Welten am Draht
Geschrieben am 29.05.2015 von HNF
Vor 50 Jahren erschien im Goldmann-Verlag der Zukunftsroman „Welt am Draht“, verfasst von Daniel F. Galouye; das US-Original „Simulacron-3“ kam 1964 heraus. Das Buch basierte auf der Idee, dass unser ganzes Leben nur eine Computersimulation ist. 1973 wurde „Welt am Draht“ von Rainer Werner Fassbinder verfilmt, der am 31. Mai siebzig Jahre alt geworden wäre.
Eine verrückte Vision: Die Welt, wie wir sie kennen oder zu kennen glauben, gibt es überhaupt nicht. Es gibt auch nicht den Computer, an dem Sie sitzen und diese Zeilen lesen, und schon gar nicht ein Computermuseum in Paderborn, das seit März 2015 einen Blog produziert. Alles, aber wirklich alles ist nur eine Illusion, eine Simulation, die von einer bösen Macht erzeugt und mit elektrischen Strömen in unsere Gehirne eingespeist wird. Wobei wir besser nicht fragen, wo sich diese befinden und wie sie dort hingekommen sind.
Das ist in kurzen Worten die Grundlage eines Romans, der Science-Fiction-Fans und Philosophen bis heute beschäftigt. „Simulacron-3“ schrieb der Journalist und Schriftsteller Daniel F. Galouye 1964. 1920 in New Orleans geboren, starb Galouye schon 1976, vermutlich an Spätfolgen von Verletzungen, die er in jungen Jahren als Pilot der amerikanischen Marine erlitt.
Stanislaw Lem im Jahr 1966 (Foto Wojciech Zemek, CC BY-SA 3.0)
Die Idee der vorgespiegelten Welt kam im Jahr 1964 noch einem anderen SF-Autor, dem Polen Stanislaw Lem. Er präsentiert sie aber nicht in Form einer Erzählung, sondern als wissenschaftliche Spekulation in der Essaysammlung „Summa Technologiae“. Lems „Phantomatik“ tauchte dann leicht verändert in seinem Roman „Der futurologische Kongress“ von 1971 auf. In den Grundzügen findet sich das Konzept wohl schon im Höhlengleichnis des griechischen Philosophen Plato.
Vielleicht wegen der Plato-Inspiration wurden die Welten am Draht von mindestens einem Philosophen sehr ernst genommen. Der in Schweden geborene und in Oxford lehrende Nick Bostrom – der jüngst vor der „Superintelligenz“ warnte – publizierte 2003 eine gelehrte Abhandlung und eröffnete eine umfangreiche Internetseite zur Simulationstheorie. Zu nennen ist auch der amerikanische Forscher Silas Bean, der die Theorie mit den Werkzeugen der Quantenphysik analysierte.
1999 kam unsere Vision gleich zweifach auf die Kinoleinwand. „The 13th Floor – Bist Du was Du denkst?“ war eine deutsch-amerikanische Koproduktion, hinter der Roland Emmerich stand und in der Armin Müller-Stahl mitwirkte. Sie folgte entfernt der Vorlage von Galouye, während der Konkurrenzfilm „Matrix“ mit Keanu Reeves bloß die Grundidee der simulierten Welt verwendete. Er ließ aber die Kassen klingeln und bescherte uns zwei Fortsetzungen sowie den digitalen Regen. Unser Eingangsbild zeigt den von Jamie Zawinski.
Hirn am Draht: Gedanken bewegen Schachfiguren
Als beste Verfilmung der „Welt am Draht“ gilt allerdings die gleichnamige zweiteilige TV-Produktion, die am 14. und 16. Oktober 1973 in der ARD lief. Unter der Regie von Rainer Werner Fassbinder, der auch am Drehbuch mitwirkte, spielte Klaus Löwitsch den Kybernetiker Fred Stiller, der den Großrechner Simulacron-1 beaufsichtigt. Dieser erzeugt eine virtuelle Welt mit unterschiedlichen Personen, von denen eine sogar zum Leben erwacht und in die Realität aufsteigt. Und am Ende landen noch mehr Leute in einer anderen Welt.
Fassbinder verzichtete weitgehend auf Filmtricks, doch auch ohne Spezialeffekte stellt sich beim Zuschauer ein Science-Fiction-Gefühl ein, nicht zuletzt durch die eingesetzten Computer. Das waren Mainframes vom Typ Siemens 4004/45, die 1968 auf den Markt kamen und auf dem amerikanischen Modell RCA Spectra basierten. Siemens schaffte es zwar nicht, mit der 4004 Geld zu verdienen, doch drei Systeme gelangten immerhin ins Rechenzentrum des Ministeriums für Staatssicherheit.
Weitere Informationen zur ARD-Verfilmung bietet die Rainer Werner Fassbinder Foundation im Netz an. Seit 2010 gibt es „Welt am Draht“ auf DVD. Am 31. Mai wäre der Regisseur 70 Jahre alt geworden, und für alle Fans bringen wir drei Fotos sowie das Plakat der Fassbinder-Ausstellung, die noch bis 23. August in Berlin zu sehen ist. (Copyright Deutsches Filminstitut Frankfurt a.M.)
Rainer Werner Fassbinder 1970
Fassbinder mit Kameramann Michael Ballhaus 1970 – Ballhaus wirkte auch bei „Welt am Draht“ mit.
Fassbinder mit dem tunesischen Schauspieler El Hedi ben Salem 1971