Das erste Erfolgsmodell: Nixdorf 820

Geschrieben am 25.05.2021 von

2021 wird das HNF 25 Jahre alt. Aus diesem Anlass möchten wir auf den Rechner eingehen, der ab 1968 der Nixdorf Computer AG den ersten großen Erfolg brachte, das System Nixdorf 820. Es basierte auf Buchungsautomaten der Hersteller Wanderer und Ruf; für sie hatte Heinz Nixdorfs erste Firma, das Labor für Impulstechnik, die Elektronik geliefert.

Vor drei Jahren erzählten wir im Blog von dem komplizierten Start der Nixdorf Computer AG im Jahr 1968. Verwickelt gestaltete sich auch die Geburt des ersten Computers der jungen Firma. Er kam ebenfalls 1968 heraus und hieß Nixdorf 820. Wobei er nicht alleine stand, sondern eine ganze Rechnerfamilie bildete.

Ihre Geschichte beginnt schon 1959. Damals leitete Heinz Nixdorf das 1952 gegründete Labor für Impulstechnik LFI; ein wichtiger Kunde war die Exacta Büromaschinen GmbH in Köln. Sie baute unter anderem eine Buchungsmaschine – eine Kombination aus Schreib- und Rechenmaschine – mit der Bezeichnung Continental 6000.  Für sie lieferte das LFI ein zusätzliches Modul, das ihr das Multiplizieren ermöglichte; es enthielt die ziemlich neuen Germanium-Transistoren. Das Modul machte aus der Continental die Multitronic 6000.

Die Wanderer Logatronic von 1965. In der Schublade befinden sich die Elektronik-Module.

Fünf Jahre später trug Exacta den Namen Wanderer-Werke, und Heinz Nixdorf war erneut für die Firma tätig. Jetzt entwickelte das Labor für Impulstechnik die elektronischen Teile eines Buchungsautomaten, einer Buchungsmaschine mit weiteren Funktionen. Dazu gehörten ein programmierbares Rechenwerk mit Silizium-Transistoren und ein Fädelspeicher für Zahlen und Anweisungen. Die Ein- und Ausgabe geschah über eine Kugelkopf-Schreibmaschine. Neben ihr saß eine zweite Tastatur mit Ziffern und Sonderzeichen, siehe das obige Foto.

Die Wanderer Logatronic wurde 1965 auf der Hannover-Messe vorgestellt. Ein zweiter Aussteller zeigte einen ähnlichen Automaten. Das war der Praetor der Firma Ruf Buchhaltung aus Karlsruhe. In ihm steckte die gleiche Elektronik wie in der Logatronic, denn auch Ruf war LFI-Kunde. Das Innenleben der Logatronic wie das des Praetor ging auf zwei Männer zurück, die 1964 in das Paderborner Unternehmen eintraten, auf Lorenz Hanewinkel – ihn trafen wir vor zwei Monaten im Blog – und seinen drei Jahre jüngeren Kollegen Otto Müller.

Eine Nixdorf 820 aus dem Jahr 1968 ohne Magnetkonten-Aufsatz. Als Drucker diente eine integrierte Kugelkopf-Schreibmaschine.

In der Folgezeit erschienen Nachfolger der beiden Messe-Modelle. Ihr Design war kantiger, und die Tastatur zog sich über die ganze Breite des Pults. Schon 1967 wurde im SPIEGEL für die zweite Generation des Praetors geworben; diese Anzeige stammt von 1968. Über der „Alfa-numerischen Ein- und Ausgabe“ erhebt sich das Gestell für Magnetkonten-Karten. Sie tragen magnetisierbare Streifen, die Daten speichern. Der Praetor wie die neue Logatronic – die Fotos sind aus Ungarn – konnten solche Streifen beschreiben und lesen.

1968 kauften Heinz Nixdorf und seine Frau Renate die Wanderer-Werke; am 1. Oktober wurden sie in Nixdorf Computer AG umbenannt. Die Kunden erhielten nun keine Logatronic mehr, sondern eine Nixdorf 820. Sie übernahm alle Funktionen und gehörte somit zu den Magnetkonten-Rechnern. Diese Kategorie bildete den Kern der Mittleren Datentechnik. Computer mit Speicherkarten kamen nicht nur von Ruf und Nixdorf, sondern ebenso von Anker, Hohner, IBM, Kienzle, NCR, Philips, Robotron, Siemag und Triumph-Adler.

Magnetstreifen ganz nah: Links sitzt er auf der Karte, rechts auf dem Papier. Der Computer ist das Modell Nixdorf 820/20 aus dem Eingangsbild.

Ab 1968 entstand aus der Nixdorf 820 die erwähnte Modellfamilie. Sie gliederte sich in Fakturier- und Abrechnungscomputer und solche für Magnetkarten. An die Computer ließen sich Geräte für Lochkarten, Lochstreifen, Magnetbänder und Magnetplatten anschließen. Eine zusätzliche „Fernleitung“ machte das System tauglich für die Datenfernübertragung. Der Grundtyp 820/15 FAC speicherte 16 Worte – das entsprach 128 Byte – und kostete vor fünfzig Jahren 29.433 DM. Für das Modell mit 1.024 Worten musste man 116.993 DM zahlen.

Details zur Produkt- und Preisgestaltung für 1971 liefert das CC-Computerarchiv– bitte auf PDF-Seite 4 gehen. Die Nixdorf-820-Familie war aber weitaus größer, denn manche Typen verschwanden nach einiger Zeit wieder. Ab 1976 trugen sie die Nummern 8830 und 8835; die letzte CC-Liste mit den Modellen erschien 1981. Viele Dokumente zur Nixdorf-Geschichte bringt die Internet-Seite von Heinrich Stummer, einem NCAG-Veteranen aus Österreich. Das schönste Nixdorf-820-Foto wurde wohl 1969 in Berlin-Schöneberg geknipst; es beweist, dass man mit einem Abrechnungscomputer sogar Verbrecher jagen konnte.

Magnetkonten-Computer Nixdorf 820/30 von 1975 mit Nadeldrucker. Er operierte zwanzig Jahre lang in der Paderborner Hutmacherei Lohmann.

Eine wichtige Rolle spielte die Nixdorf 820 im TV-Drama „Goldjungs“, das das Ende der Kölner Herstatt-Bank schilderte. Laut Drehbuch hatte ihr Rechner eine spezielle Taste, die betrügerische Buchungen ermöglichte; sie bewirkten 1974 den Crash. Schließen möchten wir mit zwei Filmen der Wochenschau. Der erste führt auf die Ausstellung Interschul, die 1971 in Dortmund stattfand. Ab Minute 1:35 erleben wir verschiedene Nixdorf-820-Typen in Aktion, darunter das Lehrsystem Bakkalaureus. Der zweite Film zeigt ab Minute 5:25 den Nixdorf-Stand auf der Hannover-Messe 1972: Die Magnetkarten sind immer dabei.

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