Das Robotergehirn aus Frankfurt

Geschrieben am 18.10.2016 von

Er war nicht der erste Computer auf deutschem Boden, aber sicher der eindrucksvollste: der Univac I des Europäischen Rechenzentrums in Frankfurt am Main. Am 19. Oktober 1956 wurde er im Battelle-Institut offiziell eingeweiht. Schon im Februar 1960 wurde der Rechner wieder ausgeschaltet. Er blieb der Nachwelt erhalten und ist heute ein Denkmal der ersten Computergeneration.

„Wenn die sechs Monteure die 400 Zentner schwere Denkapparatur zum Leben erweckt haben, wird das Frankfurter Battelle-Forschungsinstitut – ein gemeinnütziges Institut, das Forschungsaufträge der Industrie ausführt – über das größte und schnellstdenkende Elektronengehirn Europas verfügen. […] Das Zeitalter der Roboter hat auch in Europa begonnen.“

So schrieb der SPIEGEL am 3. Oktober 1956. In einer langen Titelstory behandelte er die Geschichte und die Leistungen der neuen Elektronenrechner, die sich in den USA und Westeuropa ausbreiteten. Das Titelbild zeigte keinen Computerpionier, sondern den amerikanischen Mathematiker Norbert Wiener. Er hatte die Wissenschaft der Kybernetik erfunden, eine Erweiterung der Regelungstechnik. Das war den SPIEGEL-Lesern anscheinend leichter zu vermitteln als Schaltkreise oder Dualzahlen.

Der Anlass zur SPIEGEL-Geschichte war aber ein Computer, ein Univac I des US-Herstellers Remington Rand. Der Röhrenrechner stand im Europäischen Rechenzentrum, das räumlich zum Frankfurter Battelle-Institut gehörte. Es wurde am 19. Oktober 1956 in Frankfurt am Main feierlich eröffnet; Betreiber war die deutsche Tochterfirma von Remington Rand. Kunden konnten für 147 DM sechs Minuten Rechenzeit am Univac erwerben. Zusätzlich stellte das Rechenzentrum Programmierer zur Verfügung und bot Kurse zur Ausbildung zum Operator an.

Der Univac I war der erste kommerziell erhältliche Computer aus den USA und wurde ab 1952 ausgeliefert. Er enthielt 5.600 Röhren und 18.000 Dioden, die in der 4,3 x 2,4 Meter großen und 2,6 Meter hohen Zentraleinheit steckten. Pro Sekunde erfolgen rund 2.000 Additionen und 500 Multiplikationen. Als Arbeitsspeicher dienten mit Quecksilber gefüllte Zylinder, durch die Ultraschall-Impulse flitzten. Ein Zylinder fasste 1.000 Worte zu 12 Zeichen oder mit 11 Dezimalstellen plus Vorzeichen. Als Massenspeicher gab es Bandlaufwerke; die Bänder bestanden aus dünner Metallfolie.

Univac I im Deutschen Museum

Univac I im Deutschen Museum

Die Väter des Univac waren der Ingenieur John Presper Eckert und der Physiker John Mauchley. Die beiden hatten bereits den berühmten Elektronenrechner ENIAC konstruiert, der 1946 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Anschließend gründeten sie eine Firma, ein kühnes Unterfangen. Die Eckert-Mauchley Computer Corporation liefert nur eine einzige Maschine aus und geriet dann in große finanzielle Schwierigkeiten. 1950 wurde sie vom Büromaschinenhersteller Remington Rand geschluckt.

Die Univac-Serie, an der Eckert und Mauchley vor der Übernahme gearbeitet hatten, brachte ihnen aber Erfolg. Insgesamt wurden 46 Stück produziert. Schlagzeilen machte das Modell, das 1952 die erste Hochrechnung der Welt erstellte. Bei der US-Präsidentschaftswahl im November sah der vom Fernsehsender CBS verpflichtete Univac korrekt General Eisenhower als Sieger voraus. 1955 wurde Remington Rand von der Sperry Corporation aufgekauft. Die Computerabteilung wurde bald von der IBM überflügelt, überlebte aber alle Akquisitionen und heißt heute Unisys.

Im Sommer 1956 wurde Univac-Rechner Nr. 35 zerlegt und mit Konsole, Drucker und Bandlaufwerken in zwei Transportflugzeuge geladen. Von der Ostküste der USA ging es nach Frankfurt am Main. Im erwähnten Battelle-Institut setzten fleißige Techniker die Anlage wieder zusammen. Am 19. Oktober 1956 konnte der Leiter des Europäischen Rechenzentrums, der Deutschamerikaner Carl Hammer, den Computer in Dienst stellen. Natürlich berichtete die Wochenschau (ab Minute 2:50); ein schönes Foto verdanken wir der Soldatenzeitung Stars and Stripes.

Das sieben Millionen DM teure – nach dem Kurs von 1956 – Elektronengehirn beeindruckte die Medien, es war aber nicht das erste in Deutschland. In Göttingen liefen in Max-Planck-Instituten die Computer G1, G1a und G2, die der Physiker Heinz Billing entwickelte. Im Januar 1956 startete bei der Allianz Versicherung in München eine IBM 650 und im Mai die PERM der TU München. Seit 1953 arbeitete bei der Optikfirma Leitz in Wetzlar der große Relaisrechner Zuse Z5. 1955 brachte die Zuse KG die relaisbestückte Z11 in Serie heraus. In Jena rechnete der Relaiscomputer Oprema.

Nach einem Jahr Dienst in Frankfurt am Main kehrte Carl Hammer in die USA zurück. Der Univac I seines Rechenzentrums arbeitete etwas länger. Er wurde erst im Februar 1960 stillgelegt. 1962 kam er ins Deutsche Museum nach München, wo die Zentraleinheit seit 1988 ausgestellt ist. Eine weitere Univac I steht im Computer History Museum in Kalifornien. Und hier ist ein Werbespot von 1956, in dem man drei Speicherzylinder hinter der Glastür der Zentraleinheit erkennt. Die Karte der USA, die der Univac-Drucker erzeugt, war eine der ersten Computergrafiken überhaupt.

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