Computerszene 1958
Geschrieben am 02.03.2018 von HNF
Vor 60 Jahren stellte die Technische Universität Berlin ihren ersten Computer in Dienst, eine Z22 von der Zuse KG. Er war der erste serienmäßige Elektronenrechner, den eine deutsche Firma in eigener Regie entwickelte. Die Berliner Z22 war nicht die einzige Denkmaschine, die hierzulande lief. Daneben gab es Computer in anderen Universitäten und der freien Wirtschaft.
Am 5. März 1958 stand ein Computer made in Germany im SPIEGEL. Das Nachrichtenmagazin berichtete enthusiastisch über das Hirn. Es setzte sich aus elf Stahlschränken und einem „klaviergroßen Kontrollpult“ zusammen und wickelte die Bestellungen eines Versandhauses in Fürth ab. Wer unseren Blog fleißig liest, hat es sicher erkannt. Es handelte sich um das Informatik-System Quelle, einen Transistorrechner des Informatikwerks Stuttgart – dieses gehörte zur Standard-Elektrik-Gruppe – und des Ingenieurs Karl Steinbuch.
Das SEL-Hirn zählte zu den ersten elektronischen Computern, die in der Bundesrepublik gebaut wurden. Die allerersten liefen jedoch in Forschungsinstituten. Von 1950 bis 1952 konstruierte Heinz Billing im Göttinger Max-Planck-Institut für Physik den Röhrenrechner G1. Die G2 folgte 1955; 1958 erschien in dreifacher Ausfertigung die G1a. Eine der drei Maschinen ist heute im Deutschen Museum München zu sehen. Die Technische Hochschule München nahm 1956 die röhrenbestückte Rechenanlage PERM in Betrieb.
Im selben Jahr gab Vater Staat der Deutschen Forschungsgemeinschaft 20 Millionen DM, um Computer aus deutscher Produktion in Hochschulen aufzustellen. Das Geld floss zunächst in die Anschaffung von Analogrechnern und die Anmietung von IBM-Anlagen. Der erfolgreiche Röhrenrechner IBM 650 wurde ab Anfang 1957 von der IBM Deutschland GmbH montiert, galt also formal als deutsches Erzeugnis. Ende 1957 benutzten die Universität Hamburg und die Technischen Hochschulen von Darmstadt und Hannover je ein Exemplar.
1958 stand ein Elektronenrechner zur Verfügung, der in Deutschland zusammengebaut wie auch dort entwickelt wurde: die Z22. Hersteller war die Zuse KG, seit 1957 in Bad Hersfeld ansässig. Der historische Bericht des Hessischen Rundfunks dokumentiert die rustikale Atmosphäre in den Räumen einer früheren Tuchfabrik. Konrad Zuse selbst ist neben dem älteren Relais-Computer Z11 zu erkennen. Einige Jahre später bezog die Firma aber größere und modernere Produktionsstätten.
Die erste Z22 erhielt im Februar 1958 die Technische Universität Berlin. Sie wurde noch nicht staatlich gefördert; der zuständige Professor, der Mathematiker Wolfgang Haack, musste Spenden in der Industrie sammeln. Die ersten von der DFG bezahlten Z22-Modelle gingen an die RWTH Aachen und die Universität Münster. Insgesamt lieferte die Zuse KG 56 Anlagen aus. Die Z22 war schon leicht veraltet, sie brachte aber, mit oder ohne DFG, die Informatik in die westdeutschen Hochschulen. Und sieht man von der IBM 650 ab, war sie der erste serienmäßige Röhrencomputer made in Germany.
Neben den akademischen Systemen liefen 1958 Rechner in der Privatwirtschaft. Im Januar 1956 schaltete die Hamburger Allianz-Versicherung ihre IBM 650 ein, die direkt aus den USA kam. Im Oktober summte im Battelle-Institut in Frankfurt eine riesige Univac I – wir haben sie im Blog beschrieben. Ab 1957 arbeitete in den Farbwerken Hoechst eine IBM 705 und im Versandhaus Quelle das Informatik-System. 1958 legten sich die Leitz-Werke in Wetzlar eine englische Elliott 402F zu. Sie ersetzte den älteren Relais-Automaten Z5 von Zuse.
1958 begann Schoppe & Faeser in Minden mit dem Lizenzbau der LGP-30, wie in unserem Blogbeitrag geschildert. Die kleine Röhrenmaschine stammte von der kalifornischen Firma Librascope. Eine LGP-30 war unter anderem das erste Elektronengehirn der Universität Bonn. Damit wären die drei aktiven Computer-Hersteller beisammen; drei weitere standen in den Startlöchern – Siemens, Telefunken und SEL. Ihre Produkte kamen ab 1959 heraus. Standard Elektrik Lorenz griff dabei auf die Erfahrung der Quelle-Entwickler zurück.
Für den 33-jährigen Heinz Nixdorf war 1958 ein wichtiges Jahr. Sein Labor für Impulstechnik entwickelte damals in Essen die Multipliziereinheit Multitronic. Eingebaut wurde sie in den Buchungsautomaten Continental 6000 der Kölner Exacta Büromaschinen GmbH; er ist oben im Eingangsbild zu sehen (Foto: Jan Braun, HNF). Die Multitronic enthielt keine Röhren wie die IBM 650, die Zuse Z22 und die LGP-30, sondern schon die neu erfundenen Transistoren. Sonst hätte sie kaum in den Schrank der Continental 6000 gepasst.
Karl Steinbuchs Informatik-System war der erste deutsche Computer mit Transistoren, doch allein auf weiter Flur. Dagegen verkaufte Exacta 2.000 Multitronic-Maschinen. Heinz Nixdorfs Schöpfung von 1958 war also der erste Halbleiter-Rechner in Großserie aus Deutschland. Von außen blieb er unsichtbar und wurde nicht als Pionierleistung erkannt. Zehn Jahre später änderte sich die Computerszene, als Heinz Nixdorf das Kölner Unternehmen aufkaufte. Doch das ist eine andere Geschichte.