Global Positioning made in Europe
Geschrieben am 28.12.2015 von HNF
Eine Woche vor Weihnachten starteten mit einer Sojus-Rakete im Weltraumbahnhof Kourou zwei neue Satelliten des Galileo-Projekts, Europas Antwort auf das GPS der USA und das russische Navigationssystem Glonass. Begonnen hatte Galileo genau vor zehn Jahren, als am 28. Dezember 2005 in Baikonur eine Sojus mit dem Testsatelliten GIOVE-A abhob. Wie geht es aber nun weiter?
Wenn der Sprecher „dix neuf huit sept …“ zählt und am Ende des Countdowns statt „We have lift-off“ nur „Decollage“ sagt, dann sind wir nicht in Cape Canaveral im US-Bundesstaat Florida, sondern auf dem südamerikanischen Kontinent in Französisch-Guyana, wo Europas Raketenstartplatz Kourou liegt. Genau hier hob am 17. Dezember um 8:51 Uhr Orts- und 12:51 Uhr deutscher Zeit eine 46 Meter hohe Sojus ab und brachte „Andriana“ und „Liene“ auf eine Bahn 23.500 Kilometer über der Erde.
Die jeweils 650 Kilo schweren Satelliten, die die Bremer OHB System AG fertigte, werden auch Galileo 11 und Galileo 12 genannt und gehören zum gleichnamigen Projekt der Europäischen Union und der Raumfahrtbehörde ESA. Namensgeber ist natürlich der berühmte Naturforscher Galileo Galilei. Ziel jenes Projekts ist ein Navigationssystem ähnlich dem amerikanischen Global Positioning System GPS. Doch während der erste GPS-Satellit 1978 abhob, startete der erste für Galileo erst am 28. Dezember 2005 – also heute vor zehn Jahren – in Baikonur in Kasachstan.
GPS, Galileo sowie das vergleichbare russische Glonass und Chinas BeiDou sind eine einfallsreiche Kombination von Raumfahrt und Mikroelektronik. Jedes Navigationssystem stützt sich voll ausgebaut auf eine Flotte von 24 bis 30 Satelliten, die in Höhen zwischen 19.000 und 23.500 Kilometern die Erde umkreisen. Das ist weit über der Raumstation ISS, aber niedriger als die geostationären Satelliten, die uns Fernsehen in die Parabolantenne strahlen.
Die Navi-Satelliten sind so auf ihren Orbits verteilt, dass über einem beliebigen Ort stets mindestens vier hinwegziehen. Jeder Satellit sendet rund um die Uhr Signale aus, die seine Position im Weltraum und den Zeitpunkt des Abschickens mitteilen. Ein Mensch auf der Erde bzw. sein Navigationsgerät empfängt an einem beliebigen Moment vier oder mehr Signale parallel und kann aus den Daten die geographische Position mit einer Genauigkeit von wenigen Metern berechnen. Durch Zusatzdienste wie DGPS lässt sie sich noch weiter steigern.
Ein europäisches Satellitennavigationssystem wurde schon 1984 in der ESA diskutiert. Anschließend entwickelte sich die Idee langsam weiter, bis dann 1999 die EU-Verkehrsminister Konzept und Aufbau des Galileo getauften Systems beschlossen. Damals ging man von umgerechnet 2,2 Milliarden Euro Kosten und einer Fertigstellung im Jahr 2008 aus. Daraus wurde aber nichts, im Gegenteil, das Projekt quälte sich von einer Krise zur nächsten, Verlass war nur auf den ständig steigenden Preis. (Experten rechnen inzwischen mit Gesamtkosten von 22 Milliarden Euro.)
Am 28. Dezember 2005 startete aber im Kosmodrom Baikonur in Kasachstan eine russische Sojus-Rakete mit dem ersten Satelliten des Programms, GIOVE-A alias Galileo In-Orbit Validation Element. Zweck war, wie schon der Name andeutete, die Erprobung der Sendeelektronik draußen im All und des Signalempfangs drunten auf der Erde. Zugleich sicherte der Flug die bei der Fernmeldeunion ITU beantragten Galileo-Frequenzbereiche, die andernfalls verfallen wären.
Der im April 2008 gleichfalls in Baikonur losgeflogene Nachfolger GIOVE-B verschickte das erste komplette Galileo-Navigationssignal. Bis der erste richtige Navigationssatellit des Projekts abhob, sollten aber noch einige Jahre vergehen. Zunächst waren die vier Satelliten der Vorserie dran, die paarweise mit Sojus-Trägern von Kourou auf die Umlaufbahn befördert wurden. Thijs und Natalia starteten im Oktober 2011, David und Sif folgten im Oktober 2012. Eigentümer der Sojus war die französische Raumfahrtfirma Arianespace.
Letzterer fiel im Juli 2014 vollständig aus. Das war kein gutes Omen für die beiden Satelliten des Typs Galileo-FOC, die am 22. August 2014 in Kourou starteten. FOC heißt eigentlich „Full Operational Capability“, doch die Oberstufe der Sojus-Rakete brachte Doresa und Milena auf einen falschen Orbit. Statt auf einer Kreisbahn laufen die Trabanten auf Ellipsen mit wechselnder Distanz zur Erde. Heute dienen sie zu Forschungszwecken und testen Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie.
Erst die Galileo-Starts des Jahres 2015 gelangen zur vollen Zufriedenheit aller Beteiligten. Adam und Anastasia hoben am 27. März ab, Alba und Oriana folgten am 11. September, den Abflug von Andriana und Liene vor Weihnachten erwähnten wir bereits. So umfasst die Galileo-Flotte, wie die ESA stolz verkündete, ein Dutzend Trabanten, vorausgesetzt, man zählt den ausgefallenen mit. Ihre Namen gehören dabei Kindern, die 2011 einen europaweiten Galileo-Malwettbewerb gewannen.
Die nächsten vier Satelliten heißen Alizée, Antonianna, Daniele und Lisa und warten auf einen Start im Herbst 2016. Ihre Trägerrakete wird nicht mehr die russische Sojus sein, sondern das Flaggschiff der europäischen Raumfahrt, die gut 50 Meter hohe Ariane 5, die das Quartett auf einen Schlag ins All befördern soll. Danach kommen zehn weitere der in Bremen gebauten Galileo-FOC-Trabanten – der Vertrag mit dem Hersteller OHB System AG sieht insgesamt 22 Flugeinheiten vor.
Im Endzustand um 2020 zählt das europäische GPS 27 Satelliten und drei Reservisten, die auf drei Bahnebenen um die Erde kreisen. Jeder Satelliten-Korridor ist 56 Grad gegen den Äquator geneigt. 2020 will aber auch China das Konkurrenzsystem BeiDou einweihen, das wie Galileo 30 Satelliten in mittelhohen Orbits und außerdem fünf in geostationären Bahnen umfasst. Man darf also gespannt sein, wieviel Gewinn Galileo in fünf Jahren oder später abwerfen wird.
Unser Eingangsbild zeigt eine Sojus nach Abwurf der vier seitlichen Stufen, die zwei Galileos ins All trägt. Unten kreisen alle Satelliten des Systems mit ausgeklappten Solarzellen-Flügeln.
Allen Leserinnen und Lesern wünschen wir derweil einen guten Rutsch ins neue Jahr und melden uns in selbigem wieder.
Dem HNF vielen Dank für die Einrichtung dieses Blogs, dem Blogger vielen Dank für all‘ die interessanten Beiträge im abgelaufenen Jahr.
Ich wünsche gutes Gelingen für 2016 und freue mich auf viel mehr Neues von gestern aus der Computergeschichte!