Willkommen im Silizium-Zeitalter
Geschrieben am 28.03.2022 von HNF
Heute und morgen, am 28. und am 29. März, findet im HNF das Heinz-Nixdorf-Kolloquium 2022 statt; es widmet sich dem Silizium-Zeitalter. Das begann vor 68 Jahren: 1954 fertigten Chemiker in den amerikanischen Bell-Laboratorien und in der Firma Texas Instruments die ersten Transistoren aus jenem Element. Texas Instruments führte sie dann erfolgreich in den Markt ein.
Einst beruhten die Wirtschaft und der Wohlstand eines Landes oftmals auf Kohle und Stahl, heute wahrscheinlich auf Öl und ganz sicher auch auf Silizium. Das chemische Element mit der Abkürzung Si gehört zu den Halbmetallen; es ist die Grundlage der Mikroelektronik und der Computerchips. Es verwundert also nicht, dass sich das dritte Heinz-Nixdorf-Kolloquium – die ersten gab es 2016 und 2018 – mit dem Silizium-Zeitalter befasst. Das Kolloquium findet am Montag und Dienstag dieser Woche im HNF statt.
Silizium ist ein Halbleiter. Die Eigenschaft führte zum Einsatz in Transistoren, integrierten Schaltungen und Mikroprozessoren. Die ersten Transistor-Computer liefen in den 1950er-Jahren. Viele enthielten Transistoren aus Germanium, doch mit dem Aufkommen integrierter Schaltungen setzte sich das Silizium durch. Dazu werden Si-Einkristalle erzeugt und in Scheiben geschnitten, die Wafer. Mit optisch-chemischen Techniken entstehen auf ihren Oberflächen winzige Schaltkreise. Jeder Wafer wird anschließend in Chips zersägt, die jene Schaltkreise enthalten.
Ein Verfahren zur Produktion von Einkristallen entdeckte der deutsch-polnische Chemiker Jan Czochralski 1916 in Berlin. Sein amerikanischer Kollege Gordon Teal wandte es 1948 auf die Erzeugung von hochreinem Germanium an. Teal wurde 1907 im texanischen Dallas geboren und studierte Mathematik und Chemie. 1930 erhielt er eine Stelle in den Bell-Laboratorien; dort befasste er sich unter anderem mit Fernsehröhren. 1947 erlebte er vor Ort die Entdeckung des Germanium-Transistors mit, was ihn zu den Einkristallen brachte
1953 wurde Gordon Teal Forschungsdirektor der Elektronikfirma Texas Instruments in seiner Heimatstadt Dallas. Das Unternehmen produzierte bereits Transistoren aus Germanium; Teal baute nun eine Fertigung für Silizium auf. Aus der Physik war bekannt, dass ein Silizium-Transistor bei höheren Temperaturen arbeiten könnte als die entsprechenden Elemente aus Germanium. Kurz, er eignete sich besser für militärische Anwendungen in Düsentriebwerken und Raketen. Im Kalten Krieg war das ein überzeugendes Verkaufsargument.
Der Nachteil bestand darin, dass Silizium-Kristalle schwierig zu erzeugen und zu verarbeiten waren. Der Leiter des damit betrauten Texas-Instruments-Teams wurde der Chemiker Willis Adcock, ein gebürtiger Kanadier. Mit Ausgangsmaterial vom Chemiegiganten Du Pont züchtete er in vielen Versuchen die für einen Transistor erforderlichen Einkristalle. Endlich, am 14. April 1954, funktionerte der erste im TI-Labor. Er war aber nicht der erste der Welt.
Was Teal und seine Kollegen nicht wussten: Der Chemiker Morris Tanenbaum hatte schon im Januar 1954 in den Bell-Laboratorien einen Si-Transistor hervorgebracht. Das blieb jedoch geheim, es begann auch keine Serienfertigung. Die Bell-Labs konzentrierten sich zunächst auf Silizium-Solarzellen, und die erste wurde am 25. April 1954 mit einem kleinen Riesenrad vorgeführt. Die Forscher bei Texas Instruments kriegten einen Riesenschreck und setzten nun alles daran, ihren Transistor so schnell wie möglich an die Öffentlichkeit zu bringen.
Vom 10. bis 12. Mai 1954 fand in Dayton im US-Bundesstat Ohio eine Fachkonferenz über Elektronik und Luftfahrt statt. Der erste Tag galt dem Thema Silizium-Transistor. Ein Referent nach dem anderen beklagte die mangelnden Fortschritte; allgemein wurde erwartet, dass es Jahre bis zur Marktreife dauern würde. Der vorletzte Redner war Gordon Teal. Sein Vortrag war allgemein gehalten, doch dann sagte Teal: „Im Unterschied zu den pessimistischen Einschätzungen meiner Kollegen kann ich mitteilen, dass ich ein paar Silizium-Transistoren in der Tasche habe.“
Danach hob er einen Plattenspieler aufs Podium, an dem ein Kabel mit einem Germanium-Transistor hing. Letzterer verstärkte den Ton. Teal setzte das Gerät in Gang, und es erklang Musik. Nach einer Weile versenkte er den Transistor in heißes Öl – man hörte nichts mehr. Nun steckte Teal einen Silizium-Transistor ein und wiederholte den Versuch. Dem Verstärker machte die Hitze nichts aus. Teal schloss mit den Worten, dass ein Aufsatz über seine Transistoren am Ausgang des Saals bereitliegen würde.
Was nun passierte, war nahezu filmreif. Viele Zuhörer liefen zum Ausgang, um den Artikel zu holen. Andere rannten zum nächsten Telefon, um die Nachricht zur heimatlichen Firma durchzugeben. Nach dem 10. Mai 1954 war die Welt der Siliziumforschung nicht mehr dieselbe. Texas Instruments bot eine Serie von Si-Transistoren an – hier ist eine Anzeige dazu. Der Erfolg der Texaner stachelte die Konkurrenz an. Nach und nach erschienen ähnliche Transistoren von anderen Herstellern. TI blieb aber einige Jahre Marktführer. Gordon Teal starb 2003 nach einer langen und arbeitsreichen Karriere.
So dramatisch begann also vor 68 Jahren die Silizium-Ära. Im Rahmen des Heinz-Nixdorf-Kolloquiums können die Teilnehmer den seit 2021 zugänglichen Bereich zur Mikroelektronik besuchen; er schildert natürlich auch die Silizium-Technik. Eine Führung gibt die frühere HNF-Kuratorin Dr. Doreen Hartmann am Montag. Unser Eingangsbild oben stammt von der Europäischen Raumfahrtagentur ESA; es zeigt natürlich Space Chips.