Bitte stillsitzen: 180 Jahre Daguerreotypie
Geschrieben am 19.08.2019 von HNF
Die erste praktikable Technik zum Fotografieren war die Daguerreotypie. Sie wurde am 19. August 1839 in Paris offiziell vorgestellt. Ihr Erfinder, der französische Maler und Showman Louis Daguerre, hatte zuvor mehrere Jahre an dem Verfahren gearbeitet. Die Fotos sind Unikate, die sich nicht kopieren lassen. Dennoch verbreitete sich die Daguerreotypie schnell über Europa und Amerika.
Eigentlich hatte die Grundidee der Fotografie bereits vor dreihundert Jahren ein deutscher Forscher. „Entdeckung eines Dunkelbringers statt eines Leuchtstoffs, oder ein merkwürdiger Versuch über die Wirkung der Sonnenstrahlen“, so umständlich – dazu auf Latein – betitelte Johann Heinrich Schulze seinen Fachartikel. Er arbeitete in Halle, sein Aufsatz erschien 1719 in einer gelehrten Zeitschrift. Schulze beschrieb, wie sich Silbersalze durch Lichteinwirkung verändern und verdunkeln.
Um 1800 schuf der Engländer Thomas Wedgewood Fotogramme. Er legte Objekte auf eine lichtempfindliche Unterlage, so dass Silhouetten entstanden. Sie ließen sich aber nicht fixieren. In den 1820er-Jahren gelang dem französischen Erfinder Nicéphore Niépce das erste Foto. Ein Kasten mit Linse war seine Kamera, als Film diente eine asphaltbeschichtete Zinnplatte. Die Belichtung erzeugte unterschiedlich gehärtete Abschnitte im Asphalt, woraus Niépce ein dauerhaftes Bild gewann. Die Belichtungszeit betrug mehrere Stunden.
1829 kam es zur Zusammenarbeit von Niépce mit dem 22 Jahre jüngeren Louis Daguerre. Er wurde 1787 in einem kleinen Ort nordwestlich von Paris geboren und lernte den Beruf des Bühnenmalers; seine Theaterkulissen und Panorama-Bilder zählten zu den besten ihrer Zeit. 1822 baute Daguerre in Paris das erste Diorama. Darin erlangten großformatige Szenerien durch Lichteffekte eine verblüffende Realität. Das Diorama war ein Publikumsmagnet; 1823 startete ein zweites in London. Heute wird der Begriff in der Museumstechnik benutzt.
Niépce und Daguerre suchten vergeblich nach einer praktikablen fotografischen Methode. Nach dem Tod von Niépce 1833 machte Daguerre allein weiter. Er konzentrierte sich auf die von Johann Heinrich Schulz entdeckten Dunkelbringer; schließlich hatten seine Experimente Erfolg. Wir können es Daguerre nicht verdenken, dass er die neue Technik nach sich selbst benannte. Ihre Resultate wurden mit dem gleichen Wort bezeichnet: Daguerreotypie. Das erste lag 1837 vor.
Zum Fotografieren versah man eine versilberte Kupferplatte mit einer Jodschicht und steckte sie in die Kamera. Eine Aufnahme dauerte in den Anfangsjahren gut zehn Minuten, ab 1840 verkürzten Fortschritte der Chemie die Zeit auf eine Minute und weniger. Die belichtete Platte wurde mit Quecksilber bedampft – gesund war die Daguerreotypie nie. Letzter Schritt war die Fixierung durch eine Salzlösung. Am Ende erhielt der Fotograf ein monochromes Bild von erstaunlicher Schärfe; die schwarzen Partien glänzten silbern. Aufgrund der optischen Gesetze war das kleine Bild seitenverkehrt.
Die schönste Daguerreotypie der Frühzeit nahm der Erfinder selbst auf. 1838 richtete Louis Daguerre die Kamera aus dem Fenster der Wohnung auf den Boulevard du Temple. Er führt vom Platz der Republik nach Süden; an ihm lagen die populärsten Pariser Theater. Das Foto ist als Eingangsbild zu sehen. Wir haben es gespiegelt, die Straße ist also richtig herum. Die Schatten deuten auf eine Aufnahme am Morgen hin. Auf dem Bürgersteig lässt sich ein Mann die Schuhe putzen; andere Passanten wurden wegen der langen Belichtung nicht erfasst.
Am 7. Januar 1839 kündigte François Arago, Physiker, Astronom und Direktor der Pariser Sternwarte, die Daguerreotypie vor der Akademie der Wissenschaften an. Bilder gab es allerdings keine. Die Presse berichtete dennoch, auch in Deutschland. Eine umfangreiche Übersicht bringt eine Schweizer Internetseite. Schon im April 1839 erschien ein Artikel in den USA. Verfasst hatte ihn Samuel Morse, der gerade auf Europareise war; er suchte Abnehmer für die von ihm erfundene Telegrafie.
Am 25. Februar 1839 schilderte Alexander von Humboldt die Daguerreotypie in einem begeisterten Brief; es ist die Nr. 6 dieser Liste. Der Naturforscher konnte das Verfahren in Paris genau studieren. Die von ihm erwähnten Fotos – eines zeigte den Mond – sind leider nicht erhalten. Wahrscheinlich wurden sie im März 1839 beim Brand von Daguerres Diorama vernichtet. Es meldete sich auch ein Konkurrent, der Engländer Henry Fox Talbot. Sein Verfahren setzte sich nicht durch, führte aber zur Fotografie mit Negativen und Abzügen.
Die offizielle Vorstellung der Daguerreotypie erfolgte am 19. August 1839 in Paris. Enthüllt wurde sie von François Arago auf einer gemeinsamen Versammlung der Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Künste. Zuvor sorgte Arago dafür, dass Daguerre eine Jahresrente von 6.000 Frank erhielt; der Sohn von Nicéphore Niépce bekam eine Rente von 4.000 Franc. Im Gegenzug überließ Louis Daguerre seine Erfindung dem französischen Staat und dieser der ganzen Welt, mit Ausnahme von Patentansprüchen in England.
Bei der Sitzung der Akademien saß Louis Daguerre auf dem Podium, er ergriff aber nicht das Wort. Dafür waren endlich drei Daguerreotypien zu sehen. Wie es heißt, sollen die Pariser schon drei Stunden vor Sitzungsbeginn den Saal gestürmt und die Bildchen in Augenschein genommen haben. Im September 1839 lag eine Publikation mit allen Einzelheiten zum Verfahren vor. Interessierte konnten außerdem Kameras erwerben. Übersetzungen machten die Daguerreotypie in ganz Europa und den Vereinigten Staaten bekannt.
Zwei Jahrzehnte lang herrschte die Technik unangefochten im Reich der Fotografie. In den letzten Jahren eroberte Louis Daguerres Schöpfung das Internet. Wir finden Tausende von Bildern in einem internationalen Archiv, und vergessen wir nicht die Library of Congress und Google. Literatur liegt in der Schweiz, in Kalifornien und im Polytechnischen Journal. Bon anniversaire, Monsieur Daguerre, et merci beaucoup, und ein weiteres Dankeschön geht an Professor Schulze in Halle an der Saale.