Heinz Billing (1914-2017)
Geschrieben am 10.01.2017 von HNF
Im 103. Lebensjahr verstarb am 4. Januar Heinz Billing. Geboren in Salzwedel, studierte er Physik in Göttingen und München; später arbeitete er in Göttingen. Dort erfand er einen Trommelspeicher. 1952 stellte er die G1 fertig, den ersten elektronischen Computer in Deutschland. 1958 zog sein Institut nach Bayern. Hier widmete er sich unter anderem der Gravitationsphysik.
„Uns wurde ein gesunder Junge geboren. Das zeigen erfreuten Herzens an: Salzwedel, den 7. April 1914 – Walter Billing und Frau Helma, geborene Jaritz“ So berichtete die Lokalzeitung der Stadt Salzwedel im heutigen Sachsen-Anhalt. Der gesunde Bub hieß Heinz und war ein heller Kopf. Vater Walter, Rektor der Mädchenvolksschule, konnte ihn schon früh zuhause unterrichten. So übersprang Heinz Billing die ersten beiden Jahre der Volksschule und startete gleich in der 3. Klasse.
Überliefert sind das Spielen mit einem Elektrotechnik-Baukasten und viel Verständnis für Mathematik und Physik. Als Heinz Billing 1932 sein Abitur machte, stand das Studium dieser Fächer fest. Nach einem Semester in Göttingen wechselte er nach München und lernte beim Experimentalphysiker Walther Gerlach. Als Doktorarbeit gelang ihm 1938 die Durchführung des Einsteinschen Spiegeldrehversuchs. Die erste Anstellung war in Göttingen in der Aerodynamischen Versuchsanstalt AVA.
Heinz Billing leistete Wehrdienst, der Einsatz an der Front blieb ihm aber erspart. Stattdessen beschäftigte er sich in der Göttinger Versuchsanstalt mit Mikrofonen, mit denen ein Pilot ein feindliches Flugzeug entdecken konnte. Das Hauptproblem war die Unterdrückung der eigenen Propellergeräusche. Das klappte im Endeffekt nicht, doch wurde Billing zu einem Experten für Magnetophontechnik. 1945 sah er vermutlich den Relaisrechner Z4, den Konrad Zuse nach dem Abtransport aus Berlin in der AVA vorführte.
Ab 1946 arbeitete Billing im frisch gegründeten Institut für Instrumentenkunde; er leitete das Labor für Hochfreqenztechnik. Im Spätsommer 1947 nahm er an einem Kolloquium teil, das deutsche Forscher, darunter Konrad Zuse, und englische Elektronikspezialisten zusammenführte. Es ging um neue Rechentechniken. Zu den Besuchern soll Alan Turing gezählt haben, doch wird er in den Memoiren von Zuse nicht erwähnt. Die Sache ist bis heute ungeklärt; vielleicht saß Turing nur da und hörte zu.
Sicher ist ein Gespräch zwischen Heinz Billing und John Womersley vom Nationalen Physiklabor in Teddington. Er berichtete von einem Speicher für Dualzahlen, der diese in Impulse zerlegt und dynamisch hin und her schickt. Womersley verschwieg die technische Basis, die Quecksilber-Verzögerungsleitung. Seine Andeutungen brachten Billing aber auf eine Idee. Im Januar 1948 baute er einen mit Tonband beklebten rotierendem Zylinder. Im Sommer 1948 lief in Göttingen sein erster Magnettrommelspeicher für 192 zwanzigstellige Dualzahlen.
Am Jahresende schrieb Billing einen Artikel über eine „Numerische Rechenmaschine mit Magnetophonspeicher“, dann nahm er aus Geldgründen eine Tätigkeit in Australien auf. Nach Deutschland zurück holte ihn Ludwig Biermann, der im Göttinger Max-Planck-Institut für Physik die Abteilung für Astrophysik leitete. Biermann brauchte einen Elektronenrechner. Im Juni 1950 ging Heinz Billing ans Werk. Unterstützt wurde er durch zwei Physiker, drei Techniker und einen Mechaniker.
Ende 1951 konnte Bundespräsident Heuss schon einen Blick auf das heranwachsende Elektronenhirn werfen. Am 7. Juni 1952 nahm die G1 genannte Maschine den Betrieb auf. Sie enthielt 476 Röhren und 101 Relais. Als Arbeitsspeicher rotierte mit 3.000 Umdrehungen pro Minute eine Magnettrommel; sie fasste 26 Festkomma-Dualzahlen zu je 32 bit. Die G1 schaffte zwei bis drei Multiplikationen pro Sekunde. Die Ein- und Ausgaben geschahen über Schreibmaschine und Lochstreifen.
Die G1 war nicht nur der erste frei programmierbare Elektronenrechner in Deutschland, sondern auch auf dem europäischen Festland. Zu den auf ihr laufenden Programmen zählte das Streichholzspiel Nim, in dem sie jeden Ungeübten schlug. Der Computer war bis 1965 in Betrieb, bis 1958 in Göttingen und nach dem Umzug des Max-Planck-Instituts in München. Danach wurde er leider verschrottet; erhalten blieb nur die Speichertrommel sowie ein lesenswerter Artikel des SPIEGEL.
Nach der G1 entwickelte Billing die Computer G2, G1a und G3. Von der G1a wurden drei Modelle gebaut, eines für Göttingen, eines für Aachen und eines für die finnische Hauptstadt Helsinki. Die Aachener Maschine lief später in Jülich und schließlich in einem Gymnasium in Neuss; von dort gelangte sie ins Deutsche Museum. 1957 arbeitete Billing in der Kommission für Rechenanlagen der DFG mit. Ab 1968 leitete er den Beratenden Ausschuss für Rechenanlagen der Max-Planck-Gesellschaft.
In den 1970er-Jahren kehrte Heinz Billing in die Physik zurück. Er baute Detektoren für Gravitationswellen, die aus großen massiven Aluminiumzylindern bestanden. Das Ziel war weniger die Entdeckung solcher Wellen als vielmehr die Überprüfungen von ähnlichen Versuchen des amerikanische Physikers Joseph Weber. Heinz Billing konnte Webers Erfolgsmeldungen nicht bestätigen, oder wie es der Astronom Rudolf Kippenhahn einmal ausdrückte: „Billing und seine Mannen sind diejenigen, welche bisher die Gravitationswellen am besten nicht gefunden haben.“
Seine Aktivitäten ermutigten dann Forscher, mit einer anderen Technik nach den Wellen zu suchen. 2015 wurden sie schließlich entdeckt. Den Physiknobelpreis gewann Heinz Billing nicht, dafür erhielt er aber das Bundesverdienstkreuz und die Goldene Verdienstmedaille seines Wohnorts Garching. 2013 wurde er Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Salzwedel. Er starb am 4. Januar 2017 im 103. Lebensjahr.
Für eine unfreiwillige humoristische Einlage sorgte Heinz Billing auf der Feier des 75. Geburtstages seines Kollegen F.L. Bauer. Auf meine Erinnerung an seinen Besuch im HNF im Jahre 1995 erwiderte Billing: „Nach Paderborn schaffe ich es mit meinen schlechten Augen mit Sicherheit nicht mehr! Ich fahre nur noch in München Auto…