Die Datenschleuderer

Geschrieben am 12.09.2016 von

Vor 35 Jahren, am 12. September 1981, fand im Berliner Bezirk Wedding ein links-alternatives „Komputerfriektreffen“ statt. Daraus entwickelte sich der Chaos Computer Club. Er ist bis heute der wichtigste deutsche Verein zur Kritik, Kommunikation und Weiterbildung in der Informationstechnik. Sein populärstes Mitglied war der 1951 in Kassel geborene und 2001 in Bielefeld verstorbene Wau Holland.

Wir schreiben das Jahr 1981. Es gibt große Computer in Unis, Ämtern und Rechenzentren und kleine für zuhause wie den TI 99/4 von Texas Instruments, den Commodore VC 20 und den ZX80 und ZX81 von Sinclair. Apple-Rechner gibt es auch, doch sind sie teuer. Der PC von IBM ist noch nicht in Europa erhältlich. Das Fernsehen hat drei Programme. Medien sind analog wie der Videorekorder oder der Walkman von Sony. Oder sie werden schwarz auf weiß gedruckt wie Bücher und Zeitungen.

Eine solche Zeitung sitzt in der Wattstraße 11/12 im Berliner Wedding: die links-grün-alternative „Tageszeitung“ oder taz. Am 1. September 1981 bringt sie einen kurzen Text TUWAT, TXT Version. Er wendet sich an „Komputerfrieks“ und lädt sie für den 12. September – das ist der Samstag der Funkausstellung 1981 – um 11 Uhr in die taz ein. Dort will man Netzwerke, Kommunikations- und Datenrecht, Lernsysteme, Datenbanken, Verschlüsselung, Spiele und anderes mehr diskutieren.

Hacker-Bücher aus dem Frühjahr 1985

Hacker-Bücher aus dem Frühjahr 1985

Unterzeichnet ist der Aufruf von Tom Twiddlebit, Wau, Wolf und zwei Ungenannten. Hinter den Pseudonymen stecken fünf technik- und medienbegeisterte Herren aus Hamburg: Klaus Schleisiek, Herwart Holland-Moritz, Wolf Gevert, Wulf Müller und Jochen Büttner. Zum Treffen kommen zwanzig Interessierte, meist Berliner und Münchner. Wie es sich gehört, erscheinen danach ein Protokoll und eine Presseerklärung, außerdem ein Thesenpapier. Während der IT-Messe Systems findet in München ein Folgetreffen statt, doch ist dazu nichts Schriftliches überliefert.

So startete vor 35 Jahren der Chaos Computer Club. In den ersten beiden Jahren gab es weder den Namen noch eine Vereinsstruktur, sondern vor allem die Leitfigur Herwart Holland-Moritz, besser bekannt als Wau Holland. 1951 in Kassel geboren, hatte er Mathematik, Informatik und Elektrotechnik in Marburg studiert, doch keinen Abschluss gemacht. In den späten 1970er-Jahren zog er nach Hamburg. Ende 1982 soll er zum ersten Mal von einem „Chaos Computer Club“ gesprochen haben.

Im Mai 1983 erwähnte der SPIEGEL die amerikanischen Hacker, die sich durch Tipps und Tricks Einlass in fremde Computernetze verschafften. Im Oktober lief in der Bundesrepublik der Hacker-Film War Games an. Am 14. November 1983 erschien ein SPIEGEL-Gespräch mit US-Superhacker Richard Cheshire. Sechs Tage vorher druckte die taz einen langen Artikel über die Nachrichtentechnik-Messe Telecom in Genf und drei kürzere über Hacker allgemein. Wie eine Signatur verriet, stammten alle vier von wau – chaos computer club.

Btx-Terminal mit Posthörnchen

Btx-Terminal mit Posthörnchen (Foto:  Michael Gruhl at the German language Wikipedia, CC BY-SA 3.0)

Damit war die Katze aus dem Sack. Am 19. November 1983 stand eine Anzeige in der taz, die die Überschrift „hacker“ trug: „Für alle computer-freaks, die die TAZ-doppelseite vom 8.11. über die ‚hacker‘ gelesen haben und wissen wollen, wie sie dem deutschen ‚chaos computer club‘ beitreten können: kontakt über WAU Holland, Schwenckestr. 8, 2 Hamburg 19“. Es folgte als Aufnahmeprüfung ein Programmierrätsel, das wegen fehlerhafter Telefonübertragung allerdings unlösbar war.

Danach kamen die Computerweihnacht 1983, als die kleinen Rechner in Massen die Bundesbürger erreichten, und gleich anschließend das Orwelljahr 1984. Im Februar desselben Jahres brachten Wau Holland und seine Freunde die erste Nummer der Zeitung „Datenschleuder“ heraus. Im April gelang ihnen die erste erfolgreiche Hacking-Aktion, als sie die Telebox überlisteten. So hieß das neue Mailbox-System der Deutschen Bundespost. Daneben betrieb die Post noch einen zweiten, mehr konsumorientierten Online-Dienst, den Bildschirmtext oder Btx.

Am 15. November 1984 trat Holland zum ersten Mal im Fernsehen auf. Auf einer Datenschutz-Tagung wies er auf Schwachstellen des Bildschirmtext-Systems hin. Am Abend des 16. November begann der Haspa- oder Btx-Hack. Der Chaos Computer Club war an das Passwort der Hamburger Sparkasse herangekommen und brachte ihren Computer dazu, laufend die gebührenpflichtige Btx-Seite des Clubs aufzurufen. Am 17. November war dieser um 135.000 DM reicher – die Wau Holland zurückzahlte.

Das ungesetzliche „Datenklo“ des CCC.

Von diesem Schlag hat sich die Online-Abteilung der Post nie richtig erholt. Die Computer-Chaoten waren dagegen im Bewusstsein der Öffentlichkeit präsent und Ansprechpartner der Medien, wenn es um Netzwerke oder Datensicherheit ging. Ende 1984 berichtete die Tagesschau über den ersten Chaos Communication Congress in Hamburg. Im Herbst 1985 kam die erste Hackerbibel heraus. Sie enthielt unter anderem die Bauanleitung für einen Akustikkoppler. Das sogenannte Datenklo war illegal, doch konnte die Post wenig dagegen ausrichten.

1986 wurde der Chaos Computer Club zum eingetragenen Verein CCC e.V.. Das hing auch mit dem in jenem Jahr eingeführten Anti-Hacker-Gesetz zusammen, das wir schon im Blog schilderten. 1987 und 1989 flogen die bis heute größten deutschen Hackerfälle auf, der NASA-Hack und der KGB-Hack. Der CCC war nur am Rande beteiligt, doch wurde 1988 Clubmitglied Steffen Wernéry in Paris verhaftet und zwei Monate inhaftiert. Einer der KGB-Hacker, Karl Koch, beging im Mai 1989 Selbstmord.

Die Fälle trübten die Stimmung im Club. Wau Holland zog sich zurück; nach der deutschen Wiedervereinigung lehrte er als Honorarprofessor an der Technischen Universität Ilmenau. Unser Video zeigt ihn im Jahr 1995. Er starb 2001 an den Folgen eines Schlaganfalls. Der Chaos Computer Club wandelte sich durch Dezentralisierung und durch die Fortschritte der Netzwerktechnik. Er ist heute die größte europäische Hackervereinigung und so etwas wie das Gewissen der deutschen Computerszene.

Zur weiterführenden Lektüre empfehlen wir die informative Magisterarbeit von Matthias Röhr, die zahlreichen Datenschleudern und die beiden Hackerbibeln. Online ist noch das Chaos Computer Buch, die alte Homepage des Clubs verwahrt das Internet-Archiv. Unser Eingangsbild oben zeigt Wau Holland, das Foto unten seinen großen Kontrahenten in den 1980er-Jahren, CDU-Postminister Christian Schwarz-Schilling.

7./8.10.1986 34. Bundesparteitag der CDU in der Rheingoldhalle, Mainz (6.-8.10.1986).

Bundesarchiv, B 145 Bild-F073619-0026 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0

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