Fünfzig Jahre FTP
Geschrieben am 16.04.2021 von HNF
Im Oktober 1969 startete in Kalifornien das ARPANET, der Vorläufer des Internet. Über das Netz konnten zunächst nur Computer kommunizieren. Am 16. April 1971 schlug der in Indien geborene und in den USA tätige Informatiker Abhay Bhushan das „File Transfer Protocol“ FTP vor. Es legte ein Verfahren fest, um im ARPANET auch Dateien zu übertragen.
Indien, Land der Tiger und Elefanten, der Gurus und Maharadschas. In den 1960er-Jahren war es noch weit weg. Es zählte zur „Dritten Welt“ und erhielt von den reichen Nationen Entwicklungshilfe. So finanzierte die Bundesregierung ein Stahlwerk. Die USA förderten die Technische Universität der Millionenstadt Kanpur; sie liegt am Ganges 400 Kilometer südöstlich von Neu-Delhi. 1963 bekam die Hochschule eine IBM 1620, einen der ersten Transistorrechner; zudem lehrten dort exzellente amerikanische Wissenschaftler.
In Kanpur erwarb 1965 ein junger Mann den Bachelor in Elektrotechnik. Abhay Bhushan wurde 1944 in Allahabad geboren – seit 2018 heißt die Stadt Prayagraj – und hatte 1960 mit dem Studium begonnen. Er setzte es dann am Massachusetts Institute of Technology fort; die Masterarbeit schrieb er über ein Bildtelefonsystem. Einen zweiten Master machte er in Betriebswirtschaft. Als graduierter Student erlebte er 1969 den Start des ARPANET. Im nächsten Jahr half er mit, den sechsten Knoten des Netzwerks im MIT zu installieren.
Das ARPANET von 1970 unterschied sich erheblich vom heutigen Internet. Es verband vor allem einzelne Geräte, sodass ein User an einem Teletype-Fernschreiber einen weit entfernten Computer ansprechen konnte. Es gab aber schon eine Network Working Group. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe verteilten sich über das Land und verfassten Papiere zur Weiterentwicklung des Netzwerks. Sie sind als Requests for Comments oder RFCs bekannt, was man vielleicht als Bitte um Kritik übersetzt.
Ein großes Thema in der ARPANET-Gemeinde waren die Protokolle, die Vorschriften zum Datenaustausch. Abhay Bhushan leitete in der Network Working Group das Team, das sich der Übertragung von Dateien widmete. Vor fünfzig Jahren, am 16. April 1971, veröffentlichte er den RFC 114 unter dem Titel A File Transfer Protocol. Nach Überarbeitungen legte er am 8. Juli 1972 The File Transfer Protocol mit RFC-Nummer 354 vor. Im Juni 1980 gab Jon Postel, der Normen-Papst des Internet, RFC 765 alias File Transfer Protocol heraus.
Im Oktober 1985 wurde dieses revidiert; die damals entstandene Version RFC 959 gilt bis heute. Das Protokoll arbeitet nach dem Client-Server-Prinzip. Der User kann auf dem Server Dateien ablegen, löschen und herunterladen. Dabei werden ein Steuer- und ein Datenkanal benutzt wie hier erläutert. Die 1990er-Jahre brachten das World Wide Web und neben den http- auch die ftp-Adressen. Das ist ein Verzeichnis von 2008; viele Links sind aber nicht mehr aktiv. Der FTP-Server der Universität Paderborn überlebte im Internet-Archiv.
Abhay Bhushan schloss sich 1974 der Xerox Corporation an und blieb bis 1996. Er saß aber nicht im Forschungszentrum PARC, sondern in Rochester im Osten der USA und in El Segundo bei Los Angeles. Zu seinen wichtigsten Taten zählte ein Umweltschutz-Programm. 1978 und 1979 arbeitete er ein Jahr in seiner indischen Heimat. Nach der Zeit bei Xerox gründete er zwei Unternehmen und engagierte sich in akademischen Stiftungen. Zur Zeit gehört er zum Management der Beratungsfirma Asquare im Silicon-Valley-Ort Santa Clara.
Ohne File Transfer Protocol ist Abhay Bhushan in einem Video zu sehen. Unser Eingangsbild entstand 1994; es zeigt einen FTP-Dialog mit der Amundsen-Scott-Forschungsstation am Südpol (Foto Brent Jones CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten). Die Verbindung lief über einen Satelliten. Nachzutragen bleibt, dass das File Transfer Protocol uns die allererste Internet-Suchmaschine bescherte. Sie trug den Namen Archie, abgeleitet vom Archiv, und wurde 1990 von einem kanadischen Studenten erstellt. Sie ist immer noch in Betrieb.