites Patent, diesmal für eine Schreibmaschine mit kleinen Hebeln statt der Klaviatur. Wie es scheint, stammte der Antrag vom Oktober 1867, war also etwas älter.

Nachbau eines Sholes-Prototyps von 1870: Die Klaviertasten sind verschwunden, dafür kam die Papierwalze hinzu. (Foto Daderot)

Nach der Patentierung wurden fünfzehn Maschinen gebaut. Ob sie mit Hebeln oder Tasten arbeiteten, wissen wir nicht. Offenbar hat kein Mitglied der ersten Serie überlebt. Der Papierbogen lag in jedem Fall in einem beweglichen Rahmen oben auf dem Kasten, die Schrifttypen schlugen von unten gegen die Rückseite des Bogens. Dabei pressten sie die Vorderseite gegen ein Farbband; das funktionierte jedoch nur bei dünnem Papier. Die gute Nachricht war, dass der Benutzer der Maschine sah, was er schrieb.

In den folgenden Jahren unternahm Latham Sholes alles, um sein Gerät zu verbessern. Er schickte es an professionelle Stenographen und akzeptierte auch die härteste Kritik. Nach und nach gewannen die Modelle die vertraute Form der Schreibmaschine, mit den Tasten unten und der Walze oben. Am 1. Juli 1874 kam die Sholes and Glidden auf den Markt, gefertigt von der Firma Remington und Söhne im US-Bundesstaat New York. Der Rest ist wieder einmal Geschichte. Unten ist eine Remington-Schreibmaschine der ersten Serie aus dem HNF zu sehen.

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