SIRA ruft Rosenholz
Geschrieben am 17.02.2017 von HNF
Seit den 1960er-Jahren benutzte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR auch Computer, hauptsächlich für Datenbanken. Zunächst griff man auf ostdeutsche und auf französische Rechner zurück. Später erwarb das MfS Anlagen des Typs Siemens 4004. In den Achtzigern liefen seine Datenbanken auf ESER-Systemen. Nach dem Ende der DDR kamen die Spionage-Dateien SIRA und Rosenholz ans Licht.
Geheimdienste lieben Computer. Das galt während des 2. Weltkriegs im englischen Entschlüsselungszentrum Bletchley Park, wo Alan Turings „Bomben“ und die frühen Elektronenrechner der Colossus-Serie liefen. Das galt ebenso im Kalten Krieg, als die amerikanische National Security Agency Mainframes und Spezialmaschinen von IBM aufstellte. Das Thema behandelten wir vor einem Jahr bereits im Blog.
Es verwundert also nicht, dass auch das Ministerium für Staatssicherheit an moderner Datenverarbeitung Interesse zeigte. 1963 wandten sich die DDR-Geheimdienstler an ein Ost-Berliner Rechenzentrum, das zum VEB Maschinelles Rechnen gehörte. Welche Hardware man benutzte, wissen wir nicht, vielleicht den Transistorcomputer Robotron 100. Zwei Jahre später kaufte die Stasi eine Gamma 10 des französischen Herstellers Bull. Von diesem Typ hat sich ein Exemplar erhalten; es steht im Museum technikum29 bei Frankfurt/Main.
1968 folgte ein Computer GE-100 von Bull-General Electric; die französische und die amerikanische Firma waren inzwischen fusioniert. Die Systeme speicherten unter anderem Reisen in die DDR mit Passierscheinen, Besuche der Leipziger Messe und Adressen, die bei der Postkontrolle anfielen. Die Zuständigkeit oblag zunächst der MfS-Arbeitsgruppe zur Sicherung des Reiseverkehrs. Ab Juni 1969 gehört die EDV zur Arbeitsgruppe XIII, die ab 1972 Abteilung XIII hieß. In Berlin-Wuhlheide entstand ein eigenes Rechenzentrum.
Bei der Ausstattung bediente sich die Stasi bei den Brüdern und Schwestern westlich des Eisernen Vorhangs. Über das Zentralinstitut für Information und Dokumentation erwarb man drei Großrechner des Typs Siemens 4004. Der war in den späten Sechzigern der stärkste Computer des Münchner Konzerns; er basierte auf der Spectra 70 der amerikanischen Firma RCA. Siemens lieferte außerdem die Datenbank-Software GOLEM.
Die GOLEM-Magnetbänder nahmen die zentrale Personenkartei des MfS auf, die in den frühen 1970er-Jahren rund vier Millionen Karteikarten umfasste. Gespeichert wurden ebenso die Daten der Hauptverwaltung Aufklärung, die für das Ministerium für Staatssicherheit im Ausland spionierte. Was die „Kundschafter des Friedens“ und ihre westdeutschen Helfer zusammentrugen, wanderte in das System der Informationsrecherche der HVA (Hauptverwaltung Aufklärung), abgekürzt SIRA. Die Klarnamen von Agenten wurden dabei verschwiegen.
In den 1980er-Jahren ersetzte das MfS seine Siemens-Rechner durch Computer aus dem Einheitlichen System Elektronischer Rechentechnik ESER. Eine ESER-Anlage befindet sich auch im Heinz Nixdorf MuseumsForum. Die Hardware-Umstellung führte dazu, dass die HV A ihre Spionagedaten auf eine andere Software konvertierte. Alte SIRA-Bestände blieben aber erhalten und entgingen der Aktenvernichtung, die die HVA vor ihrer Auflösung vornahm. Ein 13 Megabyte schweres Verzeichnung von Ausgangsinformationen ist online.
Überlebt haben auch die Rosenholz-Dateien; sie wurden nach dem Ende der DDR der CIA zugespielt. Sie füllen 381 CD-ROMs und geben Karteikarten der HVA wieder. Erfasst sind 280.000 Personen aus Ost und West. Von ihnen waren aber nur 6.000 Bundesbürger und 20.000 DDR-Einwohner „Inoffizielle Mitarbeiter“ des Geheimdienstes. Rosenholz-Daten zu einem bestimmten Namen gibt die Stasi-Unterlagenbehörde BStU auf Antrag heraus. Ein informativer Artikel zur SIRA-Nutzung findet sich in der Zeitschrift Horch und Guck.
Eingangbild: Volker Plass (Wien), CC BY-SA 3.0