ICCC 1972 – das „Coming Out“ des ARPANET
Geschrieben am 25.10.2022 von HNF
Vor fünfzig Jahren feierte das ARPANET den dritten Geburtstag; es war aber nur Experten bekannt. Das änderte die „International Conference on Computer Communications“. Die Tagung fand vom 24. bis 26. Oktober 1972 in Washington statt. Sie bot auch Terminals an, um ins ARPANET zu gehen. Es war die erste große Werbeaktion für das digitale Netzwerk.
ARPA hieß die 1958 gegründete und 1972 in DARPA umgetaufte Forschungsabteilung des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Das nach ihr benannte ARPANET begann am 29. Oktober 1969 seine Existenz; damals wurden zwei Netzrechner und die an ihnen hängenden Computer durch eine Datenleitung verknüpft. In der Folgezeit wuchs das ARPANET langsam an. Im Januar 1971 umfasste es fünfzehn Knoten im Westen, im Zentrum und im Osten der USA mit insgesamt 25 Rechenanlagen.
Die noch recht übersichtliche ARPANET-Gemeinde merkte allerdings, dass ihr Netz nicht ausgelastet war. Im Herbst 1971 liefen durchschnittlich 675.000 Datenpakete pro Tag hindurch; das entsprach zwei Prozent der Kapazität. Die Oberaufsicht über das ARPANET oblag dem 33 Jahre alten Informatiker Larry Roberts; er leitete in der ARPA den Bereich Informationsverarbeitung. Roberts wusste, das für den Oktober 1972 eine große Tagung über digitale Kommunikation in Washington geplant war. Das brachte ihn auf eine Idee.
Im Sommer 1971 beauftragte er den ein Jahr jüngeren Robert Kahn mit der Vorbereitung einer Technikschau. Kahn arbeitete für das in Cambridge im US-Bundesstaat Massachusetts sitzende Ingenieurbüro BBN; er gehörte zu dem Team, das die erwähnten Netzrechner – in der Fachsprache Interface Message Processors oder IMPs – programmiert hatte. Mit einem Assistenten besuchte er nun Firmen und Universitäten im Land und stieß die Entwicklung von ARPANET-Anwendungen an. Die Reisekosten übernahm Larry Roberts.
Der große Tag war der 24. Oktober 1972. An diesem Termin startete im Hilton-Hotel in Washington die „International Conference on Computer Communications“ ICCC. Wer das Treffen organisierte und finanzierte, ist uns nicht bekannt, doch über achthundert Menschen nahmen teil. Die Sprecher – Sprecherinnen gab es nur wenige – reisten aus Nord- und Mittelamerika, Indien, dem Iran, Israel, Japan und Europa an. Ein Vortragender kam aus der UdSSR, ein anderer vom Bonner Postministerium. Ein wohl gleichfalls deutscher Referent arbeitete in Paris bei der OECD.
Das Programm der ICCC kann man hier ab PDF-Seite 31 nachlesen: Achtung, dicke Datei! Auf Seite 36 finden wir einen Abschnitt zu einem „Special Project“. Er wies auf Vorführungen eines Netzwerks hin, das unterschiedliche Computer verband. Das war die ARPANET-Schau von Larry Roberts und Robert Kahn; sie füllte einen der kleineren Säle des Hotels. Dort standen drei Dutzend Terminals – in den meisten Fällen wohl Teletype-Fernschreiber – und auf einem Podest in der Mitte ein „Terminal Interface Message Processor“ oder TIP.
Der TIP basierte auf dem oben genannten IMP und bildete das Tor ins ARPANET. An jedem der drei Konferenztage umlagerten die Teilnehmer den TIP und die Terminals. Eine Broschüre listete neunzehn Scenarios auf, die sie dort aufrufen und ausprobieren konnten. Autor der Schrift war der Informatikstudent Robert Metcalfe; als sie zur ICCC erschien, arbeitete er aber schon im kalifornischen Forschungszentrum PARC. Dort erfand er 1973 das Ethernet, ein revolutionäres LAN-Konzept.
Zu Metcalfes Anwendungsbeispielen gehörten Programmiersprachen, Datenbank-Abfragen, die Spiele Life und Schach, ein Mathematikprogramm und insgesamt vier Dialog-Systeme. Eines von ihnen war ELIZA von Joseph Weizenbaum; der KI-Pionier und Computerphilosoph hielt auf der ICCC einen Vortrag zur Ethik der Technik. Die Systeme im ARPANET-Saal funktionierten gut, überliefert ist nur ein Absturz des TIP-Routers. Er passierte bei einer Präsentation von Robert Metcalfe für Manager der Telefongesellschaft AT&T.
Leider sind keine Fotos oder Videos vom „Special Project“ erhalten, es gibt jedoch den Film Computer Networks, der 1972 für die Veranstaltung entstand. Darin treten Larry Roberts, Robert Kahn, Frank Heart und andere Netzpioniere auf; es ist möglich, dass er bei der ICCC vorgeführt wurde. Auf jeden Fall machte die Konferenz das ARPANET weiter bekannt und gab seinen Nutzern neue Impulse; eine Folge war die Gründung der International Networking Working Group. Parallel stieg die ARPANET-Auslastung dank des wachsenden Mail-Verkehrs. Unser Eingangsbild zeigt das ARPANET im September 1973 mit Anschluss nach Europa.