Wer erdachte den Mikroprozessor?
Geschrieben am 23.12.2025 von HNF
Unser Weihnachtsmann ist ein Erfinder. Gilbert Hyatt wurde 1938 in New York geboren. 1969 gründete er eine Computerfirma in Kalifornien. Am 28. Dezember 1970 meldete er ein Datenverarbeitungssystem zum Patent an, das er 1990 erhielt. Hyatt sah sich als Schöpfer des Mikroprozessors und kassierte Gebühren von anderen Firmen. 1998 wurden ihm aber alle Urheberrechte aberkannt.
Gilbert Peter Hyatt kam am 26. März 1938 im New Yorker Bezirk Queens zur Welt. Die Eltern stammten aus Weißrussland, der Vater war als Ingenieur für die Stadt tätig. 1954 zog die Familie nach Kalifornien. Hier beendete Hyatt die High School und studierte Elektrotechnik in Berkeley und Los Angeles. Er arbeitete in der boomenden Luft- und Raumfahrtindustrie, ab 1968 für den Mischkonzern Teledyne.
1967 meldete Hyatt sein erstes Patent an, das einen Signal-Konverter betraf. 1968 erfand er einen digitalen Differentialanalysator und 1969 einen Nur-Lese-Speicher. Im gleichen Jahr machte er sich selbstständig. In Northridge, einem Stadtteil von Los Angeles, gründete er die Micro Computer Company, in der er als technischer Direktor fungierte. Er hatte finanzielle Unterstützer, bald umfasste das Start-up dreißig Köpfe. Seine Ideen für einen neuartigen Elektronenrechner setzte Hyatt zunächst in eine Steckplatine um und dann in Prototypen mit gedruckten Schaltungen. Er ließ außerdem einen Patentantrag schreiben.
Am 28. Dezember 1970 reichte Hyatt die Erfindung, die sein Schicksal werden sollte, beim Patentamt in Washington ein. Sie trug die Bezeichnung „Factored data processing system for dedicated applications“, zu Deutsch etwa „Unterteiltes Datenverarbeitungssystem für spezielle Anwendungen“. Leider haben wir nicht den Text der Anmeldung, einer von vielen Patentansprüchen erwähnte aber eine Platzierung des Systems auf einem „single integrated circuit chip“. Damit war mit ziemlicher Sicherheit ein Mikrochip gemeint, näher erläutert wurde die Unterbringung allerdings nicht.
Im November 1971 verkündete die Firma Intel in einer Anzeige den Chip Intel 4004, womit ein neues Zeitalter der Mikroelektronik begann. Kurz vorher beendete Hyatts Unternehmen seine Tätigkeit, danach lebte der Erfinder von Consulting-Aufträgen. Hin und wieder machte er neue Erfindungen. So bekam er 1975 ein Patent zum Überwachen von Haustieren, das sich auch auf Menschen und Autos ausdehnen ließ. Die Anmeldung von 1970 verfolgte er weiter; er änderte sie mehrfach ab. 1977 erhielt sie den Titel „Single chip integrated circuit computer architecture“.
Am 17. Juli 1990 genehmigte das Patentamt endlich Gilbert Hyatts Ideen. Die Patentschrift trug die Nummer 4.942.516 und umfasste mit Zeichnungen 79 Seiten. Unser Eingangsbild zeigt die Schalttafel eines im Text beschriebenen Rechners. Auf der vierten Seite findet sich der Satz: „Dieser Halbleiter-Computer (monolithic data processor) kann auf einem einzigen Chip mit einem integriertem Schaltkreis untergebracht werden, der einen Nur-Lese-Speicher, einen Direktzugriffsspeicher und Schaltkreise zur Ausführung von Programmen enthält.“ Kurz gesagt, es gab plötzlich einen Erfinder des Mikroprozessors.
Hyatt stand nun vor der Aufgabe, etablierte Chiphersteller wie Intel, Motorola oder Zilog zur Zahlung von Lizenzgebühren zu bringen. Ab November 1991 wurde er von der US-Tochter des Elektro- und Elektronikriesen Philips unterstützt. Er schloss mit ihr einen Vertrag über die Nutzung seiner Patente ab, Philips half beim Eintreiben von Gebühren. In der Folgezeit verdiente Hyatt vermutlich einige Millionen Dollar. Er zog von Kalifornien nach Nevada um – dieser Bundesstaat erhebt keine Einkommensteuer – und ließ sich in Las Vegas nieder.
Schon im April 1991 beantragte Texas Instruments beim Patentamt eine Prüfung von Gilbert Hyatts Ansprüchen. Die Firma stützte sich auf eigene Patente für Mikroprozessoren aus den frühen 1970er-Jahren, wir erzählten ihre Geschichte im Blog. Das Verfahren dauerte bis Juni 1996 und bescherte Hyatt eine Niederlage. Das Patent Nr. 4.942.916 wurde ihm aberkannt. Der Erfinder zog vor ein Berufungsgericht, das sich im Juni 1998 aber gleichfalls gegen ihn aussprach. Auf Seite 80 der Patentschrift wurde ein entsprechender Hinweis eingefügt.
1993 startete ein episches Verfahren, in dem der Bundesstaat Kalifornien angebliche Steuerschulden Hyatts einklagen wollte. Es ging bis zum Supreme Court in Washington und endete nach 26 Jahren. Im Zuge der Affäre entstand ein Video, in dem wir Gilbert Hyatt sehen und hören. Details zur Biografie stehen in einer Oral History aus dem Jahr 2019. Wir empfehlen auch einen BYTE-Artikel mit Foto und Interview von 1991. Haften bleibt ein im Grunde tragischer Technikheld, der wie ein Michael Kohlhaas des Patentrechts wirkt und das Fach nicht voranbringt. Ob Hyatt ein Patent-Troll war, möchten wir offenlassen.
Unseren Lesern und Leserinnen wünschen wir aber alles Gute für die Weihnachtstage, und wir melden uns gleich anschließend zurück.
