ICT 1301: Man nannte sie „Flossie“

Geschrieben am 07.10.2022 von

In unserer Serie über frühe Transistorrechner gehen wir heute nach England. Im Frühjahr 1962 erhielt die Universität von London die ersten Anlage des Typs ICT 1301; sie kam von der 1959 geschaffenen Firma International Computers and Tabulators. „Flossie“ wog fünf Tonnen und enthielt 7.350 Transistoren. Insgesamt baute der Hersteller ICT vermutlich 150 Rechner des Typs.

In den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahren liefen Computer mit Transistoren – wir haben es im Blog geschildert – in Deutschland, Holland, Österreich und natürlich in den USA. Maschinen mit den kleinen elektronischen Bauelementen gab es ebenso in England; zu nennen sind der Elliott 803, der LEO III oder der Atlas, ein Hochleistungsrechner der Universität Manchester.

Im Mai 1960 kündigte auch die International Computers and Tabulators Ltd., abgekürzt ICT, einen Transistorcomputer an. Die Firma entstand Anfang 1959 durch die Fusion der British Tabulating Machine Company BTM mit Powers-Samas; beide Unternehmen wurzelten in der Lochkartentechnik. Ab 1951 baute BTM die Röhrenrechner der Hollerith-Serie und ab 1956 den BTM 1201. Er war mehr ein elektronischer Tabulator als ein Computer, besaß aber einen Trommelspeicher. 1959 wurde er in ICT 1201 umbenannt; es folgte das Modell ICT 1202.

Die ICT 1301 im Museum von Dunedin in Neuseeland  (Foto Robocomm CC BY-SA 3.0)

Der 1960 verkündete Computer hieß ICT 1301. Er war ein Projekt der ICT und der englischen General Electric Company, die mit dem gleichnamigen amerikanischen Konzern nichts zu tun hat. Die Entwicklungsarbeit fand in einer gemeinsamen Tochterfirma – die die ICT später übernahm – in Coventry statt; dort wurde der Computer auch gefertigt. Im April 1962 lieferte die ICT das erste System an einen Kunden aus, an die Universität von London. Sie zahlte 250.000 Pfund, was damals knapp drei Millionen DM entsprach.

Die ICT 1301 wog fünf Tonnen und enthielt auf gedruckten Schaltungen 7,350 Germanium-Transistoren. Der Kernspeicher war modular aufgebaut; die größte Version fasste 4.000 Worte zu 48 Bit, was 24 Kilobyte entspricht. Ein Wort nahm eine achtstellige Dezimalzahl auf. Die Taktrate betrug ein Megahertz; eine Addition dauerte 21 Mikrosekunden, eine Multiplikation beanspruchte 170 Mikrosekunden pro Ziffer. Berechnungen mit Pfund, Schilling und Pence waren fest verdrahtet. Als Massenspeicher dienten Magnettrommeln und Bandlaufwerke. Der Hersteller baute 150 Computer des Typs oder einige mehr.

Die Anlage in London operierte bis 1972. Anschließend wurde Flossie, wie der Spitzname des Computers lautete, an eine studentische Firma abgegeben. Galdor – so hieß die Firma – nutzte sie bis 1976 für Buchhaltungsdienste; das ist ein Video mit einem der Beteiligten. Die nächsten 25 Jahre verbrachte die ICT 1301 in einer Scheune in der Grafschaft Kent. Dann begannen ihr Besitzer und Experten für alte Computer mit der Restaurierung. Sie endete 2012; erhalten sind dazu Videos von 2008 und 2009. Noch ein wenig Wortgeschichte: Flossie ist die populäre Form des Vornamens Florence.

Der zeittypische Lochkartenleser der ICT 1301  (Foto Steve Parker CC BY 2.0)

2013 gelangte der Computer in „The National Museum of Computing“ (TNMOC) nördlich von London. Er steht im Depot, doch installierte das Museum eine Seite im Internet. Sie enthält eine „virtuelle Flossie“ und informative Texte zur Geschichte des Systems. Eine weitere ICT 1301 befindet sich in Neuseeland und eine dritte im nordenglischen Städtchen Wigton. Sie ist oben in unserem Eingangsbild zu sehen (Foto Time-Line Computer Archive). Größere Teile einer ICT-1301-Anlage verwahrt außerdem die ACONIT-Sammlung im französischen Grenoble.

Nachfolger der ICT 1301 wurde die 1900-Familie; damit trat der Hersteller in Konkurrenz zur IBM 360. Den Kern des Systems erhielt die ICT bei der Übernahme der Computerabteilung der Firma Ferranti; es ging auf eine kanadische Entwicklung zurück. Rechner des Typs ICT 1909 arbeiteten in den 1960er-Jahren auch in Deutschland; bekannt sind Installationen in Berlin und in Braunschweig. 1968 ging die International Computers and Tabulators Ltd. in der International Computers Limited ICL auf. Diese kam später in den Besitz von Fujitsu; der Name ICL verschwand 2002.

Ausgemusterte ICT-1301-Hardware wurde gerne im Fernsehen eingesetzt, so in der BBC-Serie „Dr. Who“. Einen Kurzauftritt gab es 1980 in der Muppet-Show. Auch in einem James-Bond-Film von 1974 lief das ICT-System. Aber solche Streifen schaut man natürlich nicht an, um die Schönheit von Computern zu bewundern. We thank Sandra Hodson and Michael Armstrong from the Time-Line Computer Archive for the permission to use their ICT 1301 photo.

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