Tag der Philosophen
Geschrieben am 27.08.2020 von HNF
Heute vor 250 Jahren wurde ein großer Denker geboren: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vor 40 Jahren erschien ein Aufsatz des Philosophen John Searle über Künstliche Intelligenz; er definierte die starke und schwache KI und enthielt die bekannte Parabel vom chinesischen Zimmer. Zum doppelten Jubiläum möchten wir uns daher mit den geistigen Fähigkeiten von Computern befassen.
2020 feiern wir nicht nur Ludwig van Beethoven, sondern auch Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Er kam am 27. August 1770 in Stuttgart zur Welt und wurde zu einem viel gelesenen Philosophen. So schrieb er über die Phänomenologie des Geistes und die Wissenschaft der Logik. Die Hegelsche Dialektik brachte Karl Marx auf seine Theorie der Revolutionen; seine Anhänger veränderten damit die Welt. Hegel starb am 14. November 1831 in Berlin.
Sein Werk blieb vielen Menschen ein Rätsel. Bald nach Hegels Tod kursierte ein Ausspruch „Nur einer meiner Schüler hat mich verstanden, und der hat mich falsch verstanden“. Dass Philosophen missverstanden werden, kommt auch in unserer Zeit vor. Ein gutes Beispiel ist der Aufsatz „Geist, Gehirn, Programm“ des amerikanischen Gelehrten John Searle. Der Text erschien im September 1980; er ist eine oft zitierte Analyse der Künstlichen Intelligenz. Sein Autor wird heute weniger geschätzt. 2019 verbannte die Universität Berkeley John Searle wegen sexueller Vergehen vom Campus.
Wegen der philosophischen Bedeutung möchten wir uns aber den Aufsatz anschauen. Die Originalfassung ist online, eine deutsche Übersetzung stand 1986 in einem Sammelband und 1993 in einem Reclam-Heft. Eine überarbeitete Fassung erschien im März 1990 im Magazin „Spektrum der Wissenschaft“. Zu Beginn des Textes von 1980 führte Searle die schwache und die starke Künstliche Intelligenz ein. Was meinte er damit? Vielleicht zwei Entwicklungsstufen der KI, eine weniger schlaue und eine klügere?
Aus dem Kontext wird klar, dass es sich um unterschiedliche Sichtweisen der Künstlichen Intelligenz handelt. Anhänger der schwachen KI sehen einen Computer mit einem KI-Programm nur als nützliche Maschine, Freunde der starken glauben, dass ein Computer dadurch „kognitive Zustände“ annimmt. Mit passender KI-Software kann ein Computer also denken. Searle bezog sich dabei auf Forschungen des Linguisten und Informatikers Roger Schank und des Psychologen Robert Abelson in der Yale-Universität.
Mittlerweile werden die Begriffe anders gedeutet. Wir rufen einmal das Glossar aus dem Wissenschaftsjahr 2019 auf. Danach umfasst die starke KI „Hypothetische KI-Systeme, die mindestens über menschenähnliche Intelligenzleistung in allen Bereichen …verfügen“. Die schwache Sorte ist identisch mit aktuellen Programmen der Künstlichen Intelligenz. Ähnlich sagt es Wikipedia. Die starke KI neuerer Definition entspricht somit der Artificial General Intelligence, die seit 2002 in den USA diskutiert wird.
1980 ging es John Searle darum, die Annahme einer vorhandenen starken KI zu widerlegen. Er formulierte dazu das Gedankenexperiment mit dem Chinesischen Zimmer. In ihm sitzt eine Person, die Tafeln mit chinesischen Schriftzeichen entgegennimmt und nach festen Regeln andere Tafeln herausreicht. Die Regeln beziehen sich– was die Person nicht weiß – auf den Inhalt eines chinesischen Textes. Von außen sieht es so aus, als ob sie die Sprache beherrscht. In Wirklichkeit vollzieht sie nur einen Algorithmus.
Für Searle stand fest, dass die Person im Zimmer neben dem Hantieren mit den Schrifttafeln keinerlei geistige Leistungen erbringt. Damit wäre die Position der starken Künstlichen Intelligenz nicht zu halten. Nach der Publikation von „Geist, Gehirn, Programm“ entbrannte eine wilde Diskussion über die Existenz der starken KI; wir verweisen auf die deutsche und englische Wikipedia-Seite zum Chinesischen Zimmer. Am Ende setzte sich John Searle mit seiner Skepsis durch.
Nun sind wir vierzig Jahre weiter. Könnte es nicht sein, dass ein Dialogprogramm wie Alexa oder Siri geistige Fähigkeiten besitzt? Die Antwort auf diese Frage lautet „Nein“. Sprechen, also das Formulieren und Artikulieren sinnvoller Sätze, ist eine Tätigkeit, und Tätigkeiten lassen sich programmieren. Wir können uns vorher überlegen, was wir sagen, aber beim Sprechen denken wir nicht, wir sprechen einfach. Wir denken auch nicht über Sinn und Bedeutung nach. Ein redendes Programm vollzieht deshalb keine geistige Leistung.
In der Philosophie des Bewusstseins lassen wir uns oft durch das „Männchen im Kopf“ irreführen, das im Gehirn schaltet und waltet. Der deutsche Grafiker Fritz Kahn zeigte in den 1920er-Jahren gleich zwei in einem Buch über „Das Leben des Menschen“. In Wirklichkeit spielt sich im Gehirn vieles ab, dessen wir nicht gewahr werden. Gewusst hat das schon der Schriftsteller Heinrich von Kleist, als er „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ nachgrübelte. Der um 1805 entstandene Essay ist online; die Lektüre können wir allen KI-Interessierten empfehlen.
Unser Eingangsbild zeigt links Georg Friedrich Wilhelm Hegel, wie ihn 1831 der Maler Jakob Schlesinger sah. Rechts daneben ist John Searle im Jahr 2015, aufgenommen von David Calhoun alias FranksValli (CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten). Der Text von John Searle steht in dem 1986 erschienenen Buch „Einsicht ins Ich“, herausgegeben von Douglas Hofstadter und Daniel Dennett.