Der Prüfer der Enigma
Geschrieben am 31.05.2019 von HNF
Vor hundert Jahren, am 1. Juni 1919, wurde in Hildesheim Gisbert Hasenjaeger geboren. Im Krieg arbeitete er in der Chiffrierabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht. Danach studierte er in Münster und promovierte im Fach Mathematik; ab 1962 lehrte er an der Universität Bonn mathematische Logik. Er baute auch funktionsfähige Turing-Maschinen. Gisbert Hasenjaeger starb 2006 in Plettenberg.
Wo heute in Berlin die Neue Nationalgalerie steht, erhob sich bis zum Abriss 1964 ein unförmiges Gebäude, das Haus des Fremdenverkehrs. Es wuchs ab 1938 im Rahmen der Neugestaltung der Reichshauptstadt heran. Touristen sah es nie; in einige fertiggestellte Etagen zogen während des Zweiten Weltkriegs Militärs ein. Das Oberkommando der Wehrmacht brachte im Haus seine Chiffrierabteilung unter, abgekürzt OKW/Chi.
Zu ihr gehörte der junge Oberleutnant Gisbert Hasenjaeger. Er saß in der Gruppe IV für analytische Entschlüsselung und dort im Referat IVa. Dieses prüfte ältere und neuere Schlüsselverfahren auf ihre Sicherheit; außerdem sah es die Angebote von Erfindern durch. In seiner Arbeit testete Hasenjaeger unter anderem eine abgespeckte Version der deutschen Chiffriermaschine Enigma. Er knackte den Code; Konsequenzen hatte seine Analyse keine. Kurz vor Kriegsende durfte er Berlin verlassen. In Österreich wurde er von US-Soldaten gefangengenommen, aber vor Jahresende wieder freilassen.
Der Kryptologe hatte schon Kriegserfahrung, doch noch keinen Studienabschluss. Gisbert Hasenjaeger wurde am 1. Juni 1919 in Hildesheim geboren. Der Vater war Jurist und amtierte als Bürgermeister in mehreren Städten, ab 1936 in Mülheim an der Ruhr. Hier kam es zum Kontakt zwischen dem jungen Hasenjaeger und Heinrich Scholz (1884-1956). Scholz lehrte zunächst in Kiel und Münster Philosophie. In den 1920er-Jahren verschob sich sein Interesse zur mathematischen Logik. 1943 erhielt er in Münster einen Lehrstuhl.
Gisbert Hasenjaeger machte 1937 Abitur, es folgten Arbeits- und Wehrdienst. 1939 zog er in den Krieg. Nach eher gemächlichen Monaten in Frankreich und in Polen ging es 1941 an die Ostfront. Am 2. Januar 1942 wurde Hasenjaeger durch einen Kopfschuss schwer verwundet. Heinrich Scholz sorgte dafür, dass er die Stelle im OKW/Chi bekam. Im Juli 1944 gelang es den beiden, den Logiker Jan Łukasiewicz und seine Frau aus Polen nach Deutschland zu holen. Entscheidende Hilfe leistete Hasenjaegers Vater, der die nötigen bürokratischen Zusicherungen gab.
Der 1878 geborene Łukasiewicz zählte zu den Vätern der polnischen Logikschule, die das Fach in aller Welt prägte. Beim deutschen Überfall im September 1939 blieb er im Lande; während der Besatzungszeit betätigte er sich in der Warschauer Untergrunduniversität. Als sich die Rote Armee 1944 Polen näherte, erwartete er als Großbürger und Mitglied der Intelligenz das Schlimmste. Die Übersiedlung rettete wahrscheinlich sein Leben und das seiner Frau. Von 1946 bis 1953 lehrte Jan Łukasiewicz in Irland; 1956 starb er in Dublin.
Von 1945 bis 1950 studierte Hasenjaeger bei Heinrich Scholz und promovierte 1950. Von Anfang an half er im Institut mit und wurde dann Assistent. Von 1950 bis 1952 arbeitete er in Zürich – wo er Konrad Zuses Rechner Z4 sah – beim Logiker Paul Bernays. 1953 erschien sein wohl wichtigstes Resultat, ein Nachweis der Vollständigkeit der Prädikatenlogik mit Gleichheit. Sie erweitert die einfache Aussagenlogik, etwa mit Für-alle- und Es-gibt-Sätzen. Hasenjaeger konnte zeigen, dass alle wahren Formeln des Systems auch beweisbar sind.
Im Prinzip war jene Vollständigkeit schon bekannt, doch Hasenjaegers Nachweis war der eleganteste von allen. Nach der Habilitation war er ab 1955 Dozent in Münster. 1961 schloss er das von Heinrich Scholz begonnene Buch „Grundzüge der mathematischen Logik“ ab, ein Jahr später brachte er seine eigene „Einführung in die Grundbegriffe und Probleme der modernen Logik“ heraus. 1962 wurde er Professor für Logik und Grundlagenforschung im gleichnamigen Seminar der Universität Bonn.
Hasenjaegers Büro befand sich in einem schmalen, etwas verwunschenen Altbau nahe dem Botanischen Garten der Stadt. Hier wirkte er bis zur Emeritierung 1984 und widmete sich vornehmlich der Lehre. Seine letzte wissenschaftliche Arbeit erschien 1990; sie befasste sich mit dem berühmt-berüchtigten Collatz-Problem aus der Zahlentheorie. Ende 2000 verlieh ihm die Universität Münster die Goldene Doktorurkunde. Damals lebte Gisbert Hasenjaeger in Plettenberg im Sauerland. Dort starb er am 2. September 2006.
Sein schriftlicher Nachlass liegt im Archiv des Deutschen Museums in München. Das HNF besitzt die mathematischen Apparate, die Hasenjaeger und sein Doktorand Dieter Rödding ab 1957 bauten. Dazu gehören der Logikrechner Kasimir und Teile von universellen Turing-Maschinen. Sie folgen nicht dem Aufbau, den Alan Turing 1936 angab, sondern der logisch äquivalenten Ausführung, die der chinesisch-amerikanische Logiker Hao Wang 1957 erfand. Unser Eingangsbild zeigt die Steuereinheit einer solchen Wang-Turing-Maschine.
Das verwunschene Seminar am Botanischen Garten gibt es nicht mehr. Inzwischen hat die Bonner Uni einen Lehrstuhl für Logik und Grundlagenforschung im Hauptgebäude in der Innenstadt. Auf ihm sitzt eine Frau, die Philosophin Elke Brendel. Aber die Männer müssen nicht verzagen. Draußen bei den Mathematikern arbeitet eine Mathematical Logic Group, geleitet von einem Professor. Beim Archiv der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität bedanken wir uns herzlich für das Portraitfoto von Gisbert Hasenjaeger und bei Rainer Glaschick (Paderborn) für wertvolle Hinweise zu seinen mathematischen Maschinen.