Die digitale Raumfahrt
Geschrieben am 20.09.2019 von HNF
Vor fünfzig Jahren landeten Neil Armstrong und Edwin Aldrin auf dem Mond. Ihnen folgten zehn NASA-Kollegen; seitdem betrat kein Mensch mehr den Erdtrabanten. Aber schon im November 1969 lief ein „Lunar Landing Game“ auf dem Rechner einer amerikanischen High School; verfasst hatte es der siebzehnjährige Jim Storer. Sein Programm schuf eine eigene Gattung von Computerspielen.
Am 4. Juli eröffnete das HNF die große Sonderausstellung „Aufbruch ins All – Raumfahrt erleben“. Im dritten Obergeschoss stehen unter anderem ein Mondauto und das Cockpit einer Mondfähre. In den maßstabgetreuen Modellen können die Besucher das Fahren über die Mondoberfläche nacherleben und die räumlichen Dimensionen des Raumschiffs nachvollziehen.
Spielerisch war das schon vor fünfzig Jahren möglich – in den USA. Dort gab es Flipper in den Arkaden und „einarmige Banditen“ in Las Vegas, doch auch einfallsreiche, mechanische Automaten. Der Marktführer Bally brachte nach der Mondlandung 1969 den Space Flight heraus. Dabei lenkte man eine Raumsonde auf einen drehenden Himmelskörper; der Bohrer der Raumsonde musste Löcher in der Oberfläche treffen. 1970 bot die Firma Cointronics den ganz ähnlichen Lunar Lander an. Das Gehäuse schmückten Grafiken der NASA-Mondfähre.
Die mechanischen Mond-Automaten sind heute vergessen. Dafür schrieb eine andere Idee Computer- und Computerspielgeschichte. Sie kam einem amerikanischen Schüler im November 1969. Jim Storer war siebzehn und besuchte die High School von Lexington im Bundesstaat Massachusetts. Sie besaß einen Computer, eine PDP-8 von Digital Equipment. Jim begeisterte sich für Raumfahrt und verfasste für den Rechner ein vierzig Zeilen langes Programm in der Sprache FOCAL. Sein Inhalt: die Landung einer Mondfähre.
Die PDP-8 war ein Minicomputer, Eingabe und Ausgabe geschahen über Fernschreiber. Das „Lunar Landing Game“ – der Name stammt von Jim Storer – simulierte den vertikalen Abstieg zur Oberfläche. Die Fähre landete mit laufendem Triebwerk; sein Schub wirkte der Anziehungskraft des Mondes entgegen, die die Fähre nach unten zog. Als Input tippte der User die Treibstoffmenge ein, die das Triebwerk pro Sekunde erhielt; als Output nannte der Computer die Flughöhe, die Sinkgeschwindigkeit und den verbleibenden Treibstoff.
Am Ende wurde ein Crash gemeldet oder ein Glückwunsch verkündet. 1970 schickte Jim Storer sein Programm an die DECUS, den Verein der Nutzer von Digital-Equipment-Rechnern. Er war mit der Firma verknüpft, agierte aber relativ eigenständig; Spielprogramme betreute der Ingenieur und Psychologe David Ahl. Er übertrug Jim Storers Mondlandung in die Sprache BASIC und brachte sie in Umlauf. 1973 erschien sie im Buch 101 BASIC Computer Games – Achtung, dicke Datei! Unser Spiel steht als „Rocket“ auf PDF-Seite 182.
Eine weitere Ausführung schuf der Informatiker Jack Burness für das DEC-Terminal GT40. Darauf fand sich eine Grafik mit einer rudimentären Mondlandschaft und einem darüber schwebenden Raumschiff. Zur Eingabe diente ein Lichtgriffel. Der „Moonlander“ wurde beim Kauf des Terminals vorinstalliert. Die Textversion von Jim Storer und die grafische Variante von Jack Burness machten das Spiel gleichermaßen populär. 1975 war es auch auf dem programmierbaren Taschenrechner HP-65 von Hewlett Packard verfügbar.
Ein Riesensprung für die Menschheit, um Neil Armstrong zu zitieren, fand zehn Jahre nach seiner Mondmission statt. Im August 1979 flog der Lunar Lander der Firma Atari durch die Arkaden. Die Vektorgrafik auf dem Bildschirm zeigte ihn über einer Landschaft mit ein paar Landeplätzen. Der User kippte das Gefährt und betätigte das Triebwerk. 2012 programmierte der Digitalkünstler Seb Lee-Delisle das Spiel für ein Museum in Dublin; seine „Lunar Trails“ können hier beschritten werden – mit Mausklick einschalten und per Pfeiltaste steuern.
Die Atari-Fähre landete schnell auf Heimkonsolen und Mikrocomputern. Ein Webstudio aus den Niederlanden stellte einige Versionen zum Online-Spielen zusammen. Schon früh entstanden Fortsetzungen wie Gravitar oder Moon Patrol. Für Apple-Computer gab es sowohl die Lunar-Lander-Kopie Tranquility Base als auch ein Spiel aus der Astronauten-Perspektive, Lunar Explorer. Eine neuere Simulation erstellte die Universität von Colorado: die Leertaste startet und stoppt das Triebwerk, die Pfeile ändern die Neigung der Fähre.
Fünfzig Jahre nach Apollo 11 sind die virtuellen Raumflüge kaum noch zu überschauen. Den aktuellen Stand bietet dieses Video. Wem der Eagle Lander nicht reicht, der kann sich im Kerbal Space Program austoben oder den Orbiter besteigen; ihn entwickelte der deutsche Medizin-Informatiker Martin Schweiger in London. Den Flug- hat Microsoft schon vor Jahren um einen Space Simulator ergänzt. Auf die ganz Unerschrockenen wartet aber beim ZDF das Steampunk-Raumschiff Pegasus. Viel Glück in den Weiten des Äthers!