Der Herr der Stäbchen

Geschrieben am 03.04.2017 von

Vor 400 Jahren, am 4. April 1617, starb John Napier, auch Neper geschrieben, auf dem Familiensitz vor den Toren von Edinburgh. Der schottische Adelige erfand das Rechnen mit Logarithmen sowie zwei Rechengeräte. Die Neperschen Stäbchen und das weniger bekannte Promptuarium helfen bei der Multiplikation. Darüber hinaus entwickelte Napier eine frühe Form des Rechnens mit Dualzahlen.

Die Napier-Universität von Edinburgh ist eine große technische Hochschule, die 1964 gegründet wurde. Aus den Gebäuden der 1960er- und 1970er-Jahre ragt eine Trutzburg aus dem 15. Jahrhundert hervor, der Merchiston-Turm. Einst zwischen Wiesen und Wäldern gelegen, befindet er sich heute inmitten des gleichnamigen Stadtteils im Südwesten der schottischen Metropole.

Im Turm kam am 1. Februar 1550 John Napier zur Welt, und hier beendete er sein Leben. Das geschah vor 400 Jahren, am 4. April 1617. Dazwischen absolvierte er die Vita eines Mitglieds des niederen schottischen Adels – der Rang des Laird liegt über dem Gentleman und unter dem Baron. Napier studierte an der heimischen Universität von St. Andrews und wohl auch im Ausland. Danach lebte er lange auf den Ländereien seines Clans nördlich von Glasgow. 1608 bezog er mit der Familie den Merchiston-Turm.

John Napier war Protestant und interessierte sich für Theologie. 1593 veröffentlichte er eine Analyse der Offenbarung des Johannes. Darin erwartete er den Jüngsten Tag im späten 17. Jahrhundert. Das Buch verkaufte sich recht gut und wurde auch ins Deutsche übersetzt. Bekannter sind aber seine Leistungen auf mathematischem Gebiet. Sein wichtigstes Werk erschien 1614 unter dem Titel Mirifici logarithmorum canonis descriptio, auf Deutsch „Beschreibung des wundervollen Gesetzes der Logarithmen“.

Der Merchiston-Turm in Edinburgh (Foto Edinburgh Napier University)

Ältere Leser kennen Logarithmen sicher noch aus der Schule. Man fand sie in Tafeln und rechnete damit. Wenn man statt zweier Zahlen A und B ihre Zehner-Logarithmen lg A und lg B verwendete, konnte man anstelle mühseliger Multiplikation und Division die Addition und Subtraktion ausführen. Denn es gilt  lg A x B = lg A + lg B  sowie  lg A/B = lg A – lg B. Die Logarithmen ermöglichten auch den Rechenschieber, die populärste Rechenhilfe vor der Verbreitung des Taschenrechners.

Napier erfand die Logarithmen wahrscheinlich in den 1590er-Jahren. Allerdings nutzte er nicht diejenigen zur Basis 10, sondern ein eigenes System, das er mit geometrischen und trigonometrischen Überlegungen herleitete. Die obigen Gleichungen trafen dort nicht zu, stattdessen galt log A x B = log A + log B – log 1. Und log 1 war bei Napier nicht Null wie in unserer Mathematik, sondern 161.180.950. Den natürlichen Logarithmus zur Basis e, der ihm manchmal zugeschrieben wird, hat Napier dagegen nicht entdeckt.

In zwanzigjähriger Rechenarbeit erstellte er die erste Logarithmentafel, die einen Teil seines Buchs von 1614 bildete. 1624 erschien die Tafel des englischen Mathematikers Henry Briggs. Sie enthielt Logarithmen, die Briggs mit einer anderen Methode und der Basis 10 berechnete. Briggs hatte zuvor Napier in seiner Burg besucht und mit ihm den neuen Ansatz besprochen. Die Logarithmen kamen zur richtigen Zeit für Astronomen wie Johannes Kepler. Ohne sie hätte der Aufschwung der Wissenschaft im 17. Jahrhundert nicht stattgefunden.

Gelosia-Multiplikation 345 x 437 = 150.765 (Bild Mathematical Association of America)

Napiers zweites Mathematikbuch Rabdologiae erschien 1617 kurz nach seinem Tod. Es beschrieb Rechenhilfen: die Napierschen oder Neperschen Stäbchen, das Promptuarium und eine frühe Form des Dualzahlen-Rechnens. Auf die Stäbchen kam Napier vermutlich durch die seit dem Mittelalter bekannte Netz-, Gitter- oder Gelosia-Multiplikation. Bei dieser werden – siehe oben – zunächst die Zwischenprodukte notiert. Anschließend addiert man die Ziffern in den von rechts oben nach links unten verlaufenden Reihen.

Ein Napier-Stäbchen zeigt von oben nach unten die Vielfachen einer Ziffer an. Dabei setzt man vier Zahlenfolgen auf die Seiten oder zwei auf Vorder- und Rückseite. Will man eine längere Zahl mit einer einstelligen multiplizieren, legt man die Stäbchen für die Ziffern nebeneinander. Das Foto unten zeigt es für 272.968. Die waagerechten Reihen liefern die Produkte der Zahl mit 2, 3, 4 usw. Man addiert von rechts nach links die benachbarten Ziffernpaare und den Übertrag von rechts und notiert die Einerziffern der Summe. So erhält man etwa in der letzten Reihe  9 x 272.968 = 2.456.712

Ein Stäbchenprogramm findet sich hier. Bei der Multiplikation mit einer mehrstelligen Zahl sucht man für jede Ziffer die passende Reihe auf und addierte die Resultate. Wie bei der normalen schriftlichen Multiplikation muss man ein Zwischenergebnis an die richtige Dezimalstelle schieben. Die Stäbchen erschienen im Laufe der Zeit auch in zylindrischer Form. Die bekannteste Ausführung ist die Rechenmaschine, die Wilhelm Schickard 1623 baute. Sie verband sechs vertikale Zahlenwalzen mit einem Addierwerk.

Stäbchen für die Multiplikation von 272.968 (Foto Science Museum)

Das Promptuarium – was so viel wie Schnellrechner heißt – verwendet flache Streifen. Die senkrechten Streifen legt man wie Nepersche Stäbchen den Ziffern des ersten Faktors gemäß aneinander. Analog verfährt man mit den waagrechten Streifen, die den Ziffern des zweiten Faktors folgen. Die waagrechte Gruppe wird nun auf die senkrechte gelegt. Die horizontalen Streifen weisen kleine Fenster auf, durch die Ziffern der vertikalen erkennbar sind. In ihrer Gesamtheit ergeben die Ziffern eine Gelosia-Multiplikation, wie sie vorhin erklärt wurde.

Die dritte und letzte Rechentechnik des großen Schotten war die Arithmetica localis, was man vielleicht mit Positionsrechnen übersetzt. Es arbeitet mit Dualzahlen, die Napier nicht mit 0 und 1, sondern durch Buchstaben ausdrückte. Es gilt a = 1, b = 2, c = 4, d= 8 usw. bis q = 32.768. (Das j kommt nicht vor.) Mehrere Buchstaben nebeneinander zeigen Summen an, wobei die Reihenfolge beliebig ist. Beispiel: abc = 1+2+4 = 2+4+1 = bca = 7. Die duale Multiplikation realisierte John Napier mit einem ingeniösen Rechenbrett.

Wer mehr zu seinen Methoden wissen will, dem empfehlen wir Online-Broschüren über die Stäbchen und zu obiger Arithmetik. Aus Schottland stammen nette Videos zum binären Rechenbrett und zum Promptuarium. Nachtragen müssen wir, dass John Napier sowohl das Dezimalkomma als auch den Dezimalpunkt erfand. Infolgedessen teilt sich die Welt heute in Punkt- und Komma-Länder. In unserem Blog benutzen wir den Neperschen Punkt aber nur zum leichteren Lesen von langen Zahlen wie 123.456.789.

Eingangsbild: National Galleries of Scotland

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Ein Kommentar auf “Der Herr der Stäbchen”

  1. Herbert Bruderer sagt:

    Die Technikgeschichte zeigt, dass manchmal mehrere Personen unabhängig voneinander die gleiche Erfindung gemacht haben. Das gilt auch für den Schotten John Napier und den Schweizer Jost Bürgi. Bürgi entdeckte die Logarithmen vor Napier, Napier veröffentlichte sie jedoch vor Bürgi.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.