1926 – Fernsehen in London
Geschrieben am 26.01.2021 von HNF
1883 erfand Paul Nipkow die später nach ihm benannte Scheibe. Ab 1923 erprobte der Schotte John Logie Baird ähnliche Scheiben für Bildübertragungen. Am 26. Januar 1926 führte er in London sein System vor. Es umfasste ein mechanisch-optisches Aufnahmegerät und einen separaten Empfänger. Das Bild bestand aus dreißig Zeilen. Blairs Präsentation gilt als Beginn des Fernsehens.
Eigentlich fing alles in Berlin an. Am Heiligen Abend 1883 erdachte der Student Paul Nipkow ein „elektrisches Teleskop“ mit einer rotierenden Scheibe; darin befanden sich spiralförmig angeordnete Löcher. Hinter der Scheibe saß eine Fotozelle. Das Gerät setzte ein Bild in Zeilen und in einen Strom von Hell-Dunkel-Werten um, die an einen Empfänger gingen. Er besaß die gleiche Scheibe und eine Lampe dahinter; ihr Licht drückte den Hell-Dunkel-Strom aus. So entstand eine Kopie des ursprünglichen Bildes – der Film erklärt es.
Im 20. Jahrhundert erhielt die Apparatur den Namen Nipkow-Scheibe. Sie regte die Fantasie von Forschern an, die von der Übertragung bewegter Bilder träumten. Einer von ihnen war der Pastorensohn John Logie Baird. Er wurde am 13. August 1888 im schottischen Seebad Helensburgh geboren und entwickelte schon als Kind einen Basteltrieb. Später studierte er an einer technischen Hochschule in Glasgow; 1914 erhielt er ein Diplom. Seine schwache Gesundheit bewahrte ihn vor dem Dienst an der Front des Ersten Weltkriegs.
In den frühen 1920er-Jahren lebte John Logie Baird in Südengland, wo er mit Fernseh-Versuchen begann. Eine Zeitschrift schrieb darüber im Mai 1924; das Bild rechts auf der Seite bringt den Artikel. Im März 1925 baute er sie in einem Londoner Kaufhaus auf; mehr als Umrisse waren aber nicht zu erkennen. Diese Zeichnungen oben auf dieser Seite geben vermutlich Bairds System wieder – bitte anklicken! Oben links drehen sich eine Nipkow-Scheibe mit Linsen und eine „serrated disk“ mit vielen schmalen Schlitzen. Ein zweiter Linsenring rotiert im Empfangsteil unten rechts.
Baird zog nach London und verbesserte seine Anlage. Am 2. Oktober 1925 übertrug sie zum ersten Mal die Gesichtszüge einer Versuchsperson. Schließlich wandte sich der Erfinder an die Presse. Am 7. Januar 1926 kam ein Reporter des „Daily Express“ in Bairds Werkstatt im Stadtteil Soho und war höchst angetan. Weitere Artikel erschienen im „Evening Standard“, im „Glasgow Herald“, in der „Sunday Post“ und in der „London Morning Post“. Ihren Artikel druckte am 23. Januar die „New York Times“.
Am Abend des 26. Januar 1926 stellte John Logie Baird seinen „Televisor“ offiziell vor. Zugegen waren Wissenschaftler der Royal Institution, der traditionsreichen englischen Volksbildungseinrichtung, einige Wissenschaftlerinnen und ein Journalist der „Times“. Wegen des engen Raums wurden immer nur sechs Personen eingelassen. Sie erlebten ein Aufnahme- und Wiedergabegerät und im Nachbarzimmer einen Empfänger. Aufgenommen wurde eine Bauchrednerpuppe, außerdem sahen sich die Besucher gegenseitig an.
Wie es scheint, wurden beim Event keine Fotos gemacht, am 28. Januar lag aber der Artikel der Times vor. Im Folgenden betrachten wir einmal John Logie Bairds Hardware – bitte die Bilder im Netz aufrufen. Aus dem Jahr 1925 blieben zwei Systeme erhalten. Das erste ist der Falkirk-Televisor; er wird in der gleichnamigen schottischen Stadt aufbewahrt. Rechts sitzt eine Scheibe mit zwölf Linsen; in der Mitte befinden sich an einer Box zwei Scheiben mit Schlitzen. Bei der Aufnahme läuft das Licht vom Objekt durch alle drei Scheiben in die Box hinein, denn sie enthält die Fotozelle.
Das zweite System gehört dem Londoner Science Museum. Der Aufnahmeteil ähnelt dem Falkirk-Televisor, er hat aber 16 Linsen und eine Scheibe mehr. Wahrscheinlich war sie Teil des Wiedergabe-Mechanismus. Auf einem anderen Foto ist sie von einem weißen Ring mit Löchern umgeben; vor ihm ist ein Guckkasten befestigt. Vielleicht leuchtete hinter dem Ring eine Lampe im Rhythmus der Lichtwerte aus der Fotozelle. Das Ganze hätte eine Nipkow-Scheibe zum sofortigen Betrachten der Fernsehaufnahme ergeben.
Manche Details von Bairds System sind ungeklärt. Es könnte sein, dass Teile der 1926 vorgeführten Fernsehanlage verloren gingen. Einigermaßen sicher ist, dass das Museum den Empfänger besitzt, der im zweiten Zimmer der Werkstatt stand. Er ist im Eingangsbild zu sehen; das Foto zeigt die Rückseite mit der Neonlampe. Die Nipkow-Scheibe weist 30 Löcher auf, was zu einem Fernsehbild von 30 Zeilen führte. Die Anordnung der Linsen auf den erhaltenen Scheiben legt nahe, dass bei der Aufnahme ein Zeilensprung erfolgte.
John Logie Bairds Fernsehen ist also raffinierter als man denkt. 1929 testete die BBC sein System, ab 1932 strahlte sie regelmäßig Programme aus. Die Bildaufnahme erfolgte inzwischen mit dem Flying-Spot-Scanner. Dabei wurde eine Person mit einem Lichtfleck abgetastet, den ein Projektor mithilfe einer Nipkow-Scheibe erzeugte. Eine Batterie von Fotozellen registrierte die Lichtreflexe und lieferte das Signal für die Bildübertragung. Nach Vorgaben von Baird stellte die englische Firma Plessey die nötigen Empfangsgeräte her. Sie enthielten ebenfalls Nipkow-Scheiben.
In den 1930er-Jahren schuf Baird ein Zwischenfilmverfahren. Die Szenerie wurde gefilmt und der Film nach dem Entwickeln – es beanspruchte eine Minute – mechanisch gescannt. Man kann sich denken, mit wessen Scheibe das geschah. Von 1937 an benutzte die BBC nur noch elektronische TV-Kameras; die Empfänger enthielten Kathodenstrahlröhren. John Logie Baird forschte weiter, unter anderem zum Farbfernsehen. Er starb am 14. Juni 1946 in Bexhill am Ärmelkanal. Hier ist er zum Schluss im Video zu hören und zu sehen.
Eingangsfoto: Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitlich beschnitten
Man könnte hinzufügen, daß es in Berlin auch weiter ging, nämlich als sich Baird 1929 an der Gründung der auf dem Gebiet des elektronischen Fernsehens wenig später höchst erfolgreichen Fernseh AG beteiligte.