Der Meister der Simulation
Geschrieben am 06.04.2020 von HNF
Simulationen gibt es, seit es Spiele gibt. Man denke nur an Schach, wo die Schachfiguren in den Krieg ziehen. Auch Computerspiele bilden oft die Welt ab. 1989 erschien eines, um digitale Häuser und Städte zu bauen: SimCity. Elf Jahre später kamen die virtuellen Sims heraus. Die Spiele wurden Bestseller; beide entwickelte der Amerikaner Will Wright.
„Mikroskopische Brücken überspannten wie Striche die Bäche, und die Teiche, in denen sich die Sterne spiegelten, waren voll hobelspangroßer Schiffchen. Die sonnenabgewandte nächtliche Halbkugel war bedeckt mit den Pocken lichterglitzernder Städte, und auf der hellen sah man Siedlungen, wenn man auch die Bewohner selbst wegen ihrer Winzigkeit nicht einmal durch die stärksten Gläser wahrnehmen konnte.“
Diese Passage steht in einer Geschichte des polnischen Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem; sein Held Trurl erschafft dort eine Mikrowelt mit ebenso kleinen Bewohnern. Die englische Fassung der Erzählung inspirierte einen Spiele-Entwickler zu einem riesigen Erfolg. Will Wright wurde 1960 in Atlanta geboren und wuchs im US-Bundesstaat Lousiana auf. Er studierte Architektur, Informatik und einige Fächer mehr. Einen Abschluss machte er nie, stattdessen schuf er in den frühen 1980er-Jahren sein erstes Computerspiel.
Das Ergebnis lag 1984 vor und hieß Raid on Bungeling Bay; ein Hubschrauber legte darin feindliche Fabriken lahm. Herausgeber war die US-Spielefirma Brøderbund, die deutsche Version trug den Titel „Angriff auf den Archipel“. In Japan wurde die Attacke eine Million Mal verkauft, bei uns wanderte sie auf den Index. Das Spiel war im Handel, durfte jedoch nicht beworben werden. Die Indizierung endete erst 2012. Will Wright entdeckte bei der Arbeit, wie viel Spaß ihm die Gestaltung von digitalen Städten und Landschaften machte.
So begann er mit der Entwicklung eines neuen und friedlichen Spiels. Neben der Story von Stanislaw Lem beeinflussten ihn die computergenerierten Weltmodelle von Jay Forrester und die Muster-Sprache des Architekten Christopher Alexander. Vielleicht kannte er auch das Videospiel Utopia, das 1981 für die Konsolen von Intellivision herauskam. Hierbei kontrolliert der Spieler eine Insel, betreibt Ackerbau und Fischfang und baut Dörfer. Für die Konsole Colecovision gab es 1984 das Stadtentwicklungsspiel Fortune Builder.
1985 hatte Will Wright eine Simulation für einen einzigen Spieler fertiggestellt, die er Micropolis nannte. Er sprach Brøderbund an und erntete eine Ablehnung. Schließlich griff der Investor Jeff Braun zu. Wright und Braun gründeten die Firma Maxis. Am 2. Februar 1989 lag SimCity im Laden. Und weil es einen Wechsel im Brøderbund-Management gegeben hatte, beteiligte sich auch dieses Unternehmen am Vertrieb. Das Spiel kostete 49,95 Dollar. Es lief zunächst schwarzweiß auf dem Apple Macintosh und in Farbe auf Amiga-Computern.
Jede SimCity-Simulation beginnt mit einer leeren Landschaft, die der Spieler nach und nach mit Gebäuden, Straßen und Schienenwegen füllt. Die Landschaft erscheint direkt von oben; die Häuser werden in Kabinettperspektive dargestellt und wachsen schräg empor. Die Verkehrswege liegen waagrecht und senkrecht; sie haben natürlich auch Kurven. Eine solche Draufsicht zeigt unser Eingangsbild. Die nächste SimCity-Version, SimCity 2000 von 1993, wechselte zur isometrischen Weltsicht wie oben zu erkennen.
Ein Spieler startet mit 20.000 Dollar; sie fließen in städtebauliche Aktionen aller Art. Die Bewohnen der Stadt sind die Sims. Man sieht sie nicht, kassiert aber von ihnen Steuern. SimCity ist also nicht nur ein Architekturspiel, sondern auch eine Übung in Lokalpolitik. Gelegentlich kommt es zu Feuersbrünsten und Überschwemmungen. Ganz am Anfang stampfte sogar das Monster Godzilla durch SimCity. Copyright-Anwälte schlugen es in die Flucht, an seine Stelle trat ein brausender Tornado.
SimCity wurde ein Welterfolg und führte zu mehreren Fortsetzungen; die letzte erschien 2013. Außerdem gab es die SimFarm und den SimCopter sowie das Rennspiel Streets of SimCity. Mit seiner Schöpfung etablierte Will Wright im Markt der Computerspiele die Städtebau- und Wirtschaftssimulation. Hier ernteten auch deutsche und österreichische Entwickler Ruhm, man denke an Die Siedler oder die Anno-Serie. Schon 1990 war mit Moonbase eine simulierte Mondsiedlung erhältlich.
1991 verlor Will Wright bei einem Buschbrand sein Haus und alles, was sich darin befand. Der Neuaufbau brachte ihn zur Programmierung einer sozialen Simulation. Es dauerte bis zum 4. Februar 2000, bis Die Sims in den Handel kam. Das Spiel kombinierte virtuelle Wohnungen und die digitalen Menschen, die sie bewohnen. Die Sims werden teils vom Spieler und teils von Software mit künstlicher Intelligenz gelenkt. Die Ur-Sims und ihre Fortsetzungen wurden bis heute zweihundert Millionen Mal verkauft.
Schon in den frühen 1990er-Jahren erweiterte Will Wright sein Spielkonzept auf die Natur. 1990 entwickelte sich die SimEarth, 1991 krabbelten die Ameisen von SimAnt, 1992 folgten Pflanzen und Tiere mit SimLife. 1996 eröffnete der SimPark. 2008 präsentierte Wright das Evolutionsspiels Spore. Der Spieler begleitet eine Mikrobe und die aus ihr entstehenden Lebewesen. Sie absolvieren diverse biologische und soziale Zwischenstufen und besteigen schließlich Raumschiffe, um das Weltall zu erobern.
Ab 2009 arbeitete Will Wright für die Kreativfirma Stupid Fun Club und für das Linden Lab, den Betreiber des Spiels Second Life. Vor zwei Jahren verkündete er, dass er an einem philosophischen Simulationsspiel mit Namen Proxi säße. Es hat inzwischen eine eigene Internetseite, sonst ist wenig dazu bekannt. Wir dürfen also gespannt sein. Dankeschön, Will Wright, für dreieinhalb Jahrzehnte Spielvergnügen!