Im Banne der Roboter
Geschrieben am 29.09.2016 von HNF
In den späten 1930er-Jahren entstanden in der Schweiz und in den USA zwei große humanoide Roboter. 1938 baute der Kaufmann August Huber im Ort Niederteufen Sabor IV, der nach dem Krieg europaweit bekannt wurde. 1939 fertigte die Firma Westinghouse Elektro für die New Yorker Weltausstellung. Er erntete später Filmruhm. Beide Roboter haben in Museen überlebt.
„Ein noch junger Mann, Herr August Huber, von Beruf eigentlich Kaufmann, aber von Jugend auf ein Pröbler, speziell auf mechanischem und elektrischem Gebiete, hat Sabor geschaffen. Dieser ist 2,25 Meter hoch, wiegt 200 Kilo, spricht, dreht seine Augen, zeigt seine Zähne, nickt mit dem Kopfe, hat sein Gehirn als Sender ausstaffiert, seine Ohren zum Mikrophon ausgebaut, raucht wie ein Türke, bewegt sich vor-, seit- und rückwärts, alles nach Wunsch — ein Wundermensch!“
Solches erzählt die Landes-Chronik 1938 des Kantons Appenzell Ausserrhoden, der in der Nordostschweiz liegt. Der junge Pröbler – in unserem Deutsch ein Tüftler oder Bastler – August Huber schuf demnach in Niederteufen bei Sankt Gallen einen beeindruckenden Roboter namens Sabor. Eigentlich war es schon Sabor IV, denn Huber baute den ersten Automaten als Teenager in den 1920er-Jahren. Sabor II verkaufte er 1930 nach Deutschland, Sabor III wurde kurz nach Fertigstellung verschrottet. Dafür geriet das nächste Modell umso besser.
Sabor IV war der erste Roboter aus Europa, der Arme, Hände und den Kopf bewegen, Zigaretten anzünden und über die Bühne rollen konnte. Darüber hinaus beantwortete er Fragen. Die Stimme, die ertönte, gehörte aber einem versteckten menschlichen Operator. Er hörte die per Mikrofon aufgenommen Fragen über Funk. Seine Antworten wurden in gleicher Weise an Sabor übertragen und in seinem Lautsprecher wiedergegeben. Der Operator steuerte auch drahtlos die Bewegungen.
Schon 1938 trat der Automat in London auf, aus diesem Jahr stammt der erste Film. Im April 1939 berichtete die amerikanische Zeitschrift Popular Mechanics über ihn. Nach dem 2. Weltkrieg baute der Ingenieur Peter Steuer Sabor IV um. Das Erscheinungsbild blieb erhalten, doch erhielt der neue Sabor V eine Anzahl Relais, die mit Telefon-Impulsen aktiviert wurden. Steuer kaufte August Huber den Roboter ab und ging mit ihm auf Tournee. 1952 rollte er durch Hamburg und Kiel. Wie der SPIEGEL vor Ort erfuhr, ließen die Einnahmen allerdings zu wünschen übrig.
Von der Reise nach Hamburg existieren schöne Fotos im Archiv der Illustrierten LIFE; andere Bilder verwahrt die Österreichische Nationalbibliothek – bitte „Sabor“ eintippen. Die Wochenschau filmte ihn 1952 in Innsbruck (ab Minute 3:25). In den 1950er- und 1960er-Jahren traf der Roboter gekrönte Häupter und hübsche Girls. 1958 war er sechs Monate auf der Weltausstellung Brüssel zu sehen. Unser Eingangsbild zeigt ihn 1965 mit Hans-Joachim Kulenkampff im Fernsehquiz „EWG“.
Wie der VW Käfer wurde Sabor V immer wieder verbessert und erhielt unter anderem dicke Augenbrauen. Im Sommer 1967 hatte er seinen wohl größten Auftritt in der Kunsthalle Bern. Er lockte mehr als 17.000 Besucher in die Ausstellung „Science Fiction“. In den späten Sechzigern trug der Roboter eine neue Verkleidung und einen Astronautenhelm. So kann man ihn heute im Museum der Schweizer Energiefirma EBM bestaunen. Ein Foto des Museums schließt ganz unten unseren Blogtext ab.
Als Sabor IV 1938 zur Welt kam, ging auf der anderen Seite des Atlantiks der „Moto-Man“ Elektro der Vollendung entgegen. Sein Geburtsort war die Westinghouse-Fabrik in Mansfield im US-Bundesstaat Ohio und sein Vater der Ingenieur Joseph Barnett. Westinghouse pries schon in den 1920er-Jahren eine telefonische Fernsteuerung als Roboter Televox an. 1931 konstruierte Barnett einen einfachen Kunstmenschen Willie Vocalite, der auf gesprochene Anweisungen reagierte.
Während Willie nur aufstehen konnte, fuhr der 2,10 Meter große und 120 Kilo schwere Elektro umher. Er besaß ein Gebläse, um Zigaretten zu rauchen und Luftballons platzen zu lassen, und Fotozellen zum Erkennen von Rot und Grün. Der menschliche Kommandeur des Roboters sprach seine Anweisungen in ein Mikrofon. Von dort gelangten sie per Kabel zu einem externen System aus Elektronenröhren und Relais. Es zählte die Worte und initiierte unterschiedliche Bewegungen des Automaten. Auch Elektro sprach, doch kamen seine Worte von mehreren Schallplatten.
1939 und 1940 trat Elektro mit einem Conférencier im Westinghouse-Pavillon der New Yorker Weltausstellung auf. Wer eine kleine Zeitreise unternehmen möchte, findet hier die Broschüre dazu und hier eine Zeitung. Die Robotershow ist außerdem in einem langen Werbefilm der Firma überliefert, „The Middleton Family at the New York World’s Fair“. Im zweiten Jahr der Expo war ein Roboterhund Sparko zugegen. Eine Bilderserie mit Elektro besitzt die New Yorker Stadtbücherei.
Der 2. Weltkrieg legte Elektro und Sparko still, danach wurden sie aber für Veranstaltungen der Firma reaktiviert. In den späten 1950er-Jahren gelangte der Automat in einen Vergnügungspark in Kalifornien. Den Abschluss seiner Karriere bildete 1960 die Mitwirkung im Hollywoodfilm „Sex Kittens Go to College“. Dort spielte Elektro den schlauen Roboter Thinko. Experten für Künstliche Intelligenz wird es freuen, dass der Film inzwischen auf DVD vorliegt.
Später war Elektro jahrzehntelang verschollen, doch dann wurde er wiedergefunden, restauriert und im Museum seiner Geburtsstadt aufgestellt. Zusammen mit seinem Schweizer Kollegen steht der freundliche Frankenstein – der Ausdruck stammt von Westinghouse – für das alte Roboter-Paradigma der dienenden Maschine, die festgelegte Programme abarbeitet. Oder wie es Sabor ausdrückte: „Ich bin von einem Menschen erschaffen und muß dem Menschen auch gehorchen.“
Dagegen erleben wir heute die Invasion der intelligenten Roboter auf zwei, vier oder mehr Beinen, auf Rädern oder als stationäre Schmusetiere. Vorausgesagt wurden sie wie so viele Technologien in der Science-Fiction. Und vielleicht hat Isaac Asimov, der bedeutendste Schöpfer von Roboter-Utopien, Elektro live in New York gesehen. Die Weltausstellung öffnete am 30. April 1939 ihre Pforten, und Asimov – der in New York wohnte – begann seine erste Automatengeschichte am 10. Juni.
Foto: www.museums.ch