ANITA – Elektronik auf dem Schreibtisch

Geschrieben am 21.10.2022 von

Vor 61 Jahren erschien in Deutschland und England der erste elektronische Tischrechner der Welt. Die ANITA kam von der Bell Punch Company im Londoner Vorort Uxbridge; gefertigt wurde sie in der Hafenstadt Portsmouth. Der Entwickler war Norbert Kitz. Die Schaltkreise der ANITA enthielten Kaltkathodenröhren, die ohne Aufheizung arbeiteten. Spätere elektronische Rechenmaschinen nutzten dann den Transistor.

„Die Elektronentechnik erobert sich das Büro… Handlich und leicht ist dieses elektronische Bürorechengerät. Es kann addieren, multiplizieren, dividieren und subtrahieren, und das Ganze in elektronischer Geschwindigkeit. Knopfdruck – und zur gleichen Zeit wird oben in Leuchtziffern das Resultat sichtbar.“

So sprach der Reporter des WDR am 14. Oktober 1961, bitte zu Minute 2:45 gehen. Gefilmt wurde das Rechengerät auf der Westdeutschen Büro-Fachausstellung in Köln. Damals hatte das Fernsehen Angst vor sogenannter Schleichwerbung, heute können wir es verraten: Es handelte sich um eine ANITA Mk VII, die erste elektronische Tischrechenmaschine. (Das Mk steht für „Mark“.) Die ANITA Mk VIII erlebte ihre Premiere im gleichen Monat in London. Ihr fehlten die Tasten ganz links, mit denen man die Ziffern des Resultats verschieben konnte.

ANITA Mk VII mit den Tabulatortasten ganz links, die im Modell VIII fehlen. (Foto Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Hersteller der ANITA war die Bell Punch Company in Uxbridge. Im Jahr 1961 lag der Ort am westlichen Stadtrand von London, ab 1965 gehörte er zur Stadt selbst. Die Firma wurde 1878 gegründet und fertigte Locher und Drucker für Fahrkarten; später kamen Totalisatoren und Taxameter hinzu. In den 1930er-Jahren erwarb sie das Patent für eine Addiermaschine; sie besaß eine Volltastatur, doch mit fünf Ziffern pro Reihe. Ab 1940 bot man Geräte mit einem komplettem Tastenfeld an. Die Addierer trugen die Namen Plus und Sumlock.

Die Arbeit an der ANITA begann 1956, die ersten Patente wurden am 6. September des Jahres angemeldet. Der Haupterfinder und Projektleiter hieß Norbert Kitz. Wir trafen ihn schon im Blog; um 1950 baute er als Student des Londoner Birkbeck College den kleinen Elektronenrechner SEC. Hier sieht man ihn an dieser Maschine. Nach seinem Abschluss arbeitete Kitz im Nationalen Physiklabor, dem englischen Gegenstück der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Dort wirkte er an der Entwicklung des Computers DEUCE mit.

Zeichnung aus dem ANITA-Patent von 1956

SEC und DEUCE rechneten mit Röhren; das galt auch für die ANITA. Sie verwendete aber keine normalen Trioden, sondern Kaltkathodenröhren ohne Heizung, daneben enthielt sie eine oder mehrere gasgefüllte Zählröhren. In einer ANITA Mk VIII – sie ist im Eingangsbild zu sehen – steckten 180 kalte und zehn gewöhnliche Röhren, eine Zählröhre, ein Transistor sowie eine Anzahl Selen-Gleichrichter. Dazu kamen noch zwölf Nixie-Röhren für die Ziffern des Resultats. Der erste ANITA-Prototyp lief im Dezember 1958.

Ausgeliefert wurde die ANITA ab 1962, die Fertigung fand in Portsmouth an der englischen Südküste statt. Das Modell Mk VII war für den europäischen Kontinent bestimmt, die einfacher zu bedienende Schwester ANITA Mk VIII ging in den Rest der Welt. Im Vereinigten Königreich kostete die Maschine 355 Pfund, bei uns 4.200 DM, so viel wie 1962 der billigste VW Käfer. Ab 1964 verkaufte Bell Punch in jedem Jahr rund 10.000 ANITAs. 1964 erschienen in Italien, Japan und den USA aber auch die ersten Tischrechner mit Transistoren.

ANITA-Prototyp von 1958 (Foto Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitlich beschnitten)

1966 brachte Bell Punch mit der ANITA Mk 12 ebenfalls ein Transistor-Gerät heraus. Die kompakte Bauweise erlaubte den Einsatz einer Zehnertastatur. Im gleichen Jahr verwandelte sich die Rechenmaschinen-Abteilung der Firma in die Sumlock Anita Electronics Ltd. Ab 1969 verkaufte das Unternehmen die ANITA 1000 mit integrierten Schaltkreisen. 1973 wurde es vom amerikanischen Rockwell-Konzern übernommen, der es zwei Jahre später an andere Interessenten verscherbelte. Die letzten ANITA-Produkte waren Taschenrechner.

Von Norbert Kitz wissen wir, dass er 1972 den Order of the British Empire erhielt. Mehr ist uns über sein weiteres Schicksal nicht bekannt. Die Frage, wie der Name ANITA entstand, möchten wir ebenfalls offenlassen. Die Lesart „A New Inspiration To Arithmetic“ erscheint etwas weit hergeholt. Näher liegt sicher die Deutung als Eigenname wie Brunsviga oder Olympia. In den späten Fünfzigern gab es außerdem die Filmdiva Anita Ekberg, die den Männern den Atem raubte, die es aber bis ins Londoner Science Museum brachte.

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2 Kommentare auf “ANITA – Elektronik auf dem Schreibtisch”

  1. Wie immer ein spannender und gut informierter Artikel. Wie würden Sie hier die „Tischrechner“ von Nikolaus Lehmann/der TU Dresden ein ordnen (D1 bis D4)?
    Zur Namensgebung wäre noch hinzuzufügen, dass auch der sexistische ZeitKontext definitiv eine Rolle gespielt hatte. Es war üblich, FrauenNamen für Geräte zu verwenden, die mit angeblichen „Frauenberufen“ verbunden waren, von der Sekretariatstätigkeit über Putzgeräte bis hin zu Haushaltsgeräten. Die ANITA wurde vermutlich dafür gestaltet, Rechnerinnen in Rechenbüros oder Sekretärinnen die Rechenarbeit zu erleichtern.

    1. HNF sagt:

      Die Rechner von N. Lehmann waren richtige Computer: https://blog.hnf.de/nikolaus-joachim-lehmann-1921-1998/

      Ab Mitte der 1960er-Jahre brachte die DDR Tischrechner mit Transistoren heraus: https://www.robotrontechnik.de/index.htm?/html/computer/tischrechner.htm

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