Texte aus der Austastlücke

Geschrieben am 29.05.2020 von

Ab den 1970er-Jahren verbreiteten sich in Westeuropa die sogenannten neuen Medien; dazu gehörten etwa Videorekorder und Bildschirmtext. 1977 zeigte die Berliner Funkausstellung zum ersten Mal den Videotext. Das System übertrug Informationen im ungenutzten Teil des Fernsehbilds. Vor vierzig Jahren, am 1. Juni 1980, starteten die ARD und das ZDF einen gemeinsamen Testbetrieb der Technik.     

„Wird der Mensch von morgen vorzugsweise vor dem Fernseher lagern, in der linken Hand das Feingebäck, rechts das moderne Tasteninstrument, die Fernbedienung? Wird aus der Wohnstube ein dämmeriger Isoliertrakt, bevölkert mit nomadischen Einzelgängern, die nur noch über die Röhre miteinander kommunizieren? Hat der mobile Mensch, der aktive Zweibeiner, gar keine Zukunft mehr?“

So fragte der SPIEGEL am 4. August 1980. Der Grund zur Sorge waren zwei neue Medien. Am 2. Juni 1980 begann die Post mit Versuchsprogrammen für den Bildschirmtext in Düsseldorf und West-Berlin; wir haben sie im Blog behandelt. Einen Tag vorher startete in der gesamten Bundesrepublik ein Test für den Videotext. Er war auf zehn Jahre angesetzt und wurde von ARD und ZDF organisiert. In beiden Fällen gelangten Buchstaben, Zahlen und Zeichen auf den heimischen Fernseher. Bei der Post geschah das übers Telefon; der Videotext – er soll unser heutiges Thema sein – kam durch die TV-Antenne.

Eine Ceefax-Seite der BBC aus dem Jahr 2008.

Sein Erfinder war der Ingenieur John Adams vom englischen Zweig des Philips-Konzerns. Der Videotext basiert darauf, dass das Fernsehbild 625 Zeilen zählt, von denen nur 576 Zeilen Bildinformationen tragen. Der Rest ist die Austastlücke; sie steht zur weiteren Nutzung zur Verfügung. Die BBC übernahm das System von Adams unter den Namen Ceefax und Teletext; in die schwarze Lücke packte sie 24 Zeilen mit bis zu vierzig Zeichen. Am 23. September 1974 ging Ceefax auf Sendung. Im Angebot waren dreißig Textseiten.

Zum Empfang benötigten die Zuschauer einen Decoder oder einen Fernseher mit spezieller Elektronik. Sie brachte die verschickten Daten auf die Mattscheibe und ermöglichte die Auswahl bestimmter Seiten. Am 2. Juli 1975 sendete die BBC-Konkurrenz ITV ein ähnliches Textprogramm namens Oracle. Die gleichnamige Datenbankfirma gab es damals noch nicht. Schon im April 1975 strahlte der Bayerische Rundfunk erste Versuchssendungen aus, seine deutsche Premiere erlebte der Videotext aber 1977 auf der Berliner Funkausstellung. Sie lief vom 26. August bis zum 4. September und präsentierte die Palette der neuen Medien.

Wie ein Video zeigt, konnten die Besucher neben dem Bildschirmtext – gelegentlich noch Viewdata genannt (Minute 0:20) – drei weitere Textsysteme erleben. Das Münchner Institut für Rundfunktechnik hatte aus Ceefax den Videotext von ARD und ZDF sowie die genauso funktionierende Bildschirmzeitung entwickelt. Hinter ihr standen mehrere Verlagshäuser. Das dritte System hieß Antiope, es kam aus Frankreich. Es wurde dort später offiziell eingeführt, aber nirgendwo sonst auf der Welt.

So erschien 2011 der Teletext des ORF auf dem Fernsehschirm.

Auch auf der IFA 1979 waren Videotext und Bildschirmzeitung zu sehen. Der bundesweite Start erfolgte am 1. Juni 1980. Kurz vorher, am 16. Mai 1980, hatten sich Sender und Verlage auf die Verteilung der Inhalte geeinigt. Fünf überregionale Zeitungen duften zusammen 15 Videotext-Seiten füllen. Den ARD-Anstalten, dem ZDF und dem Deutschlandfunk – auch das Radio beteiligte sich am Test – standen 60 Seiten zur Verfügung. In den westdeutschen Haushalten gaben 70.000 Fernseher das neue Medium wieder.

In Österreich lief schon Anfang 1980 ein Videotext. Unsere Nachbarn nannte ihn Teletext wie in England. Hier fand die Rundfunk- und Fernsehanstalt ORF die nötige Hardware; als die BBC ihre alte Anlage für 64 Ceefax-Seiten ausmusterte, griff ORF-Manager Gerhard Weis zu. Mit 500 textfähigen TV-Geräten im Land startete der Dienst am 21. Januar. Die Fernseher wurden schnell mehr, und man konnte Seiten ausdrucken. Der SPIEGEL, der im September 1981 die Videotexte verglich, bewertete die österreichischen viel besser als die deutschen.

ARD und ZDF lernten mit der Zeit hinzu, und 1990 nahm der Videotext den regulären Betrieb auf. Privatsender beteiligten sich, die beiden Gründungsanstalten gingen aber seit dem Jahr 2000 eigene Wege. Das wird im Eingangsbild deutlich, das eine ARD-Seite von 2014 zeigt (Foto ARD, User: Adrio CC BY-SA 3.0). Die aktuellen Videotext-Versionen gibt es mittlerweile im Internet, für das erste und zweite Programm, und man feiert auch den 40. Geburtstag. Pionier Ceefax wurde am 23. Oktober 2012 von der BBC leider abgeschaltet.

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