Crypto HX-63 – die letzte Rotor-Chiffriermaschine
Geschrieben am 10.10.2023 von HNF
Vor hundert Jahren kam das erste Modell der Chiffriermaschine Enigma heraus. Es enthielt vier Rotoren mit elektrischen Leitungen. 1963 erschien das letzte Gerät, das mit Rotoren verschlüsselte, die HX-63 der Schweizer Crypto AG. Ihr Code ließ sich von Außenstehenden nicht brechen. Der amerikanische Krypto-Geheimdienst NSA veranlasste die Firma, die Maschine wieder vom Markt zu nehmen.
Zu Beginn eine Klarstellung: Unser Eingangsbild zeigt nicht die Chiffriermaschine HX-63, sondern ihre Vorläuferin CX-52. Sie ist ein Produkt der 1952 in Steinhausen – der Ort liegt südlich von Zürich – gegründeten Crypto AG. In ihrem Inneren stecken sechs Rotoren und eine Trommel aus verschiebbaren Stäben. Die Rotoren enthalten jedoch keine elektrischen Leitungen; das unterscheidet sie von denen der legendären deutschen Enigma.
Der Konstrukteur der CX-52 hieß Boris Hagelin. Er wurde am 2. Juli 1892 in Aserbeidschan geboren; sein Vater leitete dort eine Ölgesellschaft. Hagelin ging in St. Petersburg zur Schule und studierte Maschinenbau in Stockholm. Eine Karriere im Ölgeschäft zerschlug sich aber, statt dessen trat er in die schwedische Chiffriermaschinenfirma AB Cryptograph ein. Das von ihm entwickelte M-209 war im Zweiten Weltkrieg das Standard-Verschlüsselungsgerät der amerikanischen Armee. Es machte ihn zu einem reichen Mann.
1948 zog Boris Hagelin in die Schweiz, wo er die Crypto AG startete. Aus der M-209 entstand die erwähnte CX-52. In den 1950er-Jahren begann er mit der Arbeit an einem neuen Modell, das Rotoren mit Stromleitungen besaß. Es war 1963 fertig und hieß HX-63; die Crypto AG nannte es Durchgangsrad-Maschine. Sie war nicht das einzige Chiffriergerät dieses Typs in der Welt. Der amerikanische Krypto-Geheimdienst NSA schuf die KL-7, die sowjetischen Kollegen bauten die Fialka. Die Schweiz nutzte die aus der Enigma abgeleitete Nema.
Zum Chiffrieren und Dechiffrieren erhielt die HX-63 neun Rotoren aus einem Satz von zwölf. Auf der Vorder- und der Rückseite enthielt jeder Rotor 41 elektrische Kontakte, fünfzehn mehr als das Alphabet Buchstaben hat. In den Rotoren bildeten sich beim Weiterschalten wechselnde Stromkreise, die alle Eingaben verwürfelten. Aus der Enigma kennen wir das Prinzip, einen Stromimpuls durch drei oder vier Rotoren und anschließend wieder zurück zu schicken. Die HX-63 war so verdrahtet, dass der Impuls nicht zweimal, sondern viermal durch den Rotorensatz lief.
Diese Technik und weitere Voreinstellungen machten die Maschine praktisch unknackbar. Die Zahl der möglichen Verschlüsselungen war eine 1 mit 600 Nullen; sie entsprach einem Binärschlüssel von zweitausend Bit. Das erregte natürlich die Aufmerksamkeit der NSA. Zwischen dem Dienst und der Crypto AG bestand eine besondere Beziehung, die auf der Freundschaft zwischen Boris Hagelin und dem berühmten amerikanischen Kryptologen William Friedman basierte. Sie führte unter anderem dazu, dass die Firma ihre besten Chiffriermaschinen nur an befreundete Länder und NATO-Staaten lieferte.
Was sich nach der Präsentation der HX-63 hinter den Kulissen abspielte, ist unbekannt. Fest steht, dass die Crypto AG ein Dutzend Exemplare an die französische Armee lieferte; danach verschwand die letzte und beste Rotormaschine der Kryptologie-Geschichte vom Markt. In der Folgezeit stellte die Firma ihre Produktion von elektromechanischen auf elektronische Chiffriergeräte um; die NSA half bei der Programmierung. So konnte sie später problemlos Nachrichten mitlesen, die mit den Geräten verschlüsselt wurden.
1970 übernahmen der US-Spionagedienst CIA und der Bundesnachrichtendienst die Crypto AG; der BND zog sich 1994 wieder zurück. Die Öffentlichkeit erfuhr dies 2020 im Zuge der Rubicon-Affäre. Zu dieser Zeit existierte die Crypto AG nicht mehr. Sie wurde 2018 in zwei neue Firmen, CyOne Security und Crypto International, aufgespalten. Boris Hagelin starb am 7. September 1983 im Städtchen Zug nahe dem Firmensitz Steinhausen. Geräte seines alten Unternehmens zeigt das HNF im ersten Obergeschoss in der Kryptologie-Abteilung.
Schon jetzt weisen wir auf die Sonderausstellung geheim! hin, die das Mathematikum in Gießen am 21. Oktober eröffnet. Sie betrachtet vor allem die mathematischen Methoden der Kryptologie, die sich seit den 1970er-Jahren verbreiteten; sie lösten eine Revolution in der Welt der Codes und Chiffren aus. Die sogenannte Kryptologie mit öffentlichem Schlüssel schilderten wir auch in unserem Blog.