Es gab nicht nur BASIC

Geschrieben am 17.11.2023 von

Mit Programmiersprachen sagen wir Computern, was sie tun sollen. Die Klassiker sind FORTRAN, COBOL, ALGOL und BASIC. Der Schweizer Informatiker Niklaus Wirth schuf 1970 die Sprache Pascal. Am 20. November 1983 stellte die kalifornische Softwarefirma Borland den Compiler Turbo Pascal vor. Mit ihm konnte man schnell und bequem Pascal-Programme entwickeln; er kostete nur 49 Dollar.

Ein Compiler übersetzt das Programm einer höheren Programmiersprache wie FORTRAN, COBOL oder ALGOL in Zeilen, die ein Computer verstehen und ausführen kann. Neben dem Compiler gibt es noch den Interpreter. Er setzt die Anweisungen der Sprache direkt in Aktionen der Maschine um; wir finden Interpreter zum Beispiel in Mikrocomputern, die BASIC-Programme bearbeiten.

Uns interessieren aber Compiler und besonders solche für die Sprache Pascal. Sie war eine Weiterentwicklung von ALGOL und ein Werk des Schweizer Informatiker Niklaus Wirth; den Namen übernahm er – siehe oben – vom berühmten französischen Denker. Ab 1970 lief Pascal auf Groß- und Minicomputern; 1981 schrieb der dänische Ingenieurstudent Anders Hejlsberg auch einen Pascal-Compiler für den Acht-Bit-Rechner Nascom 2. Er stammte von einer englischen Firma und wurde als Bausatz verkauft. Anschließend erstellte Hejlsberg Versionen für die Betriebssysteme CP/M und MS-DOS.

Anders Hejlsberg 2008 (Foto DBegley CC BY 2.0)

Die Software gelangte auch nach Kalifornien und zur Firma Borland International. Sie saß im Ort Scotts Valley in den grünen Hügeln südlich des Silicon Valley. Ihr Leiter Philippe Kahn wurde am 16. März 1952 als Sohn einer deutsch-französischen Familie in Paris geboren. Sein Vater kam 1915 in Mannheim zur Welt und diente in der Fremdenlegion; 1947 heiratete er die Sängerin und Holocaust-Überlebende Claire Monis. Philippe Kahn studierte Mathematik an der ETH Zürich – wo er Niklaus Wirth hörte – und der Universität von Nizza. In der Schweiz studierte er außerdem Musik.

Er unterrichtete dann Mathematik in Nizza und Grenoble. 1982 zog Kahn mit Familie und 2.000 Dollar in die USA; eine Zeitlang lebte er mehr oder weniger illegal im Land. Im Mai 1983 hatte er 20.000 Dollar beisammen und startete Borland International. Schon 1981 gab es die von drei Dänen gegründete Software-Firma Borland Limited; die Unternehmen hingen höchstwahrscheinlich zusammen. Sicher ist, dass Borland Amerika eine Abwandlung des vom Dänen Anders Hejlsberg erdachten Pascal-Compilers am 20. November 1983 in den Handel brachte.

Philippe Kahn

Sie hieß Turbo Pascal und kostete 49,95 Dollar plus Porto – Borland lieferte meist per Post. Für das Gegenstück von Microsoft musste man 340 Dollar zahlen. So gering wie der Preis war der Speicherbedarf. Die Software umfasste nur 27 Kilobyte, und Philippe Kahn verzichtete auf einen Kopierschutz. Sein Produkt eignete sich für Acht- und Sechzehn-Bit-Rechner sowie für DOS- und CP/M-Betriebssysteme. Das Magazin BYTE berichtete im Juli 1984. Das ist eine deutsche Besprechung vom August, bitte zu PDF-Seite 74 gehen. Achtung, dicke Datei!

Der Compiler war schnell und benutzerfreundlich und verkaufte sich wie warme Semmeln; bis Februar 1986 hatte Borland 400.000 Exemplare abgesetzt. Im Januar 1987 waren es eine halbe Million; 70.000 von ihnen gingen an deutsche User. Turbo Pascal machte die Sprache von Niklaus Wirth überall bekannt und brachte Philippe Kahns Firma in die Spitzengruppe der Software-Lieferanten. 1984 kam das nächste Erfolgsprodukt, das Organizer-Programm SideKick. Ein Artikel über Kahn vom Dezember 1985 steht hier.

Pascal-Schöpfer Niklaus Wirth 2019 im HNF

Anfang 1995 musste er den Chefsessel von Borland räumen. Danach gründete und leitete er zwei Kommunikationsfirmen, die er jeweils mit Gewinn weiterverkaufte. 2005 startete er ein Unternehmen für Biosensorik, das auch Künstliche Intelligenz einbezog. Philippe Kahn zählt zu den Erfindern des Kamera-Handys; am 11. Juni 1997 fotografierte er sein neu geborenes Töchterchen mit einer Digitalkamera und mailte das Bild direkt an 2.000 Kontakte. Er macht immer noch Musik, nahm drei Jazz-CDs auf und ist ein herausragender Hochsee-Segler. Sein Vermögen legten er und seine Frau in einer Stiftung an.

Ein besonderes Kapitel bildet die Beziehung von Philippe Kahn und der Firma Microsoft. In den 1980er- und 1990er-Jahren war Kahn ein rotes Tuch für Bill Gates und wurde eine Art Lieblingsfeind. Nach seinem Weggang von Borland warb Microsoft öfter Spitzenkräfte vom kalifonischen Konkurrenten ab. Borland existiert im Prinzip noch; es gehört heute dem kanadischen Software-Riesen OpenText. Ein Nachfahre von Turbo Pascal ist das Software-Entwicklungssystem Delphi. Es kommt von der Firma Embarcadero in Texas.

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3 Kommentare auf “Es gab nicht nur BASIC”

  1. Herbert Bruderer sagt:

    Niklaus Wirth, der am 15. Februar 2024 90 Jahre alt wird, schuf neben mehreren erfolgreichen Programmiersprachen auch die wegweisenden Arbeitsplatzrechner Lilith und Ceres. Beteiligt war dabei auch Jürg Gutknecht von der ETH Zürich. Wirth erhielt für seine Arbeit den Turingpreis, der als Nobelpreis für Informatik gilt. Mehr dazu in:
    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 1, 970 Seiten, 577 Abbildungen, 114 Tabellen, https://doi.org/10.1515/9783110669664

    Bruderer, Herbert: Meilensteine der Rechentechnik, De Gruyter Oldenbourg, Berlin/Boston, 3. Auflage 2020, Band 2, 1055 Seiten, 138 Abbildungen, 37 Tabellen, https://doi.org/10.1515/9783110669671

    Bruderer, Herbert: Milestones in Analog and Digital Computing, Springer Nature Switzerland AG, Cham, 3rd edition 2020, 2 volumes, 2113 pages, 715 illustrations, 151 tables, translated from the German by John McMinn, https://doi.org/10.1007/978-3-030-40974-6

  2. Eine spannende Software-Geschichte! Gerade zu Beginn ganz schön verzweigt. Vielleicht ging es auch einfach zu schnell: Niklaus Wirth schrieb Pascal. Anders Hejlsberg schrieb einen Pascal Compiler und brachte diesen in den Handel. War dies ohne Lizenzkosten möglich? Phillipe Kahn kopierte wiederum den Compiler Hejlsberg. Auch hier stellt sich die Frage: Warum war das möglich, wenn Hejlsberg diesen doch eigentlich selbst vertrieben hatte? Und warum nutzten die Nutzer:innen dann denjenigen Kahns, und nicht den Hejlsberg? Con Dias hat ja jüngst zur Frage der Patentierbarkeit von Programmen ein spannendes Buch publiziert, das spielt hier sicherlich mit rein.

  3. Stu Savory sagt:

    Am Anfang der Informatik – sagen wir die 60er Jahre – Compiler kämpfte gegen die sehr beschränkten Speicherausstattung der damalige HW. Ich schrieb z.B. ein BASIC Interpreter damals der gerade noch im Speicher passte. Aber der COBOL Compiler die wir für den Telefunken TR86 baute war in Assembler geschrieben und brauchte 19 Pässe (Overlays) da der TR86 kein virtuelle Speicherraum hatte. Nostalgie!
    Heutzutage ist der Speicher so gross dass Compilerbau beinahe trivial ist.

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