Wir machen Musik

Geschrieben am 25.04.2017 von

In der Frühzeit besaßen viele Computer einen Lautsprecher. Er setzte Daten in Töne um; die Idee dazu hatte der Computerpionier Alan Turing. Diese Technik lieferte auch Musik. 1951 nahm die BBC in Turings Abteilung in der Universität Manchester drei Melodien auf. Andere Stücke entstanden in Australien. Später erzeugten in den USA Minicomputer und Mikrocomputer Musik.

Unser letzter Blogartikel behandelte Software zum Speichern und Abspielen von Musikdaten. Ihre Grundlage, die MP3-Technik, ist der wichtigste deutsche Beitrag zur Welt der Mikrocomputer und des Internets. Heute geht es um Hardware, die Musik macht. Bis in die 1970er Jahre hinein gab es Computer, die mit dem passenden Programm kleine Melodien erzeugten – ohne angeschlossene Musikinstrumente oder Synthesizer. Das Prinzip geht auf niemand anderen zurück als den Computerpionier Alan Turing.

Turing arbeitete von 1948 bis zu seinem frühen Tod 1954 in der Universität Manchester. Dort  hatte er Zugang zum Röhrenrechner Manchester Mark 1. Er enthielt einen Lautsprecher oder „hooter“, was so viel wie Tröte heißt. Anfang 1951 erhielt die Abteilung einen neuen Rechner, den die Firma Ferranti auf Grundlage des Mark 1 gebaut hatte. Turing verfasste dafür die Programmieranleitung. Diese enthielt auch Befehle für den hooter, siehe PDF-Seite 29.

Zentraleinheit des Minicomputers PDP-8/E. (Foto: Jan Braun, HNF)

Die Befehle bewirkten nur ein Knacken, doch wenn man eine Schleife setzte, ergab sich ein hörbarer Ton mit einer stabilen Frequenz. Mit etwas Geschick ließen sich hohe und tiefe Töne programmieren und zu Melodien verbinden. Dies gelang im Herbst 1951 dem Mathematiker Christopher Strachey. Er war eigentlich Lehrer in einem Internat, entwarf aber auch Software für die frühen englischen Elektronenrechner. 1953 schrieb er eine Anleitung für gefühlvolle Liebesbriefe, die 2012 im HNF installiert wurde.

Für den Ferranti-Computer programmierte Strachey die Nationalhymne, ein Kinderlied und den Swing-Titel „In the Mood“. Im Herbst 1951 rückte die BBC an und nahm die Melodien auf. Zwar war schon das Magnetophon erfunden, doch benutzte das Team ein altertümliches Gerät, das Töne auf Schallplatten aufzeichnete. 2016 gelang es, die Aufnahme mit korrekter Tonhöhe zu restaurieren. Zu beachten ist, dass es sich nicht um Synthesizer-Rhythmen handelte, sondern um Stücke, die der Computer mit eigener Kraft produzierte.

Mikrocomputer Altair 8800 von 1975. (Foto: Jan Braun, HNF)

Die Idee, einem Rechner Töne zu entlocken, hatte aber nicht nur Alan Turing. 1949 ging auf der anderen Seite der Erde der erste Computer Australiens in Betrieb. Der CSIRAC stand in Sydney und besaß gleichfalls einen Lautsprecher. Sicher ist, dass der Mathematiker Geoff Hill dafür ein Musikprogramm schrieb. Erste Melodien erklangen vermutlich 1951. Leider ist kein Tondokument von ihnen überliefert. Den CSIRAC gibt es aber noch. In späterer Zeit entstanden mehrere Aufnahmen, die man hier – bitte etwas scrollen – hören kann.

Auch den Zuse-Rechnern aus den späten 1950er- und frühen 1960er-Jahre ließen sich Töne entlocken. Wenn ein Institut eine Z22 oder Z23 aufstellte, dauerte es nicht lange, bis auf ihr die ersten Musikprogramme liefen. Im Blog schrieben wir bereits über die Zuse Z23 der Informatik-Sammlung Erlangen. Sie ist voll funktionsfähig und spielte 2016 ein solches Programm ab. Auf diesem Video hört man nicht nur die Melodie, sondern erfährt außerdem einiges über die technischen Hintergründe.

Digitaler Synthesizer Fairlight CMI.

Mit der Zeit verloren die Computer ihre Lautsprecher, und ihre Musik geriet in Vergessenheit. Das änderte sich Mitte der 1970er-Jahre, als neue melodiöse Systeme auftauchten. Die PDP-8/E gehörte zu der Minicomputer-Familie, die die US-Firma Digital Equipment 1965 auf den Markt brachte; das Modell 8/E erschien 1970. Irgendwann bemerkte der DEC-Ingenieur Richard Wilson, dass beim Ausführen eines bestimmten Befehls der Computer elektrische Wellen aussandte. In einem Radio neben dem Computer verursachten sie eine Störung.

Wenn man den Befehl oft genug wiederholte, verschmolzen die Störungen zu einem Ton. Durch andere Kommandos ließ sich die Frequenz des Tones variieren. Am 11. Februar 1976 veröffentlichte Wilson sein Programm in der Digital-Equipment-Gemeinde. Da noch eine ganze Anzahl PDP-8/E-Computer in Gebrauch sind, finden wir auf YouTube Videos, die die Aus- oder besser Aufführung der Wilsonschen Software zeigen. Hier hören wir eine PDP-8/E in Niedersachsen, und hier ist eine Hitliste aus Amerika.

Das Theremin (rechts) ist ein analoges elektronisches Instrument. (Foto: Jan Braun, HNF)

Schon im März 1975 gründete sich im Silicon Valley der Homebrew Computer Club, wie es sich gehört, in einer Garage. Die meist jungen Mitglieder trafen sich alle zwei Wochen, diskutierten über Mikrocomputer und führten Hard- und Software vor. Am 16. April 1975 brachte Steve Dompier seinen Altair mit und fuhr ihn hoch; danach erklang aus dem Radio am Computer „Fool on the Hill“ von den Beatles. Dompier nahm im Wesentlichen die Technik des PDP-8/E vorweg. Das Hin und Her der Bits machte den Computer zum Radiosender.

In den Achtzigern fanden die Nerds, dass Nadeldrucker Melodien hervorriefen; später gelang das mit Disketten-Laufwerken. Man kann aber ebenso mit digitalen Synthesizern Musik machen. Hier ist ein Video über den Fairlight CMI, von dem das HNF einen besitzt. Mehr zur analogen wie digitalen elektronischen Musik zeigt bis zum 25. Juni 2017 eine Ausstellung in Berlin – siehe unten. Schließen wollen wir mit dem ersten elektronischen Pop-Hit Popcorn. Sein Schöpfer Gershon Kingsley wurde in Bochum geboren.

Eingangsbild: Computer History Museum

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