Musik aus dem Automaten

Geschrieben am 10.07.2018 von

Schon zweimal stellten wir im Blog große und kleine Museen für Computer vor. Heute geht es um ihre mechanischen Vettern, um Musikautomaten. Sie konnten nicht rechnen, aber sie arbeiteten mit unterschiedlichen Techniken feste Programme ab. Diese ließen sich auch schon wechseln und verwahren. Im Folgenden besuchen wir die wichtigsten Sammlungen für selbstspielende Musikinstrumente in Deutschland.

Digital, programmierbar, mit austausch- und speicherbarer Software. Nein, wir meinen nicht den Computer, sondern seine musikalischen Verwandten. Wir kennen sie als Spieluhren, Drehorgeln, Pianolas, Polyphone, Symphonions, Orchestrions und unter vielen anderen Namen. Ihre Melodien wurden auf Walzen mit Stiften, durch gestanzte Blechscheiben und mit gelochten Papierrollen oder Papp-Bahnen codiert. Sie sind das Thema der dritten Folge unserer kleinen Museumsreihe zur Informationstechnologie.

Eine Untergruppe der mechanischen Instrumente sind die Reproduktionsklaviere; sie verkörperten die erste Technik zur digitalen Aufnahme und Wiedergabe von Musikstücken. Ihre pneumatische Arbeitsweise und breiten Lochstreifen inspirierten wahrscheinlich das erste deutsche Computerpatent. Der in Berlin wohnende Ministerialbeamte Emil Schilling meldete es 1926 an. Doch nun folgen, wieder nach Postleitzahlen geordnet, die wichtigsten Sammlungen von Musikautomaten in Deutschland.

04103 Leipzig. Am östlichen Rand der Leipziger Innenstadt liegt das Grassimuseum. Es umfasst drei große Abteilungen: für angewandte Kunst, für Völkerkunde und für Musikinstrumente. Letztere hat eine Unterabteilung für die mechanischen Geräte. Leipzig war einst ihre wichtigste deutsche Fertigungsstätte; das spiegelt sich im Online-Lexikon der Automatenhersteller von 1876 bis 1930 wieder. Wer ihre Produkte im Video sehen und hören will, möge diesen Link anklicken.

Traditionelle Berliner Drehorgel aus dem Märkischen Museum

10179 Berlin. War wäre Berlin ohne seine Leierkastenmänner und -frauen. Zuwanderer aus Italien und ihre Nachkommen fertigten Drehorgeln seit der Mitte des 19. Jahrhunderts; die Familie Bacigalupo baute sie bis 1975. Leierkästen, sächsische Automaten und pneumatische Klaviere zeigt das Märkische Museum in Berlin-Mitte, jeden Sonntag um 15 Uhr werden sie vorgeführt. Höhepunkt ist der Einsatz des Orchestrions, der Königin der Musikmaschinen. Wer es nicht in den Köllnischen Park schafft, sieht es hier im Film.

29690 Schwarmstedt. In der Gemeinde 35 Kilometer nördlich von Hannover richtete Harry Natuschka Harry’s klingendes Museum ein. In drei Räumen vereint es hundert Musik- und Puppenautomaten aller Größen. Besonders schön sind die französischen Automatenfiguren aus der Belle Époque. Beethoven-Fans erfreut die drei Meter hohe Eroica, ein sogenanntes Symphonion; in seinem Inneren rotieren drei Blechscheiben mit den Daten der Melodie. Ein Besuch des Museums ist nur nach Vereinbarung möglich.

32339 Espelkamp. Das Deutsche Automatenmuseum präsentiert auf Schloss Benkhausen historische Münzautomaten der Unternehmerfamilie Gauselmann. Ihre Sammlung umfasst 1.800 Objekte aus aller Welt, von denen aber nur ein Teil zu sehen ist. Am 23. Juni startete die Sonderschau Gut aufgelegt mit zahlreichen Meisterwerken der mechanischen Musik. Sie läuft bis zum 16. Juni 2019. Bitte den Tag der offenen Automaten-Tür am 10. November 2018 vormerken; dann erfahren wir, was aus dem Geld wird, das wir in die Automaten werfen.

Automat vom Polyphon-Typ der Adler Musikwerke Leipzig; sie existierten von 1895 bis 1900. Die ausgestanzten Zungen der Scheibe zupften einen Metallkamm.

38154 Königslutter am Elm. Zwischen Braunschweig und Helmstedt steht der Kaiserdom von Königslutter und daneben das Museum Mechanischer Musikinstrumente. Das MMM zeigt 250 Jahre Automatengeschichte von der anderthalb Zentimeter breiten Spieluhr bis zur raumfüllenden Karussellorgel. Zu den Höhepunkten zählen ein Wurlitzer-Orchestrion von 1916 und der Akkordeon-Roboter „Tino Rossi“ aus den Goldenen Zwanzigern. Originaltöne erklingen nach Anwählen eines Bildchens der MMM-Allstars.

51709 Marienheide. Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, tief im Bergischen Land, finden wir Nordrhein-Westfalens zweiten Beitrag zur Automatenkultur. In einer ehemaligen Dorfkirche kurbeln Doris van Rhee und Ullrich Wimmer die Drehorgeln, doch stellt ihr Museum auch kompliziertere Geräte aus. Darüber hinaus besitzt es eine große Foto- und Büchersammlung zur Historie des Leierkastens. Zum Besuch bitte eine Führung buchen.

65385 Rüdesheim. Vorm Haus fließen Rhein und Wein, drinnen laufen die Instrumente von Siegfrieds Mechanischem Musikkabinett. Nächstes Jahr wird die Sammlung im Brömserhof fünfzig, sie startete im Oktober 1969 in Hochheim am Main. Zum Kabinett gehört eine Restaurierungswerkstatt, welche die Kunst des Orchestrionsbaus beherrscht. Hier gibt es eine Bildergalerie und hier ertönt Heinrich Heines Loreley mit Polyphon-Begleitung. Und dieses Video enthüllt, wie sich ein ganzes Geigenorchester automatisieren lässt.

Programmiertes Klavier der Leipziger Orchestrionwerke Paul Lösche, die von 1902 bis 1930 florierten. Beim Bau wirkte die Pianofabrik Francke mit.

67346 Speyer. Das Technik Museum Speyer besitzt einen ausgewachsenen Jumbo-Jet und einen geflogenen russische Raumgleiter, aber auch eine Sammlung von Orchestrions und mechanischen Musikinstrumenten. Die großen spielen in der Haupthalle des Museums, die kleineren im Wilhelmsbau, einige zeigt unser Eingangsbild (Foto Technik Museum Speyer). Musikalische Automaten und programmierbare Orgeln operieren auch im Schwestermuseum in Sinsheim, so eine Aeolian Grand aus New York.

76646 Bruchsal. Ein Schloss, drei Etagen, 400 Jahre, 500 Exponate. Das ist in Stichworten das Deutsche Musikautomaten-Museum in Bruchsal. Dort unterhält das Badische Landesmuseum seit 1984 die schönste Sammlung solcher Geräte in Deutschland; das älteste stammt aus der Zeit um 1620. Einen Querschnitt zeigt die Online-Galerie, weitere Videos findet man auf YouTube. Im Museumskino läuft natürlich der Laurel-und-Hardy-Film The Music Box über den missglückten Transport eines pneumatischen Klaviers.

79183 Waldkirch. Die Elz ist ein Fluss im Schwarzwald, in ihrem Tal liegt Waldkirch mit dem Elztalmuseum. Zu dessen Schätzen gehören die im Ort gefertigten Musikautomaten und Kirmesorgeln. Was uns die Gelegenheit gibt, auf die mechanische Orgel hinzuweisen, die jedes Jahr auf dem Libori-Fest in Paderborn zu sehen und zu hören ist. Sie wurde allerdings nicht im Schwarzwald gebaut, sondern von der Firma Wrede in Hannover.

Die Musikrolle des Astra-88-Klaviers.

80538 München. Beenden möchten wir unsere Tour in der Abteilung für Musikautomaten des Deutschen Museums. Trotz der laufenden Renovierung ist sie auf Ebene 2 zugänglich. Ihre Zwitschermaschine ging in die Kunstgeschichte ein. Das Museumsarchiv verwahrt 3.000 Notenrollen für selbstspielende Klaviere. Sie wurden mustergültig erschlossen, wir empfehlen einen Besuch der zugehörigen Internetseite. Zum Schluss noch ein Blick über die Grenze: schöne Museen für Musikautomaten haben auch die Schweiz und die Niederlande.

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5 Kommentare auf “Musik aus dem Automaten”

  1. Das Technikmuseum in Wien hat ebenfalls eine schöne Sammlung mit Musikautomaten.
    In der Schweiz werden noch heute Musikspieldosen hergestellt, vor allem in Sainte-Croix im Jura.
    Großartige Museen mit prächtigen funktionsfähigen Musikautomaten gibt es nicht nur in Seewen, sondern auch in Oberhofen am Thunersee, Sainte-Croix und L’Auberson (Jura). Als weltweit prachtvollster musikspielender Figurenautomat gilt die Musikerin von Jaquez-Droz in Neuenburg. Die sensationelle Dreiergruppe mit Musik-, Zeichen- und Schreibautomat wird regelmäßig vorgeführt. Ein sehr schöner, aber weniger weit fortgeschrittener musizierender Androide steht in Paris. Die Figurenautomaten von Vaucanson sind nicht erhalten.

    Alle erwähnten Museen und Automaten werden im soeben erschienenen zweibändigen Werk „Meilensteine der Rechentechnik“ (2 Bände, 1600 Seiten) in Wort und Bild beschrieben:
    Meilensteine der Rechentechnik, Band 1
    https://www.degruyter.com/view/product/480555

    Meilensteine der Rechentechnik, Band 2
    https://www.degruyter.com/view/product/503373

  2. Gabriele Sowada sagt:

    In diesem Zusammenhang sei auch das Museum Speelklok (bei einem Besuch) in Utrecht (Niederlande) empfohlen:
    https://www.museumspeelklok.nl/lang/de/

  3. Auch in Furtwangen pflegen wir, neben all den Uhren, eine Sammlung mechanischer Musikinstrumente als Zeugnis der Geschichte des Schwarzwälder Gewerbes. Zudem ist bei uns die sogenannte „Astronomische Weltuhr“ des Villinger Uhrmachers August Noll von 1885 ausgestellt, die neben zahlreichen beweglichen Figuren ebenfalls ein Musikwerk enthält. Diese Automaten werden täglich vorgeführt und können im Rahmen eines Museumsbesuches in Aktion erlebt werden.

    Herzliche Grüße,
    Das Deutsche Uhrenmuseum Furtwangen

  4. Lisa Weber sagt:

    Werde das mal bei Google checken

  5. Werner Baus sagt:

    Es freut mich als Orchestrionrestaurator, dass viele meiner Instrumente in diversen Museen anzutreffen sind. In Speyer u. Sinsheim sind es ca. 25 und im Schloss Bruchsal sogar ca. 80 Klein-u.Grossinstrumente. Durch die Zusammenlegung der Sammlung v. J.Brauers und J.Carlson die Beide meine Großkunden waren, kam diese tolle Fusion zustande. Immerhin habe ich zwischen 1972 und 2019 selbst ein Musik-Radio-u.Kinomuseum unterhalten und in dieser Zeit gut 400 elektrische Klaviere, Pianolas, Phonolas und Orchestrione besessen und auch alle selbst mit meiner Crew restauriert. In USA stehen zwei der schoensten Orchestrione von mir, d.h. ein Weber Otero und ein Hupfeld Helios III/39 im Victorian Palace.
    Ich gruesse alle Freunde selbstspielender Musikinstrumente !
    Es gibt nicht schöneres auf der Welt !
    Werner Baus
    Rentner im Unruhestand

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