Herr Leibniz und die Erfindung der Rechenmaschine

Geschrieben am 28.06.2022 von

Im Blog befassten wir uns schon öfter mit Gottfried Wilhelm Leibniz und seinen Beiträgen zur Rechentechnik. Heute geht es um seine Idee einer Maschine, die nicht nur addieren und subtrahieren, sondern auch multiplizieren kann. 1672 zog Leibniz nach Paris; dort begann er mit der Entwicklung eines Versuchsmodell. Anfang 1673 führte er es in London vor.

Am 19. März 1672 brach ein junger Mann in Mainz zu seiner ersten Reise ins Ausland auf. Seine Kutsche rollte Richtung Frankreich. Die Fahrt ging wahrscheinlich über Kaiserslautern und Saarbrücken nach Metz, Verdun und Reims. Das Ziel erreichte der Reisende am 31. März. Es war Paris, mit einer halben Million Einwohnern die größte Stadt Europas.

Der junge Mann hieß Gottfried Wilhelm Leibniz. Er war 25 Jahre alt und stand im Dienst des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn. Leibniz hatte den Auftrag, Ludwig XIV. und seinem Außenminister einen militärischen Plan vorzutragen, die Eroberung von Ägypten. Damit wollten der Fürst und sein Ratgeber Johann Christian von Boineburg den König von Kriegen in Europa abhalten. Was natürlich fehlschlug: Im April 1672 setzte Ludwig seine Truppen gegen Holland in Marsch. Der Konflikt dauerte bis 1678.

Blaise Pascal schuf eine Addiermaschine, die Pascaline. Dies ist ein Nachbau des HNF.

Leibniz blieb aber in Paris und erledigte für seine Auftraggeber andere Geschäfte. Er wohnte in einem Zentrum der Kultur und der Wissenschaft und nutzte das aus. Seit 1666 gab es eine Académie des sciences; Leibniz traf Forscher wie Giovanni Cassini, Christian Huygens und Denis Papin sowie den Philosophen Antoine Arnauld. Er besuchte das Theater, wo er Molière auf der Bühne sah, und die Königliche Bibliothek. Hier untersuchte Leibniz eine Addiermaschine des 1662 verstorbenen Mathematikers und Theologen Blaise Pascal.

Er wusste seit einem Jahr von Pascals Erfindung. Im März 1671 las er sein Buch Gedanken, dessen Vorwort – bitte Seite 49 aufschlagen – eine „machine d’Arithmétique“ erwähnte. Seitdem grübelte Leibniz über den Aufbau eines solchen Geräts nach. Ihm war schnell klar, dass es die Multiplikation und die Division durch mehrfache Additionen und Subtraktionen realisieren könnte. Sein Konzept für ein „Instrumentum Panarithmeticon“ oder „Lebendige Rechenbanck“ brachte er in deutscher Sprache zu Papier. Man findet es hier; die Schrift ist aber nur mit einiger Übung lesbar.

Das erste Rechenmaschinen-Konzept: Die Zahl in der mittleren Reihe wird oben aufaddiert. (Foto Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek)

Wohl kurz danach zeichnete Leibniz einen Entwurf für eine Rechenmaschine auf, bei dem Zahnräder über eine Kette verbunden wurden. Zur Berechnung von 365 x 124 wird der erste Faktor einmal, zweimal und viermal in ein Summierwerk überführt, wie es das Bild oben andeutet. Um die Stellenverschiebung und die Überträge im Summierwerk machte sich Leibniz noch keine Gedanken. Er sah allerdings bei der Inspektion der Pascal-Maschine, wie technisch beschränkt sie war. Die Pascaline funktionierte wie ein Kilometerzähler; bei der Addition gab man die Ziffern des zweiten Summanden einzeln von rechts nach links ein.

In Paris vollzog Leibniz nun den wichtigen Schritt zum Zahlenspeicher. Denn das waren die Sprossenräder, die wir in einer Zeichnung – siehe unten – vom Frühjahr oder Sommer 1672 entdecken. Sie stammt nicht von Leibniz, sondern vielleicht von einem Feinmechaniker oder Uhrmacher, mit dem er zusammenarbeitete. Die „Six Roules de Multiplication“ besitzen ausfahrbare Zähne, auf Französisch „dens mobiles“. Auf den drei Rädern rechts wird erneut 365 eingestellt. Anschließend werden sie mittels der „Roules Mouvantes“ gedreht, wie es die Ziffern des zweiten Faktors vorgeben.

In Paris konzipierte Leibniz eine Rechenmaschine mit Sprossenrädern; sie ließ sich nicht realisieren. (Foto Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek)

In der nächsten Zeichnung treten an die Stelle der Sprossenräder verschiebbare Zylinder – der Zeichner wechselte ins Lateinische – mit „dentes variabiles“. Das sind Ringe mit einer wachsenden Zahl von Zähnen, die die benachbarte „Rota Additionis“ abgreift. Das so bezeichnete Rad rückt je nach Position des Zylinders gar nicht oder bis zu neun Zähnen weiter; seine Drehung wird ins Summierwerk übertragen. Die „Tabula Multiplicationis“ mit ihren drei Zylindern würde den Sprung von Dezimalstelle zu Dezimalstelle ermöglichen.

Die „dentes variabiles“ verwandelten sich im Laufe der Zeit in die Staffelwalze. Das ist, wie man weiß, ein drehbarer Zylinder mit neun Zähnen, die sich sukzessive verlängern. Jetzt verschob sich das „Rota Additionis“ direkt daneben und griff null bis neun Zähne ab, wie in der Animation dargestellt. Ein Video des Bonner Arithmeums erklärt die Rechenmaschine mit Staffelwalzen, die Charles Xavier Thomas 1820 konstruierte. Mit seinem Arithmometer begann im 19. Jahrhundert die industrielle Fertigung von Rechengeräten.

Der Schritt zur Staffelwalze: die Achse rechts trägt einen Zylinder mit Zahnkränzen. (Foto Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, Niedersächsische Landesbibliothek)

Gottfried Wilhelm Leibniz verließ sich vor 350 Jahren nur auf Handwerker in Paris. Sie bauten für ihn ein Holzmodell, das wahrscheinlich der obigen Zeichnung entsprach. Anfang 1673 begleitete Leibniz den Gesandten des Kurfürstentums Mainz von Paris nach London. Am 1. Februar – in England war es wegen des julianischen Kalenders der 22. Januar – führte er das Modell der Royal Society vor. Zwei weitere Modelle aus Messing entstanden später in Paris. 1676 zog Leibniz nach Hannover, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1716 tätig war.

In Hannover befindet sich auch die einzige seiner Rechenmaschinen, die erhalten blieb; unser Eingangsbild zeigt den Nachbau des HNF. Unser Blogbeitrag stützt sich weitgehend auf das Buch Die Leibniz-Rechenmaschine der Historikerin Ariane Walsdorf, das wir allen Freunden der barocken Informatik empfehlen. Wir danken ihr ebenso für die Zeichnungen aus dem Leibniz-Nachlass in der Niedersächsischen Landesbibliothek. Die Zeit von Leibniz in Paris beschrieb der Autor Eike Christian Hirsch. Und wer den Gelehrten feiern möchte, hat am 1. Juli Gelegenheit dazu: das ist sein 376. Geburtstag.

Apropos feiern: Am Freitag, dem 1. Juli, begeht das HNF den 70. Geburtstag des Labors für Impulstechnik (LfI). Aus diesem Anlass finden um 11 und um 14 Uhr  zwei kostenlose Führungen zur Geschichte des LfI und der 1968 gegründeten Nixdorf Computer AG statt.

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