Wir bauen uns einen Computer
Geschrieben am 03.05.2016 von HNF
Im Mai 1966 begann der amerikanische Journalist Stephen Gray, ein Netz von ganz besonderen Elektronikbastlern zu knüpfen. Seine Amateur Computer Society florierte bis in den Dezember 1976 und brachte schon in den ersten Jahren funktionsfähige Rechner hervor. Die von Stephen Gray getippten Newsletter bieten heute einen faszinierenden Einblick in die Urzeit des privat benutzten Computers.
Vor 50 Jahren waren Computer groß und teuer. Zwar gab es für 3.200 Dollar die Olivetti Programma, doch war sie eher ein Buchungsautomat. Der Minicomputer PDP-8 kostete sechsmal so viel, und Mainframes wie die neue IBM 360 wurden in der Regel gemietet und nicht von normalen Bürgern benutzt. Digitalrechner waren etwas für Universitäten und Firmen, für die Verwaltung und fürs Militär.
Stephen Gray wollte das ändern. Geboren 1925 in New York, hatte er an der Cornell University und der Columbia-Universität studiert und den 2. Weltkrieg sowie den Korea-Krieg mitgemacht. Später arbeitete er in der jungen Computerindustrie. In den 1960er-Jahren war er Redakteur der Fachzeitschrift „Electronics“; damals könnte dieses Foto (in der Spalte links) entstanden sein. Es ist gut möglich, dass er 1965 mit dem Artikel von Gordon Moore befasst war, der das Mooresche Gesetz vorstellte.
Zu Beginn des Jahrzehnts versuchte Gray, in der Freizeit einen Elektronenrechner zu konstruieren. Nach jahrelangen vergeblichen Mühen wechselte er seine Strategie. Am 5. Mai 1966 schickte er zehn Technikmagazinen eine „Einladung an Computerbauer“. Sie richtete sich an alle Leser, die gerade einen Rechner bastelten, der multiplizieren und dividieren konnte oder eine vergleichbare Komplexität besaß. Gray bat um Rückmeldung und den Beitritt zur Amateur Computer Society. Im Gegenzug stellte er einen informativen Newsletter in Aussicht.
Fünf der zehn Zeitschriften druckten Grays Aufruf ab, und 160 Leser antworteten; Leserinnen zeigten kein Interesse. 110 Herren schlossen sich dann dem Verein an. Die meisten kamen aus den USA, vor allem aus Kalifornien, einige aus Kanada, Italien, Japan und der Schweiz. Die Mehrzahl der Mitglieder arbeitete in Computerfirmen und anderen Industriebetrieben, in Universitäten und in staatlichen Forschungsinstituten. Unter ihnen gab es mehrere Professoren für Elektrotechnik, aber auch zwei High-School-Schüler. Einige Interessenten meldeten sich mit dem Amateurfunk-Rufzeichen.
Im August 1966 ging die erste Nummer des „ACS Newsletter“ heraus. Sie umfasste sechs Seiten und nannte den Mitgliedsbeitrag – drei Dollar. In der Folgezeit erstellte Stephen Gray alle zwei Monate ein neues Nachrichtenblatt, wie es scheint, mit Schreibmaschine und Trockenkopierer. Das letzte kam im Dezember 1976; im Februar 1977 folgte ein Abschiedsbrief „Amateur Computer Society Newsletter to Cease Publication“. Sämtliche Ausgaben sind heute als 245 Seiten starke PDF-Datei online.
Newsletter Nr. 1 erwähnte den Fluidik-Rechner Flodac und den fiktiven Lehrbuch-Computer Pedagac und beschrieb drei „Computer Trainer“. Der Digiac 3050 und der Bi-Tran Six kosteten allerdings 2.500 bzw. 5.500 Dollar. Der Preis des russischen Modells ENC war nicht bekannt, doch die englische Bedienungsanleitung gab es für drei Dollar. Für 3,95 Dollar war das Buch „We Build Our Own Computers“ erhältlich, in dem englische Schüler ihre selbstgebastelten Denkmaschinen schilderten. Stephen Gray wies aber darauf hin, dass diese nur mit Relais arbeiteten.
Die folgenden Nummern brachten viele Informationen zu technischer Literatur, Schalt- und Bauplänen und Bezugsquellen von preiswerten Bauelementen oder verbilligten Computern. Newsletter Nr. 8 vom Januar 1968 stellte zwei realisierte Amateurrechner vor, beide aus dem Jahr 1965. Damals vollendete ASC-Mitglied Jim Sutherland den Echo-IV, der sich inzwischen im kalifornischen Computer History Museum befindet, und der junge Schweizer Hans Ellenberger die Transistor-Rechenmaschine EL-65. Ihr Schicksal liegt leider im Dunkeln.
Über drei im Bau befindliche Privatcomputer berichtete der Newsletter im Mai 1968. Die Märzausgabe 1971 wies auf den Rechnerbausatz NRI 832 hin, der 52 Logik-Chips von Texas Instruments enthielt. Im November 1971 wurde der kleine Kenbak-1 enthüllt, den manche Experten für den ersten Personal Computer halten. Er kostete nur 750 Dollar. Stephen Gray schrieb aber auch über Computerbastler im stillen Kämmerlein wie Don Tarbell aus dem US-Bundesstaat Alabama, Bob Benjamin aus Texas oder Hal Chamberlin, dessen HAL-4096 schon 1968 lief.
Selbstverständlich nahm Gray die Mikroprozessor-Systeme zur Kenntnis, die Mitte der 1970er-Jahre auf den Markt drängten. Von November 1975 bis Dezember 1976 druckte der ACS-Newsletter eine Übersicht, die insgesamt 67 Eintragungen aufweist. Der Apple I von Steve Wozniak und Steve Jobs ist dabei die Nummer 52. Die neuen Mikros bedeuteten aber das Ende der alten Bastlerherrlichkeit, und wie bereits erwähnt, löste Gray die Amateur Computer Society Anfang 1977 auf.
Zu dieser Zeit arbeitete er nicht mehr bei der Zeitschrift „Electronics“, sondern als freier technischer Redakteur und IT-Berater. Stephen Gray starb 2014 in Plymouth im US-Bundesstaat Massachusetts, ein zu Unrecht vergessener IT-Pionier. Er half mit, dass die Computer für uns alle verfügbar wurden.