Seine Exzellenz der Automat

Geschrieben am 17.12.2021 von

1907 erschien in Berlin und Leipzig der Roman „Seine Exzellenz der Automat“; Verfasser war der Wiener Journalist Leo Gilbert. Er schilderte den Bau eines künstlichen Menschen, der sich dann selbstständig macht und in die Politik geht. „Seine Exzellenz der Automat“ ist die erste wissenschaftliche Roboter-Geschichte deutscher Sprache. Seit November kann man sie im Internet lesen. 

Das Wort kam erst 1920 in Umlauf, doch dürfen wir sagen, dass der Roboter schon vorher in der schönen Literatur auftrat. 1886 schrieb Auguste de Villiers de l’Isle-Adam den Roman L’Ève future mit dem weiblichen Roboter Hadaly. Der französische Autor gab sich viel Mühe bei den Details und versah die Eva der Zukunft mit Tonwalzen für stundenlanges Geplauder. Eine weitere Walze steuerte die Körperbewegungen und das Mienenspiel.

Wie lernt eine Künstliche Intelligenz? Die Ausstellung der DASA erklärt es mit Pac-Man.

Im Herbst 1907 brachte der in Berlin und Leipzig ansässige Verlag Schuster & Loeffler einen Roboterroman in deutscher Sprache heraus. „Seine Exzellenz der Automat“ stammte vom Journalisten Leo Gilbert. Er wurde am 28. Dezember 1861 in der rumänischen Stadt Galati geboren und studierte in Zürich und in Berlin. Später war er Wissenschaftsredakteur der Wiener Zeitung „Die Zeit“. Er gehörte der Bewegung des Monismus an und entwarf eine neue Physik. Leo Gilbert starb am 4. Oktober 1932 in der österreichischen Hauptstadt.

„Seine Exzellenz der Automat“ spielt nun nicht in Wien, sondern in einer Residenzstadt, die an Berlin erinnert. Dort entdecken die Bewohner eines gutbürgerlichen Mietshauses, dass unter ihrem Dach ein verrückter Erfinder wohnt, Frithjof Andersen aus Norwegen. Er hat, wie es sich für einen mad scientist gehört, einen noch verrückteren Assistenten namens Gunnar. Beide arbeiten an der Konstruktion eines künstlichen Menschen. Parallel dazu ergeben sich allerlei Verwicklungen zwischen Frithjof und den jungen Damen im Haus.

Darstellung eines anderen Lernverfahrens in der Dortmunder Ausstellung.

Im 16. von insgesamt 27 Kapiteln wird der Roboter vorgestellt. Er ist lebensgroß, trägt einen Bart und einen guten Anzug und heißt Lars Andersen. In seinem Inneren drehen sich wie bei der Kunstfrau von de Villiers de l’Isle-Adam phonographische Walzen; seine Stimme hört sich wie die eines Menschen an. Doch Lars gibt nicht nur gespeicherte Sätze wieder. Ein akustischer Mechanismus erkennt die Worte eines Gesprächspartners, die bestimmte Folgesätze auslösen. Der Roboter ist also dialogfähig.

Die Vorführung vor einem Konsortium von Geldgebern läuft zunächst gut. Als Frithjof aber den Automaten ausschalten will, wehrt dieser ihn ab. Nach dem Satz „Entschuldigen Sie, ich habe andere, dringendere Geschäfte“ verbeugt sich Lars, schlägt die Hacken zusammen und verschwindet. Der Erfinder erkennt jetzt, was er anrichtete. Die in einem Federwerk gespeicherte Energie für die Informationsverarbeitung reicht mehrere Jahre; weitere Kräfte erhält der Roboter wie ein Mensch durch Essen und Verdauen. Er ist total selbstständig und ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft.

Grusel statt Exzellenz: Automatenkopf des Berliner Theater-Kollektivs Rimini Protokoll.

Lars findet Freunde, macht Karriere in der Politik und bringt es in wenigen Monaten zum Minister. Frithjof Andersen kann seinem Aufstieg nur ungläubig zuschauen. Als aber ein Krieg droht, schreitet er zur Tat. Er dringt ins Ministerium ein, es kommt zur finalen Prügelei zwischen Mensch und Maschine. Frithjof gewinnt, der Roboter bleibt am Boden liegen, und das 26. Kapitel endet mit den Worten „Ein Räderwerk quoll ihm aus dem Bauche. …“ Im 27. fährt der Erfinder in die Flitterwochen, während die übrige Menschheit der Technik Lebewohl sagt und sich Problemen der Ethik zuwendet.

„Seine Exellenz der Automat“ ist eine unterhaltsame Science-Fiction-Fantasie sowie eine Satire auf die deutsche Kultur. Autor Leo Gilbert kannte sich mit klassischen Automaten aus, er erwähnte außerdem die Differenzmaschinen von Vater und Sohn Scheutz. 2021 lässt sich der Roman als eine vorweg genommene Kritik der KI-Gläubigkeit lesen. Lars Andersen lernt noch nicht wie die Programme der heutigen Künstlichen Intelligenz, doch er ist ein begabter Chatbot wie die Software ELIZA, die Joseph Weizenbaum 1966 veröffentlichte.

So mögen wir Roboter: freundlich, rundlich und mit großen Kulleraugen.

Seit kurzem ist Gilberts Roman online; wir danken dem deutschen Projekt Gutenberg. Muss die frühe KI-Geschichte nun umgeschrieben werden? Vielleicht. Wer den aktuellen Zustand des Fachs studieren möchte,  kann es an zwei Orten tun: das Dresdner Hygiene-Museum und die DASA in Dortmund zeigen bis zum Sommer 2022 Sonderausstellungen über Künstliche Intelligenz. Die Fotos im Text nahm HNF-Pressesprecher Andreas Stolte in der Dortmunder Schau auf. Das Eingangsbild zeigt aber einen exzellenten Automaten in Paderborn.

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