
Heinz Nixdorf und das System 8870
Geschrieben am 13.05.2025 von HNF
2025 feiern wir den 100. Geburtstag von Heinz Nixdorf. Es gibt noch ein zweites rundes Jubiläum. Vor 50 Jahren kam die Computerfamilie Nixdorf 8870 heraus, die zur Säule des Geschäfts wurde. Die für sie erstellten COMET-Programme machten Heinz Nixdorfs Firma auch zum Softwarehaus. Das 8870-System basierte auf einem Rechner des amerikanischen Herstellers Digital Computer Controls.
Siemens machte es vor. 1965 brachte der Münchner Konzern die Siemens 4004 auf den Markt, die den US-Computer RCA Spectra 70 kopierte. 1974 verfuhr Heinz Nixdorf ebenso. Das Datenerfassungssystem Nixdorf 620 war die deutsche Version des amerikanischen Entrex 480. Sein Hersteller wurde einige Jahre später von den Paderbornern übernommen, wir haben es im Blog erzählt.
Ein zweiter Kontakt von Heinz Nixdorf in die USA galt der Firma Digital Computer Controls oder DCC; er kam möglicherweise über Entrex zustande. DCC wurde im März 1969 in Fairfield im Bundesstaat New Jersey gegründet. Als ihr erstes Produkt erschien im Jahr 1970 der Minicomputer D-112; man findet auch das Kürzel DCC-112. Er war software-kompatibel zum erfolgreichsten Rechner jener Klasse, der PDP-8 der Digital Equipment Corporation, besaß die gleichen Ausmaße und eine ähnliche Tastatur.
1971 brachte DCC das nächste Modell heraus. Die D-116 war ein ziemlich genauer, aber nicht genehmigter Nachbau des 16-Bit-Minicomputers Nova 1200 der Firma Data General. Diese ging natürlich vor Gericht. DCC gab zu, die Schaltpläne der Nova benutzt zu haben, bestritt jedoch eine juristische Schuld. Firmenchef John Ackley sprach in der Fachpresse von einem äquivalenten Computer. Der Prozess zog sich dann jahrelang hin, sogar die Computerwoche berichtete darüber. Der Verkauf der D-116 wurde dadurch nicht beeinträchtigt.
Im Februar 1977 übernahm Data General den lästigen Konkurrenten, und die Firma Digital Computer Controls verschwand aus der Technikgeschichte. Ihre D-116 lebt weiter im Video sowie in Gestalt der Nixdorf 8870. So hieß der Bürorechner, den Heinz Nixdorf Anfang 1975 im Rahmen der Systemfamilie 88 vorstellte. Er war schreibtischgroß, kam mit Monitor, Tastatur und Magnetplatte und erlaubte den Anschluss mehrerer Bildschirmarbeitplätze. Das elektronische Innenleben der 8870 entsprach den Chips und Platinen der D-116.
Die Nixdorf 8870 basierte also auf einem Plagiat. 1975 lief der Rechtsstreit zwischen Data General und Digital Computer Controls noch, und ein Sieg von Data General wäre nicht ohne Folgen für die Produktion des Rechners gewesen. Es stellt sich auch die Frage, warum Heinz Nixdorf nicht die Elektronik der Nova 1200 benutzte. Er wäre juristisch auf der sicheren Seite gewesen, hätte aber wohl mehr bezahlen müssen. Oder gab es vielleicht Gespräche mit Data General? Wie vieles in der Nixdorf-Geschichte muss das offen bleiben.
Nach dem Startmodell teilte sich die Computerfamilie in eine gerade und eine ungerade Reihe auf. Die erste enthielt die Typen 8870/2, 8870/4 und 8870/6, die zweite umfasste 8870/1 und 8870/3. Zu ihnen fanden wir ein Datenblatt der US-Tochterfirma von Nixdorf. Demnach hatte die 8870/1 einen Arbeitsspeicher zwischen 96 und 256 Kilobyte, und sie versorgte bis zu 16 Arbeitsplätze. Die 8870/3 speicherte von 128 bis 512 Kilobyte; es ließen sich 32 Plätze anbinden. Die Elektronik stammte inzwischen aus Paderborn.
1975 setzten die Nixdorf Computer AG und ihre 7.300 Mitarbeiter 617 Millionen DM um und machten 20,6 Millionen DM Gewinn. Anfang 1976 lagen Aufträge über 400 Millionen DM vor; 600 Einheiten betrafen das System 8870. Es entwickelte sich zum Hauptumsatzträger der Firma, die im Geschäftsjahr 1978 die Milliardengrenze knackte. Bis 1986 konnte die NCAG rund 16.000 Rechner der 8870-Familie verkaufen. Ab 1978 bot sie dafür das Software-Paket COMET an, das gleichfalls ein Erfolg wurde.
Unser Eingangsbild zeigt das 8870-Modell Micro 7. Es erschien 1983 und enthält eine Fünf-Megabyte-Festplatte und ein Disketten-Laufwerk. Das Foto entstand in der neu gestalteten NCAG-Abteilung des HNF, die NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst am 9. April eröffnete, dem 100. Geburtstag von Heinz Nixdorf. Rechts steht noch ein System Quattro/25. Weitere Angaben bringt die Broschüre zur Nixdorf-Wanderausstellung Der gläserne Computer aus den 1980er-Jahren, eine wunderschöne Zeitreise in die goldene Ära des Unternehmens.