Willkommen im Computer Museum
Geschrieben am 23.09.2016 von HNF
Das erste Museum zur Geschichte des Computers, das den Namen verdiente, war „The Computer Museum“. Es begann 1979 als historische Sammlung der Firma Digital Equipment. 1984 wurde es in einem alten Lagerhaus im Hafen der amerikanischen Stadt Boston neu eröffnet. Es schloss 1999. Die Exponate bildeten später die Basis für das große Computermuseum in Kalifornien.
Wo stand eigentlich das erste Computermuseum? War es die Sammlung der RWTH Aachen, die anno 1987 eröffnete und ab 2006 Stück für Stück aufgelöst wurde? Oder vielleicht das Haus zur Geschichte der IBM-Datenverarbeitung, 1994 in Sindelfingen gestartet, 2012 geschlossen und geleert? Oder doch das am 24. Oktober 1996 in Paderborn eingeweihte Heinz Nixdorf MuseumsForum?
Fairerweise müssen wir sagen: Es war woanders. Die Krone des ersten eigenständigen Museums zur Informationstechnik gebührt dem Computer Museum im US-Bundesstaat Massachusetts, selbst wenn es nie ein separates Gebäude füllte. Es begann als eine Ausstellung von Rechenmaschinen und Computern an einem Standort der Digital Equipment Corporation in Marlborough. Die DEC existierte seit 1957 und baute vor allem Minicomputer. 1998 wurde sie vom PC-Hersteller Compaq geschluckt.
Das Digital Computer Museum, so der offizielle Titel, belegte im Gebäude 550 Quadratmeter. Die Eröffnung fand am 24. September 1979 statt; Festredner war der englische IT-Pionier Maurice Wilkes. Bei einer ähnlichen Veranstaltung im Jahr 1981 sprach auch Konrad Zuse. Museumsleiterin war Gwen Bell, Gattin von Gordon Bell, dem technischen Direktor von DEC, die auch das Budget zur Verfügung stellten. Im ersten Jahr betrug es 100.000 Dollar und stieg bis 1983 auf 295.000 Dollar.
Das Museum zeigte hauptsächlich amerikanische Hardware und viele DEC-Rechner, doch auch eine englische Atlas und eine Siemens 2002. Die „Mona Lisa“ war der Röhrenrechner Whirlwind von 1951, den DEC-Chef Ken Olsen vor der Verschrottung bewahrt hatte. Neben Minis und Mainframes waren kleinere Computer wie der revolutionäre Alto oder der 8-bit-Rechner Altair zu sehen. Nach der Eröffnung erhielt das Museum Teile des Verteidigungssystems SAGE und den mobilen Roboter Shakey.
Ende 1982 machte sich das Museum selbstständig und hieß nun „The Computer Museum“. Im Herbst 1983 zog es aus dem ländlichen Marlborough in die Großstadt Boston. Die neue Unterkunft war ein früheres Lagerhaus am Hafen. Dort nutzte des Museum insgesamt 1.100 Quadratmeter in den beiden oberen Etagen. Dazu kam ein Shop im Erdgeschoss. Auf dem Vorplatz erhob sich eine 13 Meter hohe Milchflasche in den Himmel, die auf das im Gebäude befindliche Kindermuseum hinwies.
Die Neueröffnung des schöneren und größeren Computer Museums geschah am 13. November 1984. Chefkurator der Ausstellung war der Engländer Oliver Strimpel, der zuvor im Londoner Science Museum gearbeitet hatte. In der folgenden Zeit strömten bis zu 135.000 Besucher jährlich herbei, die vier Dollar Eintritt zahlten, Kinder und Rentner entrichteten die Hälfte. Der Etat fürs erste Geschäftsjahr belief sich auf 435.000 Dollar, wuchs aber schnell an. Die westdeutschen Zeitungsleser erfuhren im März 1985 vom Bostoner Museum, als die ZEIT darüber schrieb.
Der erste Fernsehfilm, in dem Gordon Bell auftrat, entstand schon Ende 1983. Ein späterer Bericht schilderte den 1990 erbauten Walk-through Computer. Auf der betreffenden Ausstellungsfläche wurden Peripherie und Innereien eines normalen Desktop auf menschliche Maße vergrößert, so dass die Besucher durchlaufen und – siehe Eingangsbild – den Trackball besteigen konnten. Nun berichtete sogar der SPIEGEL. Der begehbare Computer ist die bis heute bekannteste Installation des Hauses.
Trotz der durchweg positiven Resonanz erkannten die Verantwortlichen in den 1990er-Jahren, dass das Museum in Boston keine Zukunft hatte. Der Depotplatz wurde knapp, und die IT-Industrie zog nach Westen ins Silicon Valley und in die Microsoft-Region um Seattle. Man richtete deshalb ein „History Center“ in Kalifornien ein, faktisch ein großes Lager, in das neu gespendete Geräte wie auch Altbestände überführt wurden. 1999 schloss das Bostoner Computer Museum für immer seine Pforten. Seine Objekte und alle übrigen Archivalien gingen an das erwähnte Center.
Aus ihm entwickelte sich dann das Computer History Museum in der kalifornischen Gemeinde Mountain View. Es eröffnete am 13. Januar 2011 in einem früheren Gebäude der Firma Silicon Graphics. Die große Milchflasche vom Bostoner Hafen ist verschwunden, dafür finden die Besucher auf der anderen Straßenseite das riesige Gelände von Google. Die Ausstellungsfläche innerhalb des Museums misst 2.300 Quadratmeter, der Katalog führt rund 100.000 Objekte, Schriften und Bilder auf.
Vom Computer Museum bleiben die Erinnerung, ein letztes Video und die vorbildliche Dokumentation von Gordon Bell. Empfehlen können wir außerdem die online verfügbar Büchersammlung des Ehepaars Bell zur Geschichte der Mathematik, Rechentechnik und Informatik.
Liebe Mitleser,
neben der neugierig machenden Hardware zeigte das Computermuseum bei meinem Besuch im Jahre 1993 auch erste Multimedia-Applikationen. In einer bemerkenswerten Anwendung der amerikanischen chemischen Industrie konnte man über eine Auswahlmatrix verschiedene Stoffe virtuell miteinander reagieren lassen. Da krachte es häufig sehr dekorativ…
Es gab auch verschiedene 30 Sekunden-„newsreels“ über die Computertechnik. In Erinnerung blieb mir eine Szene, in der ein Papst (welcher?) einen Großrechner segnete und die Operator dabei im Rechenzentrum niederknieten. Leider waren diese Filmschnipsel unverschämt teuer.