Da war Musik drin: Atari ST

Geschrieben am 26.03.2018 von

Der Atari ST zählte zu den Kult-Computern der 1980er-Jahre. Er stammte von der gleichnamigen Firma, die der IT-Unternehmer Jack Tramiel neu gestartet hatte. Der Rechner brachte einen 32-Bit-Prozessor und eine grafische Benutzeroberfläche mit. Komplett ausgestattet kostete er 3.000 DM, deutlich weniger als die Konkurrenz. Eine besondere Zutat war die serienmäßige Schnittstelle für das Musikformat MIDI.

Er war nicht unumstritten, doch einer der großen Gestalter der Computerbranche. Geboren wurde er 1928 im polnischen Lodz als Juda Trzmiel – in den Quellen findet sich auch der Vorname Idek. Ab 1939 lebte er in dem jüdischen Ghetto, das die Nazis einrichteten. Nach dessen Auflösung im Jahr 1944 kam der junge Mann ins KZ Auschwitz und danach in das Lager von Hannover-Ahlem. 1945 befreit, emigrierte er 1947 in die USA. Hier nannte er sich dann Jack Tramiel.

1955 gründete Tramiel die Commodore Business Machines Inc.; sie importierte Schreib- und Rechenmaschinen aus Europa. In den 1970er-Jahren fertigte sie eigene Taschenrechner. 1976 übernahm Tramiel die amerikanische Chip-Firma MOS und den Chefentwickler Chuck Peddle. Für den neuen Arbeitgeber schuf Peddle den PET 2001, der mit dem Apple II und dem Tandy TRS-80 die Mikrocomputer-Revolution einläutete. 1982 folgte das Modell VC 20. Ein Jahre später brachte Commodore den immens erfolgreichen C64 heraus.

Einen VC 20 zeigt auch die HNF-Ausstellung „Digging Deep“.

Anfang 1984 wurde Jack Tramiel aus seinem alten Unternehmen hinausgedrängt. Er startete sogleich das nächste und schaute sich nach lohnenden Objekten um. In Sunnyvale mitten im Silicon Valley saß die von Nolan Bushnell gegründete Videospiel- und Computerfirma Atari. Sie war nicht mehr selbstständig, sondern befand sich im Besitz des Medienkonzerns Warner und im Niedergang. Für 315 Millionen Dollar, davon nur 75 Millionen in bar, erwarb Tramiel die Rechnersparte und nannte sie Atari Corporation.

Unterstützt von abtrünnigen Commodore-Kollegen entwickelte Tramiel – um ihn selbst zu zitieren – einen Computer für die Masse und nicht die Oberklasse. Im Januar 1985 erschien der Atari 520 ST. In seinem Inneren steckte der Mikroprozessor 68000 von Motorola mit 32-Bit-Daten, 16-Bit-Leitungen und acht Megahertz Takt. Der gleiche Chip tickte im 1984 vorgestellten Apple Macintosh. Der Hauptspeicher des Atari umfasste 512 Kilobyte. Wie der teure Apple bot er eine grafische Benutzeroberfläche mit Mausbedienung an.

Ein Atari ST mit Diskettenlaufwerk und preiswertem Laserdrucker.

Es ließen sich ein Diskettenlaufwerk und wahlweise ein Fernsehempfänger, ein Schwarzweiß- oder ein Farbmonitor anschließen. Ein komplettes Atari-System war für knapp 3.000 Mark zu haben; der Macintosh kostete das Dreifache. Präsentiert wurde Jack Tramiels Produkt im CeBIT-Teil der Hannover-Messe. 1985 stellten Computer- und Nicht-Computer-Hersteller zum letzten Mal gemeinsam aus. Die erste eigenständige CeBIT fand 1986 statt. Der Atari ST erntete enthusiastische Presseberichte und wurde ab Sommer 1985 bei uns verkauft.

1986 war in Deutschland der schärfste Konkurrent des Atari ST erhältlich, der Amiga von Commodore. Er verwendete den gleichen Prozessor, wir haben ihn 2015 im Blog beschrieben. Der Wettkampf der Hersteller übertrug sich auf die Benutzer, die Rivalität der Atari- und Amiga-Fans zählt zu den Computermythen der goldenen Achtziger. Gegen die Grafiktalente des Commodore-Rechners setzten Jack Tramiels Designer den Anschluss für das Musikformat MIDI. Der Atari wurde in vielen Elektropop-Studios zum Standard.

Nach dem Grundmodell 520 ST erschienen verbesserte Versionen mit größerem Speicher oder Diskettenlaufwerken in der Tastatur. 1989 kam der tragbare Stacy heraus, 1991 folgte der Laptop ST Book. Weitgehend erfolglos blieben die Atari-Spielekonsolen Lynx und Jaguar. In den 1990er-Jahren gewann Jack Tramiel noch viele Preiskämpfe; er verlor allerdings das Interesse an der Firma. 1996 wurde sie vom Laufwerk-Hersteller JTS erworben, der seinerseits 1999 pleiteging. Jack Tramiel starb 2012.

Von Atari hat nur der Name überlebt. Dank der legendenumwobenen Vergangenheit liegt aber einiges Material im Internet, etwa im Atari-Computermuseum. Lesenswert sind ebenso die Zeitschriften aus dem Computer-Magazin-Archiv. Ein virtueller Nachfahre des Atari ST ist die Musiksoftware Cubase;  hier gibt es einen schönen Bericht zur digitalen Musik. Wer Jack Tramiel noch einmal live sehen möchten, kann es in den Computer Chronicles tun.

Das Eingangsbild zeigt den Atari ST.

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Ein Kommentar auf “Da war Musik drin: Atari ST”

  1. Aztekium.pl sagt:

    Wertvolle Informationen.
    Sehr guter Artikel!

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